Interview

Felix Herzogenrath: ‚Wir wollten den Nerv der Zeit treffen‘

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Mit «Marie Brand und die Bedrohung von einem anderen Stern» übernimmt Felix Herzogenrath erstmals die Regie bei der beliebten ZDF-Krimireihe – und taucht dabei tief ein in ein Milieu aus Verschwörungsmythen, gesellschaftlichen Spannungen und verletzlichen menschlichen Abgründen.

Herr Herzogenrath, es ist Ihre erste Regiearbeit bei «Marie Brand». Wie haben Sie den Einstieg in eine so etablierte und erfolgreiche Reihe erlebt?
«Marie Brand» ist wirklich ein Phänomen! Die Reihe ist so stark, dass ich mir ehrlich gesagt nicht viele Gedanken gemacht habe, was es für Regeln, Vorgaben oder Einschränkungen geben würde, sondern freute mich einfach darauf, aus diesem interessanten Stoff einen guten Film zu machen. Und ich wurde von Cast und Crew mit offenen Armen aufgenommen, was ich sehr schätzte. Ich hatte nicht das Gefühl in einen geschlossenen Kosmos zu kommen, was vielleicht einer der Geheimnisse des Erfolges der Reihe ist.

Was hat Sie persönlich an dem Stoff von «Marie Brand und die Bedrohung von einem anderen Stern» besonders gereizt?
Ich habe viel über Filme mit politischen und gesellschaftlich relevanten Inhalten nachgedacht. Wie kann man polarisierende Themen angehen, ohne dabei nur bestehende Meinungen des Publikums zu bestärken, die Polarisierung also eher zu vertiefen anstatt die Pole als Teil einer Kugel zu sehen, also als Teile eines Ganzen. Aus der Not der Polarisierung entsteht oft ein Wille zu belehren, zu bekehren, der schwerlich zum Erfolg führen kann, zumindest im Main-Stream TV. Der Reiz war eindeutig, wie wir im populärem Fernsehen für ein hoffentlich großes Publikum einen Nerv treffen können, mit dem sich alle identifizieren können. Für mich waren die Fragen: Warum sind wir denn gerade als Gesellschaft so angezogen von Polen, von Extremen? Was liegt dem als Gefühl zu Grunde? Dem wollten wir innerhalb eines unterhaltsamen Krimis auf den Grund gehen.

Der Film verknüpft Polizeiarbeit mit Verschwörungsmythen rund um Aldebaran, Nazis und Reichsbürger. Wie sind Sie bei der Inszenierung mit diesem sensiblen, aber auch brisanten Thema umgegangen?
Die Ermittler Brand und Simmel sehen sich ja als Polizeibeamte der schwierigen, frustrierenden und lähmenden Situation ausgesetzt, sich gegenüber radikalen Gesellschaftsverweigerern immer noch gesetzestreu zu zeigen und von ihnen dabei nicht ernst genommen zu werden. Das kennt jeder aus anderen Erfahrungen: Das gelebte System hat Grenzen und greift nicht für immer als Lösung für alle Probleme und Herausforderungen. Es ist einfach, das System dann dafür verantwortlich zu machen. Und leider viel schwerer mit diesem Frust umzugehen. Aber das ist der Hauptkonflikt der Ermittler, und den kennen wir alle. Das ist für mich das Thema. Dabei geht es dann nicht um Nazis, Linksextreme oder Aldebarander, sondern Menschen.

Gab es Momente, in denen Sie bei der Umsetzung bewusst Grenzen ziehen mussten, um Radikalisierungen nicht unfreiwillig zu verharmlosen oder zu überhöhen?
Es geht ja um eine filmische Umsetzung, bei der andere Regeln gelten als in der Realität. Manchmal (gar nicht so selten) ist die Realität viel absurder, unglaubwürdiger, aber vor allem plumper als die filmische Realität. Ich musste darauf achten, dass wir in der Welt der Figuren einen nachvollziehbaren Kosmos aufbauen. Und dabei stehen absurde, lustige und lächerliche Momente, gerade mit dem „Reichskanzler” Guido direkt neben ganz ernsten Momenten. Das finde ich spannend. Es gibt eine Verhör-Szene, in der Guido Dinge ausspricht, die sehr verletzend, anmaßend und menschenverachtend sind. Dort ist die Figur eben nicht lächerlich, sondern gefährlich, weil sie sehr klug debattiert und sehr ernste Konflikte anspricht. Das hat Max Hopp unglaublich angstfrei und mutig gespielt und es berührt mich jedes Mal, wenn ich diese Szene sehe, weil sie so unverblümt ist. Gleichzeitig kann ich über diese Figur lachen, wenn sie am Ende erbärmlich und klein und verloren in ihrem Schloss staubsaugt.

