Die Kino-Kritiker

«Cherry – Das Ende aller Unschuld»: Wenn Superhelden fremdgehen

von

«Spider Man»-Darsteller Tom Holland ist mit Ciara Bravo in der jüngsten Russo-Brüder-Verfilmung zu sehen. Lohnt sich der Film für eine Apple-Abo?

Bis vor kurzem stand «Avengers: Endgame» noch an der Spitze der kommerziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Mit der Wiederaufführung von James Camerons «Avatar» wurde die Marvel-Verfilmung wieder auf den zweiten Platz verwiesen, wenn auch nur knapp. Zumindest sollten die Regisseure Anthony und Joe Russo damit in Hollywood immer noch Narrenfreiheit besitzen. Nach der Mammutaufgabe, zwischen 2014 und 2019 gleich vier Superhelden-Epen rauszuhauen, haben sich die Brüder nun jedoch ein ganz anderes Folgeprojekt ausgesucht: «Cherry – Das Ende der Unschuld» nach dem auch hierzulande veröffentlichen Roman von Nico Walker.

Darin geht es so gar nicht mehr um übermenschliche Kräfte und die Rettung der Menschheit, vielmehr um menschliche Abgründe und ein Einzelschicksal. Also ein Drama mit autobiografischen Zügen über einen jungen Mann, der im Leben den Halt verliert. Gespielt wird dieser Cherry von Tom Holland, und damit sind wir dann doch wieder bei den Superhelden gelandet. Denn Holland ist der amtierende und jüngste Spider-Man-Darsteller, den die Russo-Brüder erstmals in «The First Avenger: Civil War» eingesetzt haben.

Kriegsheimkehrer im Sumpf des Verbrechens
Wir schreiben das Jahr 2002: Am College lernt Cherry (Tom Holland) die Liebe seines Lebens kennen. Seiner alten Freundin gibt der 18-jährige sofort den Laufpass, um fortan nur noch für Emily (Ciara Bravo) da zu sein. Doch das Mädchen ist sich unsicher, will sich ihre Gefühle nicht eingestehen und verkündet, in Kanada studieren zu wollen. Voller Frust meldet sich Cherry daraufhin zum Kriegsdienst. Als Emily jedoch zu ihm zurückkehrt und beide den Bund der Ehe eingehen, kann der Bräutigam seine Entscheidung nicht mehr rückgängig machen.

Cherry wird als Sanitäter der US-Armee in den Irak abkommandiert. Hier lernt er den Schrecken des Krieges kennen und kehrt zwei Jahre später traumatisiert in die Heimat zurück. Seine Angstzustände versucht er mit frei verfügbaren Schmerztabletten in Schach zu halten. Auch Emily leidet darunter. Gemeinsam beginnen sie Heroin zu spritzen. Als Emily daran fast stirbt, bittet Cherry sie, ihn zu verlassen. Um seinen Drogenkonsum finanzieren zu können, beginnt der Junkie, Banken auszurauben. Schließlich kommt der Tag, an dem er einen Schlussstrich ziehen muss.

Fürs Trauma drückt Tom auf die Tube
Na klar wollen sowohl die Russo-Brüder als auch Tom Holland mit der Adaption von «Cherry» beweisen, dass sie nicht nur in Fantasy-Welten agieren, sondern durchaus auch etwas ‚Anspruchsvolles‘ auf die Beine stellen können. Das wirkt manchmal jedoch etwas angestrengt, wenn sich die Regisseure auf visuelle Spielereien einlassen, um die Grenzen zwischen Realität und Drogentrip verschwimmen zu lassen oder Tom Holland zu sehr auf die Tube drückt, um das Trauma seiner Figur herüberzubringen.

Im Großen und Ganzen nimmt man ihm sein Spiel aus anfänglicher Euphorie und späterer Verzweiflung aber ab. Zumal er mit Ciara Bravo («Big Time Rush») ein glaubwürdiges Paar abgibt. Insgesamt bleibt es aber ein konventionell erzähltes Drogendrama, das mit fast zweieinhalb Stunden Spielfilmlänge etwas zu lang geraten ist. Der Erzählfluss gerät dadurch immer wieder ins Stottern und erst im letzten Drittel gewinnt der Film an dramaturgischer Kraft. Ab dem Moment, wenn Cherry zur Einsicht kommt, dass er etwas ändern muss und seinen eigenen Clou entwickelt, wie er wieder aus der fortwährenden Spirale nach unten herauskommt.

Der berührende Moment am Schluss
Die von ihm provozierte Konsequenz ist schmerzhaft – ein berührender Moment, der den ganzen Film dann doch noch sehr aufwertet. Man spürt eine emotionale Betroffenheit, die man sich gewiss auch schon vorher gewünscht hätte. Themen lagen genug auf dem Tisch. Aber weder werden auf die Belastungsstörungen von Soldaten nach einem Kriegseinsatz wirklich vertieft noch der zunehmende Missbrauch von frei verkäuflichen Schmerzmitteln in den USA, der bei immer mehr Amerikanern zu lebensbedrohlichen Abhängigkeiten führt. Daraus hätten die Russo-Regisseure durchaus mehr herausholen können. Umso mehr wird die Liebe der beiden Protagonisten hervorgehoben – nicht wirklich neu, aber zum Glück nie verkitscht.

Fazit: «Cherry» will eine anspruchsvolles Drogen- und Beziehungsdrama sein – was meistens gelingt, aber auch seine Längen hat und erst im letzten Drittel an Dynamik gewinnt.

«Cherry – Das Ende aller Unschuld» ist bei AppleTV+ zu sehen.

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