Interview

«Nicht Mehr Mein Land»: Alexander Gutsfeld über Rechtsruck, Migration und persönliche Identität

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Im BR-Podcast geht Alexander „Ali“ Gutsfeld der Frage nach, warum sich Deutschland in den letzten zehn Jahren so stark verändert hat – und erzählt dabei auch seine eigene Geschichte zwischen Hoffnung, Enttäuschung und der Suche nach Zugehörigkeit.

Herr Gutsfeld, Ihr Podcast trägt den provokanten Titel «Nicht Mehr Mein Land». Wann war für Sie der Moment, an dem sich dieses Gefühl erstmals eingestellt hat?
Für meine Recherche war ich an ganz verschiedenen Orten in Deutschland: in einem Schloss in Regensburg, bei einem Streik der Ford-Arbeiter in Köln und beim Winterfest der AfD in Finsterwalde in Brandenburg. Beim AfD-Winterfest bin ich schon ins Zweifeln gekommen. Nicht, weil die Leute dort nicht freundlich zu mir waren – das waren die meisten. Sondern weil ich das Gefühl hatte: Die AfD-Anhänger dort leben in einer ganz anderen Realität als ich, glauben an eine andere Wahrheit. Das hat es sehr schwer gemacht, ins Gespräch mit ihnen zu kommen. Und als dann auf dem Fest alle “Ausländer raus!” gegrölt haben und später dann die deutsche Nationalhymne gespielt wurde und ich als einziger nicht gesungen habe – da habe ich mich schon sehr allein gefühlt und zum ersten Mal gedacht: Nein, das ist nicht mehr mein Land.

Sie erzählen sehr persönlich, dass Ihre Mutter Ihnen den Namen „Alexander“ gab, um es im Leben leichter zu haben. Wie hat dieser Name Ihr Leben geprägt – und wie hat sich der Blick darauf im Laufe der Jahre verändert?
Meine ägyptische Mutter hat mich Alexander genannt, also mir einen deutsch klingenden Namen gegeben, damit ich später mal einen Job und eine Wohnung finde. Aber sie hat sich eine Hintertür offen gelassen und mir den Spitznamen Ali gegeben – für meine Verwandten in Ägypten. Als Kind hab ich meinen Spitznamen geliebt und mich am ersten Schultag als Ali vorgestellt. Und ab da war ich halt der Ali. Aber spätestens als Teenager hab ich gelernt: Nicht alle mögen meinen Spitznamen. Und so hab ich mich oft lieber als Alexander vorgestellt. Bis zum Sommer 2015: Da hatte ich das Gefühl, dass Deutschland offener wird – und es irgendwann egal sein wird, ob ich Alexander oder Ali heiße. Heute, zehn Jahre später, bin ich froh, dass meine Mutter mich Alexander Gutsfeld genannt hat.

Der Sommer 2015 gilt vielen als Schlüsselmoment der jüngeren deutschen Geschichte. Sie waren damals stolz auf Ihr Land – was hat diesen Stolz damals ausgelöst?
Ich war damals vor allem überrascht. Darüber, wie offen und hilfsbereit die Menschen in Deutschland waren. Die Bilder von den Bahnhöfen, als Tausende die Neuen empfangen haben und Kekse und Wasser verteilt haben, haben mir Hoffnung gemacht, dass Deutschland ein besseres Land wird. Offener und emphatischer. Ein Land, in dem es irgendwann egal ist, ob ich Alexander heiße oder Ali.

Heute, zehn Jahre später, beschreiben Sie ein Land, in dem Migration für viele ein Schimpfwort geworden ist. Was ist aus Ihrer Sicht in dieser Zeit schiefgelaufen?
Ich glaube, dass wir verlernt haben, ruhig und optimistisch über Themen wie Migration zu reden. Viele haben inzwischen vor allem Angst, wenn sie an Migration denken. Vor kriminellen Migranten. Dabei sieht die Realität von Migration eigentlich ganz anders aus. Die allermeisten Migranten sind friedlich und haben ganz alltägliche Probleme. Und mit diesen Problemen müssen wir uns mehr befassen.

In Ihrem Podcast verknüpfen Sie persönliche Geschichten mit gesellschaftlichen Analysen. Gab es eine Begegnung oder Erzählung, die Sie selbst beim Produzieren besonders berührt oder überrascht hat?
Das war mein Wiedersehen mit meinem Freund Ramy. Er ist 2015 von Ost-Jerusalem nach Deutschland gekommen, um dort zur Bundeswehr zu gehen. Er hat Deutschland damals geliebt. Wir haben uns in Marburg im Studium kennengelernt und sind beste Freunde geworden. Aber dann hat Ramy Deutschland irgendwann wieder den Rücken gekehrt und gesagt: Das ist nicht mehr mein Land! Für den Podcast habe ich ihn wieder getroffen und ihn gefragt: Warum? Irgendwann habe ich in dem Gespräch gemerkt: Ich trage eine Mitschuld daran, dass Ramy so enttäuscht ist von Deutschland. Das war echt hart.

