Hingeschaut

Weltuntergangs-Schicksal am Vorabend

von
Quotenmeter.de rezensiert die erste Episode der neuen Sat.1-Reality «Schicksale».

Das neue Vorabend-Format «Schicksale – und plötzlich ist alles anders» konnte schon kürzlich als Testlauf in Sat.1 auf dem Sendeplatz um 17.30 Uhr gute Quoten in der werberelevanten Zielgruppe einfahren. Sogar solch gute, dass der Sender entschied, die Scripted Reality auf dem Sendeplatz um 19.00 Uhr als Ersatz für die endende Telenovela «Eine wie keine» auszustrahlen. In der neuen Sendung werden titelgebend bestimmte, lebensverändernde Schicksale normaler Menschen gezeigt. Dem allgemeinen Trend folgend, setzt das Format auf geschriebene, unechte Fälle und Laienschauspieler.

Die erste Sendung behandelt das „Schicksal“ Kindesentführung: Eine junge Mutter und ihr Freund brauchen eine Babypause und wollen verreisen. Die Vorbereitungen auf ihren Urlaub erledigen sie in einem Einkaufszentrum. Während die Mutter in der Umkleidekabine einen passenden Strandbikini finden will, wird ihr Kind mitsamt des Kinderwagens geklaut – als sie die Kabine verlässt, findet sie einen anderen Kinderwagen und eine Babyattrappe darin vor. Die Entführerin ist eine unfruchtbare junge Frau, die sich mit ihrem Mann nichts sehnlicher wünscht als ein Kind. Sie beschließt daher, im Einkaufszentrum ein Baby zu entführen und sich ihren größten Wunsch zu erfüllen: endlich eine Mutter zu sein. Am Ende wird sie auf Verdacht ihres Mannes von der Polizei gestellt und festgenommen.

Dargestellt wird «Schicksale» im typischen Doku-Stil: Schnelle Einstellungen und Schnitte, verwackelte Kamerabilder und normal sprechende Laienschauspieler suggerieren dort Reality-Doku, wo wieder einmal nur Fake-Doku drin ist. Das Format zeichnet sich (im negativen Sinne) dadurch aus, dass es die behandelten Fälle überdramatisiert. Zeitweise assoziiert der Zuschauer mit den dramatischen Bildern, der pathetischen unterlegten Begleitmusik und den teilweise verwendeten Slowmotions gewisse Weltuntergangsszenarien aus Hollywood-Blockbustern. Diese konstante Überdramatisierung wirkt geradezu lächerlich. Ständige Einblendungen des Handlungsortes sowie Uhrzeit in Digitalanzeige erinnern an das Stilmittel aus «Akte X» – die Digitalanzeige in Verbindung mit dem Szenenwechsel-Splitscreen ist sogar deutlich von «24» abgeschaut. Leider geht es in «Schicksale» aber nicht wie in «24» darum, die Welt zu retten, sondern lediglich um einzelne Fälle normaler Menschen. Die dramatischen Stilmittel, beispielsweise auch der fürchterliche Off-Kommentar, sind daher völlig deplatziert.

Genau dies aber ist das Alleinstellungsmerkmal der Scripted Reality. Die dreiste Stilisierung der dargestellten Menschenschicksale erinnert an die Sat.1-Crime-Dokus wie «K11», die ebenfalls stark auf das dramatische Moment setzen. Dort wirkt dies aber aufgrund der gefährlichen Polizeiarbeit noch halbwegs authentisch – bei «Schicksale» aber eben nicht mehr. Ob die neue Sendung quotenmäßig trotzdem (oder gerade deswegen) am neuen Sat.1-Vorabend funktioniert, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen. Sollte sie sich als Erfolg herausstellen, wäre ein neuer Punkt in der Entwicklung des Genres „Scripted Reality“ erreicht: Denn dann hätte es erstmals bei einem der großen Sender auch den Vorabend erobert.

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