Interview

Lars Kraume: ‚Ohne das ZDF wäre dieses Projekt nicht zu Stande gekommen‘

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Der Autor und Regisseur hat mit «Der vermessene Mensch» ein schwieriges Thema über Rassentheorie bearbeitet.

Hallo Herr Kraume! Mit «Der vermessene Mensch» haben Sie ja einen hochbrisanten Film erschaffen: Es geht um die Rassentheorie im 19. Jahrhundert. Warum haben Sie sich für einen solch schwierigen Stoff entschieden?
Ich habe diesen Film, weil es mich stört, dass der Völkermord an den Herero und Nama in weiten Teilen der Bevölkerung in Deutschland ignoriert wird, gedreht. Der Völkermord wird selten in den Schulen unterrichtet und ist im kollektiven Bewusstsein kaum vorhanden. Mir ist natürlich bewusst, dass das ein sehr politischer Film ist und ein hochsensibles Thema. Wenn sich Deutschland aber nicht irgendwann seiner Kolonialvergangenheit stellt, dann wird es auch schwer, eine konstruktive Zukunft mit den Menschen in ehemaligen Kolonialgebieten aufzubauen. Unser Film soll ein Beitrag dazu sein, die Diskussion um Kolonialverbrechen breiter in der Öffentlichkeit zu fühlen.

In «Der vermessene Mensch» möchte Alexander Hoffmann das Lebenswerk seines Vaters fortführen. Er ist allerdings angewidert vom Vermessen der Schädel, worauf sein Vater seine Schlussfolgerungen fußte. Welche Taten begegnen den Fernsehzuschauern eigentlich noch?

Die Ereignisse in Namibia zwischen 1904 und 1908 waren grausam. In dem ich einen deutschen Ethnologen ins Zentrum der Geschichte gestellt habe, wollte ich einen Weg finden, dieses Grauen zu beobachten, aber möglichst wenig rehtraumatisierende Bilder der Gewalt gegen schwarze Menschen herstellen zu müssen. Ganz vermeiden lässt sich die Gewalt aber nicht in einem Film, der von einem Völkermord erzählt. Lothar von Trothas Vernichtungsbefehl gegen die Herero und später folgten Einrichtungen, systematische Vergewaltigungen, Zwangsarbeit in Konzentrationslagern und im Fall der Herero, die Flucht durch Wüste, bei fast das ganze Volk zu Tode kam. Im Konzentrationslager auf der Haifischinsel wurden zudem kistenweise Schädel verpackt und in deutsche Völkerkundemuseen geschickt. Bis heute lagern Tausende dieser Schäden in Deutschland und müssen restituiert werden.

«Panorama» packte die Völkerschauen im Hamburger Zoo aus, Jan Böhmermann berichtete von den Verbrechern an den Hereros. Haben wir zu lange mit der Vergangenheitsbewältigung gewartet?
Ja.

Wie lang hat der Schreibprozess des Drehbuchs gedauert und haben Sie schon vorab Namibia und andere Länder bereist?
Ich arbeite seit vier Jahren in diesem Film. Ursprünglich wollte ich den Roman „Morenga“ von Uwe Timm neu verfilmen. Da die Geschichte, aber von Soldaten der so genannten Schutztruppe handelt, hatte ich sorge, zu viel Gewaltbilder drehen zu müssen. Insgesamt habe ich acht Drehbuch-Fassung geschrieben und mich bei dieser Entwicklung der Geschichte von der Hauptdarstellerin Girley Jazama, Ida Hoffmann und auch Uwe Timm beraten lassen. Ich habe dazu im Nationalmuseum, Windhuk, im Nationalarchiv in Windhuk, und in einigen der hervorragenden Bücher von Historikern aus Deutschland und Afrika recherchiert. Der Produzent Thomas Kufus und ich sind von Anfang an mehrfach nach Namibia gereist, um mit Aktivisten und Kulturschaffenden dieses Projekt gemeinsam aufzubauen. Ich war auch in anderen Ländern in Afrika, aber nicht im Zusammenhang mit diesem Film.

