Interview

Henriette Lippold: ‚Haben heimlich durch die Fenster der OPs geschaut‘

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Am Dienstag startet die dritte Staffel der Serie «Charité». Quotenmeter sprach mit Produzentin Henriette Lippold.

Sehr geehrte Frau Lippold, was erwartet uns in der dritten Staffel der Serie «Charité»?
In der 3. Staffel der «Charité» geht es um den schicksalhaften Sommer des Jahres 1961. Für den allergrößten Teil der Bevölkerung wird vollkommen überraschend die Mauer gebaut und damit die DDR nun auch offensichtlich als eigenes Land abgeteilt. Das Spannende für uns war die Tatsache, dass die Grenze direkt am CHARITÉ-Gelände entlang verlief und somit Patienten und Ärzte direkt mit den Auswirkungen konfrontiert wurden.

Im Mittelpunkt der sechs Folgen steht wieder eine fiktive Frauenfigur. Diesmal gehen wir mit Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) auf die Reise, die aus Senftenberg nach Berlin berufen wird, um das durch die permanente Ärzteflucht stark gebeutelte Krankenhaus zu verstärken. Ihre Leidenschaft gehört aber eigentlich der Forschung. Sie hat dem Krebs den Kampf angesagt. Einen Förderer findet sie in der historisch belegten Figur Prof. Dr. Otto Prokop (Philipp Hochmair) – einer der Koryphäen an der CHARITÉ. Als Serologe, aber vor allem als Gerichtsmediziner hat er Bahnbrechendes geleistet. Neben Prokop lernt der Zuschauer auch Dr. Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf) und Prof. Dr. Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) kennen. Mit der Kinderärztin und dem Gynäkologen durchlebt der Zuschauer erneut viele emotionale Fälle und lernt enorm aus der Verbindung aus Zeit- und Medizingeschichte.

Die dritte Staffel wird in Doppelfolgen gesendet. Ist das ein Trend, dass man den Fans die Geschichten in kürzerer Zeit erzählen soll?
Ich denke eher, dass es auf die sich ändernden Sehgewohnheiten einzahlt. Immer mehr Zuschauer nehmen die non-linearen Angebote von Streaming-Anbietern und Mediatheken in Anspruch. Dort hat man seinen Lieblingscontent rund um die Uhr vollständig zur Verfügung. Eine Folge «Charité» geht 48 Minuten – recht kurz, wenn man eine Woche auf die Fortsetzung warten soll. Ich finde die Mischung aus Vorabsendung in der Mediathek und Doppelfolgen im TV einen zeitgemäßen Ansatz.

Haben Sie eigentlich ein Mitspracherecht in Sachen Ausstrahlungstermin und Doppelfolgen? Oder können Sie nur Vorschläge unterbreiten?
Wir sind mit unseren Redakteurinnen Jana Brandt und Johanna Kraus vom MDR im vertrauensvollen Austausch über all diese Fragen und natürlich wird auch das Für und Wider einer solchen Ausstrahlung diskutiert und abgewogen. Die letzte Entscheidung liegt jedoch beim Sender.

Seit drei Jahren kämpfen Drehbuchautoren in der Initiative „Kontrakt 18“ für mehr Mitspracherecht. Ist Charité unter diesen Gesichtspunkten entwickelt worden?
Wir nehmen „Kontrakt 18“ bei der UFA sehr ernst und haben schon vor der Initiative unsere Autoren gut in die Produktionsprozesse eingebunden. Die 3. Staffel der Serie haben wir anders als die ersten beiden in einem Writer‘s Room entwickelt, der in der Umsetzung nochmal anderen Regeln folgt, als eine Arbeit mit Einzelautoren. Dennoch gilt auch für den Writer‘s Room: ohne Buch kein Film. Die Autoren sind die Basis für alles, was kommt – umso glücklicher war der Umstand, dass wir Regisseurin Christine Hartmann dazu gewinnen konnten, ebenfalls als Autorin an den Büchern mitzuarbeiten. Dadurch konnte die erzählerische Vision der Geschichte 1:1 in die Umsetzung einfließen.

Die dritte Staffel beschäftigt sich mit dem Mauerbau. Wie sehen die Recherchen aus, um eine solche Geschichte ordentlich zu erzählen? Die Briten sind ja regelrecht ausgeflippt, dass einige Details bei «The Crown» nicht stimmten.
Wir bespielen einen Wendepunkt der deutschen Geschichte. Viele Menschen haben den 13. August 1961 miterlebt und ganz unterschiedliche Erinnerungen an den Tag selbst, aber auch an die Situation davor und danach. Spannend an der Auseinandersetzung mit dem Thema war, dass es nicht wenige Deutsche gab, die den Bau der Mauer zunächst begrüßt haben. Die großen Abwanderungsbewegungen von Ost nach West in den 50ern hatte dazu geführt, dass die junge DDR schon in einer Krise steckte. Fachkräfte fehlten allerorten und es drohte ein Kollaps vor allem der medizinischen Versorgung.

