Interview

‚Das Ausmaß der gesellschaftlichen Ächtung des Frauenfußballs war im Rückblick schon atemberaubend‘

von

Regisseur Torsten Körner blickt in seiner Dokumentation «Mädchen können kein Fußball spielen» auf das gesellschaftliche Bild der Männer auf die Frauen im Sportbereich.

Herr Körner, was war der Auslöser für Sie, gerade jetzt den Film «Mädchen können kein Fußball spielen» über die Anfänge des Frauenfußballs in Deutschland zu machen?
Als ich vor einigen Jahren an dem Film «Schwarze Adler» arbeitete, war es mir wichtig Perspektiven von Spielerinnen und Spielern dabei zu haben. Daher sichtete ich auch viel Archivmaterial zum Frauenfußball. Dabei begegneten mir die von heute aus betrachtet unfassbar dummen und herablassenden und auch sehr sexistischen Berichte über den Frauenfußball. Und da war völlig klar, dass dort eine „gute“ Geschichte liegt, ein Drama, auch eine Heldinnengeschichte.

Der Titel «Mädchen können kein Fußball spielen» ist provokant. Warum haben Sie sich für diese Formulierung entschieden – und wie reagierten Ihre Protagonistinnen darauf?
Der Titel ist einfach ein Zitat aus dem Interview mit Anne Trabant-Haarbach. Dieser Satz ist beinahe jeder Protagonistin unseres Films begegnet, alle mussten mit diesen Ressentiments klar kommen. Und klar, heute ist dieser Satz weit weniger verbreitet und das Gegenteil längst bewiesen, dennoch gibt es immer noch Vorbehalte gegen den Frauenfußball.

Sie zeigen, wie Frauen jahrzehntelang gegen Widerstände spielen mussten – was hat Sie bei der Recherche am meisten erschüttert oder überrascht?
Das Ausmaß der gesellschaftlichen Ächtung des Frauenfußballs war im Rückblick schon atemberaubend. Wie sich selbst fortschrittlich wähnende Männer sich über den Fußball der Frauen verächtlich und herablassend äußerten, war erschreckend. Mir war nicht klar, dass aber auch viele Frauen der damaligen Zeit fanden, dass sich Frauenfußball nicht gehörte. Die Pionierinnen des Frauenfußballs hatten also keineswegs die Solidarität aller Frauen.

Der Film vereint Zeitgeschichte, Sport und Emanzipation. Wie haben Sie den richtigen Ton gefunden, um diese unterschiedlichen Ebenen zusammenzubringen?
Ich denke, wenn man sich auf die Biographien der Spielrinnen einlässt, ist das kein Kunststück, diese unterschiedlichen Aspekte zu vereinigen. Wir sind ja als Menschen Gemischtwarenläden auf zwei Beinen und insofern fließt das alles in den Film ein, sofern man den Protagonistinnen richtig zuhört.

Sie sprechen im Regie-Statement von Ihrem „Fußballkind“, das erst spät von der Geschichte des Frauenfußballs erfuhr. War dieser Film auch eine persönliche Aufarbeitung?
Ja, sicher, ich habe in mir selbst die männliche Matrix des Fußballs analysieren und durchschauen müssen, um den Fußball der Frauen zu verstehen, erst dann erkannt man die eigenen Blickschranken und Vorurteile. Man muss ich selbst verdächtig werden, dann kann man sich in seiner eigenen Vorurteilsstruktur durchschauen, insofern war dieser Film auch ein Stück Selbstausleuchtung. Als ich in den neunziger Jahren mal gegen eine junge Frau Fußball gespielt habe, hat mich das sehr verunsichert, weil ich nicht wusste, wie ich gegen sie spielen sollte. Erst heute habe ich wirklich verstanden, warum ich so unsicher war: Ich wollte - unbewusst - das Spiel für mich.

Wie wichtig war es Ihnen, auch ostdeutsche Perspektiven in den Film einzubinden – zumal die DDR den Frauenfußball offiziell nie verbot, ihn aber ebenso wenig wirklich förderte?
Die Perspektiven der ostdeutschen Frauen einzubinden war ganz wichtig, weil man insofern die systemübergreifenden Ressentiments der Männer in Ost und West sichtbar machen konnte. Allerdings war der Frauenfußball in der DDR ganz anders organisiert und der Widerstand der Männer nicht so heftig, einschneidend. Deshalb war aber auch das narrative Potenzial anders gelagert, es war nicht so dramatisch wie bei den Fußballschwestern aus dem Westen. Diese Disbalance erzählend auszugleichen, war nicht so leicht, aber mit Ronald Rist hat ein exzellenter Editor den Film geschnitten, ohne ihn wäre das gar nicht gelungen.

Viele Archivbilder und O-Töne wirken heute fast absurd rückständig – wie sind Sie mit dieser Mischung aus Empörung und unfreiwilliger Komik umgegangen?
Die Archivstücke sind mitunter so komisch, gruselig komisch, dass man sich nicht mitreißen lassen darf von dieser Hülle und Fülle grotesker Szenen. Man muss das Material vielmehr auch sehr ernst nehmen, sonst versteht man weder die Zeit richtig noch unsere Protagonistinnen in ihr. Man sollte sich auch nicht überheben und so tun, als würde man selbst vollkommen frei sein von Vorbehalten oder sexistischen Perspektiven. Immer wenn man Filme über die Vergangenheit macht, sollte man darauf achten, nicht zum pedantischen Besserwisser zu mutieren.

Was können heutige Fußballfans – egal welchen Geschlechts – aus der Geschichte der Pionierinnen lernen?
Aufstehen, Schuh zubinden, weiterspielen. Stärker weiterspielen. Und nach dem Spiel nachdenken: Wem gehört der Fußball? Schließt der Fußball gerade Menschen aus, von denen wir denken, sie gehören nicht auf’s Spielfeld? Man ist kein Weichei, wenn man die Hypermaskulinität des Männerfußballs hinterfragt.

Der Film erscheint pünktlich zum Start der Frauen-EM. Was erhoffen Sie sich vom Publikum – besonders im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung des Frauenfußballs?
Ob Männer oder Frauenfußball, es ist immer gut sich mit der Geschichte des Sports auseinanderzusetzen. Dem Frauenfußball wünsche ich, dass er seine Heldinnen entdeckt. Junge Spielerinnen brauchen auch Vorbilder und lange Zeit haben sich auch Mädchen an männlichen Stars orientiert. Wir brauchen auch mehr weibliche Stars.

Wenn Sie heute mit jungen Spielerinnen sprechen: Wie sehr ist der Satz „Mädchen können kein Fußball spielen“ wirklich Vergangenheit – oder erleben Sie, dass er noch mitschwingt?
Die meisten jüngeren Spielerinnen machen solche Erfahrungen nicht mehr. Bei der Fußball-EM in England 2022 ist Alexandra Popp zur Heldin geworden, ihre Intensität und ihre Tore, ihre Leidenschaft war beeindruckend. In dem Sommer 2022 sah man auch manchen Jungen, der mit einem Popp-Trikot herumlief. Ich hoffe, dieser Trend geht weiter.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Den neuen Dokumentarfilm von Torsten Körner zeigt Das Erste am 4. Juli 2025 im Anschluss an das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz.

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