Wie haben Sie die Balance zwischen klassischem Krimispannungsbogen und gesellschaftspolitischer Relevanz hergestellt?
Das Drehbuch von Katja Röder hat dies ja wundervoll getan. Bei einem Krimi gilt: Die Spannung und Dramaturgie muss sich aus dem Fall und den darin involvierten Figuren ergeben. Alles Thematische muss sich dem dramaturgisch unterordnen. Und wenn ein guter Film gelingt, schafft er es, die Themen in diese Figuren und den Fall zu integrieren.

Die «Marie Brand»-Reihe lebt stark von der Chemie zwischen Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den beiden erlebt?
Ich kenne Hinnerk sehr gut aus unserer gemeinsamen Arbeit an «Nord bei Nordwest». Uns verbindet eine große Liebe zum Ausprobieren und einem spielerischen kreativen Zugang. Mariele habe ich erst bei dieser Arbeit kennen und schätzen gelernt. Sie ist eine wundervolle Schauspielerin. Es ist einfach eine große Freude, den beiden dabei zuzusehen, wie sie ihren Figuren freien Lauf lassen und dabei sehr liebevoll miteinander umgehen — Mein Job war es, dabei eigentlich nur zuzugucken und Freude zu haben.

Mit Jeanette Hain, Max Hopp und Thomas Heinze haben Sie prominente Gaststars dabei. Welche Möglichkeiten haben diese Besetzungen eröffnet?
Max kannte ich aus anderen Zusammenarbeiten und war mir sicher, dass er einen tollen Guido geben würde. Eben mit genau dieser Klugheit, Schärfe, Eloquenz, aber eben auch mit Wärme diese Figur komplex zu gestalten. Jeanette ist eine sehr kluge Schauspielerin, die ihrer Figur eine so tiefe Glaubwürdigkeit gegeben hat, von der ich wahrlich begeistert war. Thomas ist eine Wucht und ja schon lange bei «Marie Brand» dabei und ich hatte sehr großen Spaß mit ihm, in einen sehr engen Filmaufzug zu steigen. Zuschauer folgen Figuren, nicht Geschichten, wenn sie Filme sehen. Somit war der gesamte Cast ein Glücksfall für diesen Film.

Die Folge ist die 37. der Reihe. Welche eigenen Akzente wollten Sie setzen, ohne den bewährten Charakter von «Marie Brand» zu verändern?
Ich wollte einen überzeugenden, unterhaltsamen Film voller menschlicher Wärme machen. Akzentfrei.

Sie haben bereits viele TV- und Filmprojekte inszeniert. Was unterscheidet die Arbeit an einer langjährigen Krimireihe wie «Marie Brand» von anderen Regiearbeiten?
Natürlich ist schon viel etabliert und gesetzt, worauf man sich als Regisseur beziehen kann, wenn man in eine bestehende Reihe einsteigt. Der Vorteil liegt daran, dass man auf ganz viel bauen kann, was sich schon bewährt hat. Bei «Marie Brand» sind das vor allem Mariele und Hinnerk. Es ist ein unschätzbarer Wert, Schauspieler/innen zu haben, die eine so große Sympathie bei den Zuschauern haben.

Wenn Sie auf diese Produktion zurückblicken – welche Szene oder Sequenz war für Sie die größte Herausforderung, und auf welche sind Sie besonders stolz?
Es wird immer mehr zur Herausforderung für Produzenten, Kreative und technische Crews Fernsehfilme in den gegebenen Bedingungen mit großen finanziellen und zeitlichen Einschränkungen herzustellen und dabei die Qualität der Filme nicht zu sehr außer Acht zu lassen. Die gesamte Branche ist unter Druck und arbeitet unter zunehmenden Stress. Da werden wir wohl noch vielen Änderungen entgegenblicken, ob wir wollen oder nicht. Da ist es immer ein kleines Wunder, wenn dann ein Film fertig ist und irgendwie berührende Momente geschaffen hat. Denn darauf bin ich dann stolz: wenn ein Film berührt. Das Herz und das Hirn, denn beide brauchen Berührung.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Marie Brand und die Bedrohung von einem anderen Stern» ist am Mittwoch, den 19. November, um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen. Der Film ist seit 12. November in der ZDFmediathek abrufbar.

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