
Regisseur Rick Ostermann und Drehbuchautor Arndt Stüwe nehmen sich in sechs Episoden der Unfassbarkeit des Unfalls an, der als zentrales Ereignis alle Figuren miteinander verknüpft: Ein Reisebus verunglückt auf der Autobahn – und in den darauf folgenden Stunden und Tagen zerfallen Gewissheiten, Identitäten und Beziehungen. Jede Episode stellt eine andere Figur in den Mittelpunkt, und doch entsteht am Ende ein Gesamtbild: ein Mosaik aus Trauer, Schuld und dem zähen Ringen um Verantwortung.
Die Struktur erinnert an Filme wie «L.A. Crash» oder «The Hours»: fragmentarisch, aber präzise komponiert. Stüwes Drehbuch vertraut auf die Intelligenz des Publikums – es erklärt nicht, sondern zeigt. Der Verzicht auf übermäßige Dramatisierung erweist sich als kluge Entscheidung. Statt Spektakel inszeniert Ostermann das, was nach der Katastrophe bleibt: Leere, Sprachlosigkeit, die Suche nach einem neuen Sinn. Dabei wahrt die Serie stets einen respektvollen Abstand zu den Figuren – ohne sie je kalt zu betrachten.
Die erste Folge, die sich um den Busfahrer Theo (Felix Kramer) und dessen Familie dreht, legt das emotionale Fundament. Kramer verleiht dem abwesenden Toten eine bedrückende Präsenz. Die Ermittler Anne Goldmundt (Lia von Blarer) und Jan Auschra (Robert Stadlober) dienen dabei weniger der klassischen Krimilogik als vielmehr der moralischen Erkundung: Sie sind Spiegel dessen, was wir wissen wollen – und vielleicht doch lieber nicht erfahren sollten.

Auch die dritte Episode, getragen von Max von der Groeben als traumatisiertem Feuerwehrmann Jesper, überzeugt durch eine deutliche physische Intensität. In der klaustrophobischen Enge des umgestürzten Busses verdichten sich Action, Psychodrama und Erinnerung zu einem beklemmenden Kammerspiel. Alles wirkt unmittelbar, aber nie effekthascherisch.
Doch nicht jede der sechs Folgen erreicht diese Dichte. Die Episode um Sofia (Antonia Moretti) beispielsweise, die ihr Gedächtnis verliert, trägt stellenweise zu dick auf, wenn die Suche nach Identität fast schon symbolüberladen erscheint. Und doch hat auch sie ihre Momente – etwa dann, wenn Moretti mit entwaffnender Verletzlichkeit eine Frau spielt, die erst durch den Verlust ihrer Erinnerungen erkennt, wie viel Schmerz sie verdrängt hatte.

Was die Serie besonders macht, ist ihre Haltung: Sie will nicht moralisieren, nicht anklagen, nicht versöhnen. Sie zeigt, wie aus einem Moment der Unachtsamkeit eine Kettenreaktion entsteht, die niemand mehr kontrollieren kann. Dabei gelingt ihr ein seltenes Kunststück: Sie ist zugleich empathisch und analytisch, poetisch und präzise. «Hundertdreizehn» ist kein Meisterwerk – dafür leistet sich das Format hier und da erzählerische Redundanzen und ein etwas zu glattes Finale. Aber sie ist eine der wenigen deutschen Produktionen, die das Thema Schuld und Verantwortung mit solcher Ernsthaftigkeit und filmischen Sorgfalt behandeln. Eine Serie, die bleibt – nicht wegen ihrer Wendungen, sondern wegen ihrer leisen Wahrhaftigkeit.
Die sechsteilige Miniserie «Hundertdreizehn» wird am Dienstag, den 14. Oktober, und Mittwoch, den 15. Oktober jeweils ab 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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