Hingeschaut

Raue als «Restaurantretter»: Falscher Ehrgeiz

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Die Zahl der Köche, die deutsche Wirtshäuser auf Vordermann bringen wollten, war lang. Mit Tim Raue versucht RTL ein weiteres Mal dem Genre neuen Schwung zu geben.

Sie hießen Ralf Zacherl, Martin Baudrexel, Mike Süsser, Christian Rach und Steffen Henssler. Ihre Aufgabe war die Renovierung und Überarbeitung von deutschen Gaststätten. Seit Jahren ist nur noch Frank Rosin übriggeblieben, der mit seiner Art die Fernsehzuschauer von Kabel Eins zu überzeugen weiß. Der gebürtige Koch aus Dorsten ist sich sicher, dass ein Kochtraining der Bodensatz sämtlicher Zusammenarbeit ist. Einfach nur die Kneipe neu einzurichten, zwei neue Gerichte auf die Speisekarte zu knallen und ein pompöses Fest zu feiern, rettet kein Gasthaus.

Mit „Abgefucktes Küchendesaster“ begrüßte «Raue – Der Restaurantretter» die inzwischen dritte Auflage des RTL-Formates, in der ein Profikoch deutsche Wirtshäuser vor dem Untergang bewahrt. Raue, der in Berlin geborene Koch, der in zahlreichen unterschiedlichen Küchen arbeitete, ist seit 2017 mit der ehemaligen Chefredakteurin des Magazins „Rolling Pin“, Katharina Wolschner, verheiratet. Zusammen sind die Raues nun da, um deutsche Quereinsteiger vor dem gastronomischen Super-GAU zu bewahren.

Nur wenige hundert Meter nördlich von Koblenz, in Vallendar, befindet sich die „Genussküche“ der Schwestern Anke und Eva. Tim Raue ist, anders als man ihn von anderen VOX-Shows kennt, äußerst freundlich und zuvorkommend. Wie sollte es bei solchen Formaten auch anders sein, die Speisekarte ist völlig überfrachtet und so lässt sich auch nicht vermeiden, dass das erste Essen erst nach einer Dreiviertelstunde die Küche verlässt. In dieser arbeiten nicht nur Eva, sondern auch die Aushilfen Mo und Sebastian, weshalb sich der Zuschauer fragt, was die drei dort so lange fabrizieren. Die meisten Zutaten kommen aus dem Discounter, in dem wohl auch Anke und Eva weiterhin arbeiten.

Nach dem Probeessen, bei dem nicht alles mundet, was die drei für Tim Raue und noch vier weitere Gäste kochten, kommt es zur harten Aussprache. Unter anderem wird dem Kamerateam offenbart, dass die Mitarbeiter seit mehreren Monaten nicht bezahlt wurden. Angesichts des Fachkräftemangels ist es verwunderlich, dass die Aushilfsköche das mit sich machen lassen. Es ist den Schwestern auch überhaupt nicht klar, dass das Aufschieben von Krankenkassen und sozialversicherungspflichte Steuern sie in Teufels Küche bringen könnte. Dann wären ihre Burger, auf die sie stolz sind, ihre letzte Mahlzeit.

Obwohl die zwei Schwestern und die zwei Aushilfsköche sich tagsüber auf den Füßen stehen, ist die Küche verdreckt. Zahlreiche Geräte funktionieren entweder nicht richtig, sind kaputt oder wurden über Wochen nicht gereinigt. Auch Rechnungen der Behörden, Lieferanten und anderen Gläubigern werden seit Wochen nicht geöffnet. Man ahnt schnell: Hier wird es wohl noch zu einem Showdown kommen. Doch zunächst beschwichtigt Tim Raue in der Küche, man werde ja schon alles schaffen, man müsse nur die Karte straffen und einen Weg finden. Oder ist das einfach nur falscher Ehrgeiz vor dem TV-Publikum?

Am nächsten Morgen kommt Schuldenberater Ralf in die „Genussküche“, um den Status Quo aufzuzeigen. 70.000 Euro sind die Schwestern inzwischen in der Kreide, darunter wichtige Posten wie Krankenkassen und Mitarbeiter. Den zwei Besitzerinnen werden also drei Möglichkeiten aufgezeigt: Das Restaurant schließen, „weiterwurschteln“ und mit den Gläubigern verhandeln oder Insolvenz anmelden. Sie entscheiden sich – wohl aus Naivität – für das Weitermachen. Eine Insolvenz hätte ihnen zumindest die Lohnkosten erspart, einen möglichen Schuldenschnitt gegeben und dafür gesorgt, dass sie nicht noch weiter in die Misere kommen.

Darüber hinaus können die Schwestern einen Catering-Auftrag annehmen, bei dem sie bis zu 300 Personen bekochen können. Doch diese Aufgabe, die am selben Tag wie der Neueröffnung stattfindet, entpuppt sich dann doch eher als Verkaufsfest und so schlagen sich die vier Köche eher suboptimal. Schlussendlich war dies eine Nullnummer, immerhin habe man das neue „Schwesterlein“ (so der umgetaufte Name des Restaurants) in Valledar bekannter machen können. Die übrige Sendezeit wird mit ein wenig gemeinsamen Kochen, ein bisschen Einkaufen beim Großhändler, Reparatur von Geräten und Umstyling des Ladens gefüllt. Gerade Rezepte vom Profikoch fehlen, Kabel Eins pflegt seit Jahren eine ausführliche Datenbank von Frank Rosin auf der Homepage und gibt in der Sendung ein paar Tipps mit an die Hand.

Dem Fernsehzuschauer wird schnell klar, dass die Schwestern weder die geborenen Köchinnen noch die gelernten Betriebswirtschaftler sind. Man könnte spöttisch sagen, sie gehören zu dem Wasserkopf, der unnötige Kosten verursacht. Schon bei der Eröffnung, bei der die vier Mitarbeiter nur noch als Statisten dienen und Tim Raue allein in der Küche steht, setzt sich die Vermutung durch: Das Lokal wird nicht überleben. Einige Woche später kommen die Raues wieder, man habe am Wochenende ganz guten Umsatz, aber unter der Woche laufe es mäßig. Keine Überraschung, dass das „Schwesterlein“ in den Ruhestand ging. In der Sendung wurde zwar auch auf die gestiegenen Energie-Preise verwiesen, aber mit ein paar fancy Burgern für ein paar Studenten in einem hippen Berliner-Neukölln-Style lässt sich weder das große Geld verdienen noch ein Schuldenberg abbauen.

«Raue – Der Restaurantretter» ist zwar durchaus unterhaltsam, das kann man der Produktionsfirma Warner Bros. und RTL wirklich nicht verübeln. Es ist auch sehr gut hergestellt, aber man hat diese Art von Fernsehen gefühlt über 50-mal gesehen. Schade.

«Raue – Der Restaurantretter» läuft dienstags bei RTL und kann bei RTL+ gestreamt werden.

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