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«RTL Direkt» geht – die Zuschauer werden es nicht vermissen

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Paukenschlag in Köln: Der Fernsehsender RTL beendet nach vier Jahren seine 22.15-Uhr-Nachrichten. Dass ein Ende kommen musste, war Fabian Riedner klar.

Mitten in der Corona-Pandemie versuchte RTL, seine Seriosität weiter auszubauen. Im Frühjahr 2020 stiegen nicht nur die Infektionszahlen durch die neue Lungenkrankheit, sondern auch das Interesse am linearen Fernsehen. Gleichzeitig bemerkten die privaten Fernsehsender, dass auch die Öffentlich-Rechtlichen mit Formaten wie der «Tagesschau» und «heute» sehr hohe Reichweiten erzielen konnten. In Köln musste Jörg Graf den Chefposten räumen – er wechselte zu RTL Studios, auch wenn etwa die große Krise rund um Verschwörungstheoretiker Michael Wendler bei «Deutschland sucht den Superstar» in seine Amtszeit fiel.

Sein Nachfolger wurde Henning Tewes, der zuvor mit dem Streamingdienst RTL+ betraut war. Er sollte RTL und die Streamingplattform enger verzahnen, wie es damals hieß. In Tewes’ Amtszeit fielen nicht nur die Design-Umstellung – die bis heute auf wenig Gegenliebe stößt – sondern auch die Einführung von «RTL Direkt». Die Idee eines RTL-«Tagesthemen»-Ablegers stammt ursprünglich vom kroatischen RTL-Ableger, wo die Sendung «RTL Direkt» seit vielen Jahren um 23.00 Uhr ausgestrahlt wird. Dort läuft sie 35 Minuten lang – allerdings nicht vor dem Mitternachts-«RTL Nachtjournal».

In der RTL-Chefetage platzierte Tewes die Sendung auf den einzig freien Sendeplatz und baute dafür das Spätprogramm des Senders um. Das hatte mitunter kuriose Auswüchse: Bei «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» wurde die quotenstarke Show für eine zehnminütige Nachrichtensendung unterbrochen. Während der Heim-Europameisterschaft durfte «RTL Direkt» sogar am Samstag und Sonntag auf Sendung gehen. Während Günther Jauchs «Wer wird Millionär?» dafür zweigeteilt wurde, hielt sich die Nachrichtensendung aus Berlin bislang immerhin an gewisse Grenzen. Eigenproduzierte Formate waren in der Regel um 22.15 Uhr ohnehin auserzählt.

Von der ursprünglichen Informations-Offensive ist heute kaum noch etwas übrig. In Kroatien läuft zusätzlich eine «RTL Aktuell»-Ausgabe um 16.30 Uhr – ein Konzept, das Tewes auch in Deutschland adaptieren wollte. Doch «Explosiv Stories» ist inzwischen ebenso Geschichte wie «Explosiv Weekend». Nach der Einstellung der «Gala»-Sendung in Berlin war «RTL Direkt» dort das letzte Überbleibsel einer größeren Ambition.

Mit Jan Hofer und Pinar Atalay holte RTL zwei prominente Gesichter vom Ersten. Ziel war es, ein eigenes «Tagesthemen»-Pendant zu etablieren. Doch genau das erwies sich als Bumerang: Die «Tagesthemen» brechen das ARD-Programmfluss regelmäßig, und schon lange tut sich Das Erste montags mit der Mischung aus Naturdokus, «hart aber fair» und den «Tagesthemen» schwer – viele Zuschauer wechseln lieber um 21.45 Uhr zum «heute journal».

Ist RTL mit seiner Nachrichtensendung also letztlich selbst gescheitert? Seit Jahren gibt es Probleme im Morgenprogramm. «Punkt 12» läuft als dreistündige Boulevardsendung nur noch solide, das «RTL Nachtjournal» hat längst seine besten Zeiten hinter sich. In den Kölner Messehallen kann man eigentlich nur noch auf «RTL Aktuell» stolz sein – die Sendung läuft seit über 30 Jahren werktäglich um 18.45 Uhr. Würde man aber gegen «heute» oder die «Tagesthemen» senden, wäre die RTL-Sendung nicht mehr relevant. Trotz der immer wieder laut werdenden Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen ist die Qualität der Nachrichten bei RTL kaum besser. Zwar wird man dort informiert – doch insbesondere «RTL Direkt» driftet nach dem wichtigsten Thema regelmäßig ins Seichte ab.

Oft endet der Informationsgehalt schon nach fünf bis sechs Minuten. Danach verkauft RTL eher Meinung und PR als Nachrichten. So sprach Pinar Atalay am Montag etwa vom Beginn eines großen Preiskampfs im Supermarkt – eine übertriebene Darstellung. Anschließend wurde eine Studie der hauseigenen Bertelsmann-Stiftung zitiert – Werbung in eigener Sache. Es folgten Kurznachrichten mit einem Vulkanausbruch, und schließlich durfte auch ein Hauch von «Explosiv» nicht fehlen. Man fragt sich, ob Pinar Atalay geahnt hatte, dass sie eines Tages auf dem Niveau einer Vorabendsendung arbeiten würde. Das letzte Drittel von «RTL Direkt» gleicht oft einem bunten Potpourri aus Boulevardschnipseln.

Der frühere RTL-Chef Helmut Thoma, der Anfang Mai verstarb, sagte einst: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Die Zuschauer werden also keine deutlich schlechtere Nachrichtensendung vermissen – sie werden schlicht auf die Alternativen bei ARD und ZDF zurückgreifen. Inga Leschek zog am Dienstag den Stecker und kündigte zugleich an, weiter ins Informationsprogramm investieren zu wollen. Doch unter ihrer Führung verschlechterte sich dieses deutlich. Jetzt muss sie liefern – sonst ist sie geliefert. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat in letzter Zeit bereits viele Unternehmensbereiche abgestoßen. Eine weitere Neuausrichtung dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

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