
Formal setzt das Buch auf das bewährte Prinzip: Infografiken, Karten und Kurztexte, die in pointierter, bildstarker Form Wissen vermitteln – schnell konsumierbar, aber mit Tiefe, sobald man genauer hinschaut. Jede Karte ist ein „Türöffner“, der ein Thema aufgreift und mit einer Mischung aus Statistik, Alltagsbezug und staunenswerten Details erklärt. Dass dabei Humor und Didaktik keine Gegensätze sind, ist das Grundversprechen dieses Bandes – und es wird über weite Strecken eingelöst.
Was erwartet Leserinnen und Leser? Zum Beispiel die Frage, wie Bier half, hunderte Leben zu retten – ein Verweis auf historische Beobachtungen, dass vergorene Getränke in Zeiten kontaminierter Wasserversorgung sicherer waren und so indirekt den Weg für neue wissenschaftliche Einsichten ebneten. Oder: Was haben Aale auf Kokain mit der Toilette zu tun? Eine Karte führt in die Welt der Abwässer, in denen sich Spuren unseres Konsums – von Medikamenten bis Drogen – nachweisen lassen und über die Gewässerökologie zurück in natürliche Kreisläufe wirken. Dazu kommt Alltagspraktisches: Wohin verschwindet unser Spülwasser? – samt Blick in Kanalisation, Kläranlage und die oft übersehene Infrastruktur, die moderne Städte überhaupt erst möglich macht.
Die Bandbreite reicht von Fäkalsprache im Bundestag (und was rhetorische Derbheiten über politische Kultur verraten) bis zu gefrorenem Kot auf dem Mount Everest – eine drastische, aber notwendige Erinnerung daran, dass Massentourismus selbst ganz oben Probleme hinterlässt, wenn Entsorgungssysteme fehlen. Zwischendrin: lukrative Geschäfte, denn wo Not ist, entsteht auch ein Markt – von Sanitärtechnologien bis „Resource Recovery“ (Nährstoffe zurückgewinnen statt wegspülen).
Wer Goldeimer kennt, weiß: Hinter den Kalauern steckt Anliegen. Als Social-Business aus dem Umfeld von Viva con Agua hat Goldeimer seit Jahren den Anspruch, Toiletten als Menschenrecht sichtbar zu machen. In Verbindung mit KATAPULTs prägnanter Visualisierung entsteht hier ein Aufklärungsbuch, das Bildungsarbeit und Unterhaltung verbindet. Die Karten liefern konkrete Anknüpfungspunkte für Schule, Hochschule, Redaktion – oder den nächsten Familienabend, an dem man mehr als Anekdoten teilen möchte.
Stark ist der Band immer dann, wenn er Komplexität knapp macht: Mikroplastik und Mikroorganismen im Abwasser, globale Sanitärstatistiken, Ungleichheit zwischen Ländern, Klimabilanz von Abwasserbehandlung, Kompost-Toiletten und Kreislaufwirtschaft – jede Karte ist eine Mini-Reportage, die Lust auf Vertiefung weckt. Der Ton: frech, aber nie zynisch; anschaulich, aber nicht simpel. Die Visualisierungen sind – KATAPULT-typisch – klar, kontrastreich und so gestaltet, dass Zahlenbilder hängen bleiben.
Natürlich lebt das Konzept von Pointen. Aber dort, wo es zählt, ist „65 Karten über Kacke“ ernsthaft: Der Band erinnert daran, dass die Toilette die „zweitwichtigste Erfindung der Menschheitsgeschichte“ genannt wird, weil sie Krankheiten verhindert, Städte hygienisch macht und Lebenschancen erhöht. Wer Zugang zu sanitärer Grundversorgung hat, lebt länger, gesünder – und würdiger. Diese Verbindung von Lachmuskel und Lernkurve ist die große Stärke des Buchs.
Ein kluges, visuell starkes und erstaunlich politisches Sachbuch im Kartenformat, das Tabus lüftet und Wissenslust weckt. „65 Karten über Kacke“ eignet sich als Geschenk, Gesprächsanstoß und Grundlagenwerk für alle, die verstehen wollen, wie eng Alltag, Infrastruktur und globale Gerechtigkeit zusammenhängen. Man blättert schmunzelnd los – und legt es mit neuem Respekt für unsichtbare Systeme und öffentliche Güter aus der Hand. Genau so sollte Wissensvermittlung 2025 aussehen,
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