Leonard Scheicher und Girley CharlenaJazama spielen die Hauptrolle. Wie kam der Auswahlprozess zustande?
Leonhard Scheicher und ich hatten bereits einen anderen Film zusammen gedreht, das «Schweigende Klassenzimmer». Die Figur Hoffmann ist eine wirklich große Herausforderung für ein Jungschauspieler, und ich denke, dass die gemeinsame Erfahrung und das Vertrauen, dass Leonard und ich zueinander haben viel geholfen hat.

Girley kam durch ein Casting in Windhuk zu uns. Nachdem ich ein kurzes Band von ihr gesehen hatte, wusste ich sofort, dass sie eine herausragende Schauspielerin ist. Wir haben uns dann getroffen, und zufällig lief ihr Film «The White Line» im Kino. Ich habe das Drehbuch von da an mit ihrer Beratung weiter entwickelt und wusste, dass sie eine wichtige Stimme in diesem Film wird.

Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Szenenbilder Sebastian Soukup und Ihnen aus?
In den Abteilungen Kostüm, Bild und Szenenbild, war es schwierig, akkurate Recherchen anzustellen, da zu dieser Zeit kaum fotografiert wurde. Es gibt nur eine Handvoll Bilder. Sebastian Soukup war vermutlich fast ein halbes Jahr in Namibia und hat mit einem Team, den Film vorbereitet. Für die Herstellung des Hero-Dorfes, dass im Film angegriffen wird, braucht er zum Beispiel Unterstützung einer Gruppe von Himba, unter der Leitung von John Tjipurua. Unsere Zusammenarbeit war sehr gut, und ich finde das Sebastian und alle Beteiligten eine großartige Arbeit gemacht hat.

«Der vermessene Mensch» wurde mehrfach auf der Berlinale ausgestrahlt. Wurden Sie auf Ihre Arbeit angesprochen und waren Sie anwesend?
Ja, ich war auf der Berlinale und habe einige Gespräche geführt. Danach sind wir nach Namibia gefahren und haben eine Reise mit dem Film durch das Gebiet der Herero gemacht. Da es in diesen Gemeinden keine Kinos gibt, haben wir den Film nachts Open-Air projiziert. Die Gespräche, die wir dort geführt haben, werde ich nie vergessen. Begegnung mit einem Publikum, für das ist sehr wichtig ist, dass die Deutschen irgendeine Geschichte nicht vergessen.

WunderWerk, Akzente Film & Fernsehproduktion und Studiocanal sind neben dem ZDF an dem Spielfilm beteiligt. Wie wichtig sind Filmförderungen und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zur Produktion von deutschen Spielfilmen?
Das ZDF war von Anfang an diesem Film beteiligt. Ohne diese Mitarbeit wäre das Projekt nicht zu Stande gekommen. Für die Kino-Auswertung sind in Deutschland Studiocanal und international Picture Tree am Bord. Das Projekt wurde gefördert vom Medienbord Berlin-Brandenburg, der Filmstiftung NRW und MOIN, der Filmförderung in Hamburg. Die FFA kam auch dazu. Allen Partnern bin ich natürlich sehr dankbar, dass sie das Projekt unterstützt haben, denn ohne die Förderungen geht es nicht. Es war allerdings ein langer Weg. Der Produzent Thomas Kufus hat erstaunliche Risiken auf sich genommen, um diesen Film möglich zu machen. Außerdem muss man sagen, dass die Situation für den Kinofilm in Deutschland nicht leichter wird. Wenn wir weiter Kinofilme machen wollen, dann müssen wir etwas an unseren Finanzierungsstruktur ändern. Vor allem dürfen die öffentlichen Senderanstalten sich nicht aus dem Kino-Koproduktionen heraus ziehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

«Der vermessene Mensch» ist im Kino zu sehen.

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