Serientäter

«The Last Wave»: Frankreichs Serienprobleme

von   |  2 Kommentare

Frankreich ist eine große Kinonation. Aber im Fernsehen gehört Frankreich nur zur Kategorie Mitspieler und ist von der Champions League weit entfernt. Da steht die Grande Nation in Europa im Schatten der Briten, der Skandinavier, aber auch der Spanier, die immer wieder bemerkenswerte Produktionen auf den Bildschirm bringen. «The Last Wave» wird an diesem Kräfteverhältnis, zumindest aus den ersten Blick, auch nicht viel ändern.

Cast & Crew

  • Darsteller: David Kammenos, Marie Dompnier, Capucine Vamlary, Arnaud Binard, Lila Dewaere, Isabel Otero, Théo Christine, Robert Calvet
  • Buch: Alexis Le Sec, Raphaëlle Roudaut
  • Regie: Rodolphe Tissot
  • Produzenten: Thomas Bourguignon, Stéphanie Carrère
  • Produktion: Kwai, France Télévision
  • Redaktion ZDFneo: Leona Hidding
Natürlich sind französische Fernsehmacher durchaus daran interessiert, im Konzert der großen Seriennationen mitzuspielen. Es geht ums Geschäft, es geht aber sicher auch ums Selbstverständnis. Frankreich hat das Bewegtbildvergnügen schließlich erfunden. Und eine Serien wie «Versailles» durfte zwischen 2015 und 2018 zeigen, wie richtig großes Fernsehen produit en France aussieht. Weil die Serie so teuer war (um die 30 Millionen Euro) produzierte man tatsächlich in englischer Sprache, was in der Grande Nation zu erhitzten Diskussionen führte. Immerhin war es erfolgreich. Auf der anderen Seite jedoch erlebte Netflix mit «Marseille» eine Enttäuschung. Trotz Gérard Depardieu und dem in Frankreich äußerst populären Benoît Magimel in den Hauptrollen, scheiterte man am Anspruch, eine große Polit- und Gesellschaftssaga erzählen zu wollen, und stolperte statt dessen in die Abgründe einer Soap, so dass Netflix nach zwei Staffeln den Stecker der Hochglanzproduktion zog.

Nun sind dies beides richtig teure Produktionen, eine war ein Hit, eine ein Flop – und es ist klar, dass nicht jede Serie «Versailles» sein kann. Vieles ist Gebrauchsware. In Frankreich liegen Erfolg und Misserfolg bei solchen kleineren Produktion oft nah beieinander. Beispiel: «The Returned». In ein kleines Städtchen in den Savoyen kehren Menschen zurück, die bereits vor Jahren gestorben sind. Wie das sein kann? Niemand hat auch nur den Hauch einer Antwort auf diese Frage. Weder die handelnden Personen der Serie noch die Autoren derselbigen. Nach einer grandiosen ersten Staffel, die in Bezug auf ihr Budget kaum über dem einer deutschen «SOKO»-Vorabendserie gelegen haben dürfte, die aber die Geschichte unfassbar wendungsreich zelebrierte, stürzte die zweite Staffel in einer Art und Weise ab, dass es schmerzte, ihrem Scheitern beiwohnen zu müssen. Ziellos, irrlichternd, müde wiederholte sie eigentlich nur die erste Staffel. In langweilig.