Sie greifen auch den zunehmenden Rechtsruck auf. Wie stark erleben Sie persönlich die Spaltung in der Gesellschaft – und wie wirkt sich das auf Ihr eigenes Leben aus?
Vor dem Podcast habe ich gemerkt: Obwohl ich sehr viel von dem Rechtsruck mitbekomme, in den Medien, in Reden von Politikern, kriege ich in meinem Umfeld gar nicht so viel davon mit. Deswegen habe ich mir für diesen Podcast vorgenommen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die ganz anderer Meinung sind als ich. Und ihnen zuzuhören. Manche Gespräche waren echt hart. Aber bei anderen hatte ich das Gefühl, dass wir uns näherkommen und voneinander lernen. Aber klar, auch ich bin von dem Rechtsruck betroffen, wenn auch lange nicht so stark wie viele meiner migrantischen Freunde.

Angela Merkels Satz „Dann ist das nicht mein Land“ spielt im Titel Ihres Podcasts mit an. Wie würden Sie diesen Satz heute, mit zehn Jahren Abstand, einordnen?
Ich finde den Satz sehr interessant: Weil sie damit zwei Versionen von Deutschland gegenübergestellt hat: Das Deutschland, das in der Not ein freundliches Gesicht zeigt. Und das andere Deutschland, das sich Migration verschließt – und in den letzten zehn Jahren immer stärker geworden ist. Spannend ist aber auch, dass dieser Satz heute von ganz unterschiedlichen Menschen gesagt oder zumindest gedacht wird. Nur meinen sie damit ganz verschiedene Dinge, je nachdem welche politische Meinung sie haben. Egal ob sie eher rechts sind, oder eher links - ganz viele Menschen sind gerade unzufrieden mit Deutschland.

Steigende Lebenskosten, kaum Wohnungen und mein Amt muss man sowieso Wochen warten. Schüren solche Faktoren zu Hass?
Ich weiß nicht, ob sie Hass schüren. Aber zumindest eine große Unzufriedenheit. Die dann wiederum von rechten Parteien genutzt wird, um Hass zu schüren gegen Migranten. Ich bin davon überzeugt, dass die steigende Ungleichheit ein großer Grund ist, warum viele Menschen unzufrieden sind in Deutschland. Und das macht es rechten Parteien leichter, die Schuld Migranten zuzuschieben. Obwohl die Gründe für die Probleme der Leute eigentlich woanders liegen.

Podcasts sind oft sehr persönliche Formate. Wie viel von Alexander – und wie viel von Ali – steckt in diesem Projekt?
Das ist mein erster Podcast, in dem ich mich bewusst Ali genannt habe. Weil dieser Podcast so persönlich ist. Und Themen streift, die mich als Ali, also als Sohn einer ägyptischen Mutter, betreffen: Rassismus, Migration, Rechtsruck. Gleichzeitig habe ich mich in der Recherche oft bewusst Alexander genannt. Zum Beispiel wenn ich mit Rechten geredet habe. Das hat es mir leichter gemacht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

«Nicht Mehr Mein Land» ist eine BR-Produktion. Wie wichtig war es für Sie, mit einem öffentlich-rechtlichen Sender zusammenzuarbeiten, gerade bei einem so politisch aufgeladenen Thema?

Ich wollte schon lange mit dem Bayerischen Rundfunk zusammenarbeiten. Ganz einfach, weil das Team um Till Ottlitz und André Dér-Hörmeyer da ganz tolle Podcasts macht. Aber klar, bei so einem schwierigen Thema war es natürlich auch sehr schön zu wissen, dass hinter mir ein Team steht, das journalistisch kompetent ist und mir auch inhaltlich helfen kann. Wir haben viel diskutiert. Davon hat der Podcast glaube ich sehr profitiert.

Vor zwei Jahren erschien «Das Lederhosen-Kartell»: Wie war das Feedback auf Ihre Reihe?
Ich werde bis heute auf das «Lederhosen-Kartell» angesprochen. Der Podcast war ein großer Erfolg und wird zum Glück immer noch gehört, ganz besonders zur Wiesn-Zeit, die ja auch bald wieder startet. Der Erfolg hat mir den Mut gegeben, es mit einem ganz anderen Thema zu versuchen, das aber mindestens genauso persönlich ist.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

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