Diesen historischen Strömungen nachzuspüren war eine sehr interessante Aufgabe – zumal es noch so viele Zeitzeugen gibt. Wobei Erinnerungen natürlich sehr subjektiv sind. Um möglichst objektivierbare Wahrheiten aus individuell gemachten Erlebnissen zu generieren, haben wir wieder mit mehreren Beratern zusammengearbeitet, vor allem auch auf medizinischer Seite. Neben Prof. Schnalke vom medizin-historischen Museum der Charité, standen uns Dr. Hartwig, Prof. Tsokos und Dr. Mark Benecke zur Seite. Außerdem haben wir mit den Kindern der Familie Rapoport und Otto Prokops sprechen können und wertvolle Einblicke in die echten Biographien unserer historischen Figuren erhalten. Somit bleibt die „Charité“ ihrer Prämisse treu, Zeit- und Medizingeschichte, aber auch Realität und Fiktion miteinander zu verweben.

Wie arbeiten Sie eigentlich mit der Charité zusammen?
Wir haben einen sehr guten Austausch mit der CHARITÉ. Prof. Einhäupl und sein Nachfolger Prof. Kroemer standen und stehen dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüber. Allerdings war uns auch vor Corona klar, dass wir aus diversen Gründen nicht in Berlin an der echten CHARITÉ drehen können. In einem realen Krankenhaus sollte der Fokus auf Heilung und Ruhe liegen – da passen hektische Dreharbeiten nicht dazu. Wir haben alle drei Staffeln in Prag und Umgebung gedreht.

Apropos Corona: Wie sahen die Dreharbeiten unter der Pandemie aus?
Glücklicherweise konnten wir den Dreh vor einem Jahr noch vor dem ersten Lockdown beenden. Allerdings hat die Postproduktion unter Corona-Bedingungen stattgefunden. Das bedeutete, dass die Editoren Cosima Schnell und Andreas Althoff allein in jeweils getrennten Studios saßen und der Regisseurin Christine Hartmann am Abend ihren Arbeitsstand hochgeladen haben. Danach wurde telefonisch ausgewertet und Anmerkungen gemacht. So verliefen alle Arbeitsschritte. Das ist ein anderes und zum Teil umständliches Arbeiten, aber ich bin beeindruckt, wie professionell alle mit der Situation umgegangen sind.

In der ersten Folge der neuen Staffel beschäftigen Sie sich unter anderem mit dem Gerät „Eiserne Lunge“. Bereitet das Ihnen Freude, wenn Sie solche Themen anfassen dürfen?
Absolut. Ich selbst bin die Tochter eines Arztes und nur wenige Meter neben einem Krankenhaus mitten im Wald aufgewachsen. Es war für uns als Kinder das Größte, wenn wir heimlich durch die Fenster der OPs schauen konnten oder uns als Mutprobe in der Leichenhalle versteckt haben. Die Eiserne Lunge als Gerät hätte mich als Kind enorm begeistert. Es ist ein großes Privileg, dass wir mit der Serie Medizinern 1888, 1945 und nun 1961 über die Schulter schauen dürfen. Und damit auch ganz viel über den Stand und das Wissen der Zeit erfahren. Und wenn es dann noch solch tolle Geräte wie die Eiserne Lunge oder die Sauerbruchhand zu sehen gibt – umso besser!

Charité ist im Ersten ein Quotenerfolg, allerdings wird schon in Trailern darauf hingewiesen, dass die neue Staffel vorab in der Mediathek zu sehen ist. Mildert dies den Quotendruck?
Mittlerweile werden nicht nur die Quoten aus der linearen Auswertung, sondern auch die Klickzahlen der Mediathek bei der internen Bewertung eines Programms mit einbezogen. Ich glaube, dass die Mediathekenauswertung eine sehr sinnvolle Ergänzung ist und dem sich im Wandel befindenden Nutzungsverhalten der Zuschauer Rechnung trägt.

Charité ist auch bei Netflix verfügbar – und wird dort eifrig geschaut. Glauben Sie, dass die Netflix-Abonnenten die Serie als ARD-Inhalt wahrnehmen?
Naja, spätestens, wenn sie die Senderkennung am Titel sehen, ist klar, woher der Content stammt.

Vielen Dank!

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