Thematisch ähnlich


Thematisch erscheint «The Last Wave» durchaus ähnlich zu «The Returned» gelagert zu sein. Dabei steht eigentlich gar keine Welle im Mittelpunkt des Geschehens. Eine solche ist zwar wichtig für die Handlung, aber eigentlich geht es um eine Wolke, die plötzlich über einer kleinen Stadt an der französischen Atlantikküste erscheint. Sie taucht erstmals auf, als der Lehrer Ben vor der Küste schwimmt. Etwas reißt ihn plötzlich in die Tiefe, nur mit Mühe gelingt es ihm, sich an die Oberfläche zurückzukämpfen. Dass das Geschehen etwas mit der Wolke zu tun haben könnte, ist ihm aber nicht klar. So findet am Nachmittag des Tages ein kleiner Wettbewerb vor der Küste statt. Aufs Brett und ab auf die Wellen, so lautet das Motto. Elf Surfer sind auf dem Wasser, als Ben die Wolke entdeckt. Aus dem Gefühl heraus versucht er die Menschen noch zu warnen. Aber es ist zu spät. Obwohl die Veranstalter den Wetterdienst kontaktiert haben, der keinerlei schwere Wetter vorausgesagt hat, erscheint eine Welle und verschluckt die elf. Vom Erdboden verschwunden begibt sich auch Ben auf die Suche nach den Menschen – um bei seiner Rückkehr an den Strand festzustellen, dass er offenbar im Kreis gefahren ist. Was aber laut seiner Geräte unmöglich der Fall sein kann. Genau so wie es eigentlich nicht sein kann, dass die elf vermissten Surfer in diesem Moment aus dem Wasser kommen. Allesamt ohne sichtbare Verletzungen, ja nicht einmal unterkühlt sind sie.

Sollte ein Wunder sie alle gerettet haben?

Ben ist skeptisch, vor allem unter der Prämisse, dass der jüngste Teilnehmer nicht nur plötzlich keine Brille mehr benötigt, um sehen zu können – sondern seine Augen die Farbe verändert haben. Wie kann so etwas sein? Dabei ahnt er nichts von den anderen Veränderungen. Da ist etwa der Profisurfer, der plötzlich vom Wasser angezogen wird, ganz so, als würde das Wasser zu ihm sprechen. Oder der junge Mann, dessen Vater als Heilpraktiker (eigentlich ist er ein Scharlatan) arbeitet – und der plötzlich jene Kräfte zu besitzen scheint, die sein Vater behauptet zu haben. Zumindest kann er eine Frau, die lange unter Nackenschmerzen litt, durch einfaches Handauflegen heilen.

Doch es sind nicht nur diese unerklärbaren Veränderungen, die sich nach und nach ergeben. Da ist außerdem ein Traum, der offenbar alle Betroffenen verbindet: In ihm liegt ihre Heimatstadt unter einer Sanddecke. Ganz so, als wäre ein – zumindest kleiner – Tsunami über die Stadt hinweggefegt.

Nur zwei Episoden?


Leider hat das ZDF zur Voransicht nur zwei Episoden zur Verfügung gestellt. Sechs sind es insgesamt. Letztlich ist es somit nur möglich, einen ersten Eindruck zu schildern. Einen first look, der allerdings ein Drittel der Spielzeit umfasst und einen sehr schalen Eindruck hinterlässt, denn: Es passiert nichts. Oh, eigentlich passiert dauernd etwas. Menschen interagieren miteinander. Ben etwa hat eine Tochter im schlimmsten Teenager-Alter und eine Frau, von der er getrennt lebt, seit sie einen Selbstmordversuch unternommen hat, der offenbar mit dem Verlust eines Kindes einhergeht. Nicht, dass man ihren Schmerz nicht verstehen könnte, aber sie hat sich letztlich durch ihr Handeln derart in den Fokus gestellt, dass sie ihre Tochter aus den Augen verlor, die vielleicht auch gerne eine Mutter hätte, die sie versteht. Und ihr Selbstmordversuch hat ein Band durchschnitten. Dass sie nun zu den elf Surfern gehört und die Narben ihres Selbstmordversuches verschwunden sind, ist eine Sache. Dass sie sich dann aber Ben regelrecht an den Hals wirft, der dann wiederum seine neue Freundin hintergeht.... An sich klingt das ja erst einmal nicht schlecht. Die großen Tragödien des Lebens, das Miteinander, die Fehlerhaftigkeit des Menschen. Wie kann das alles nichts sein?

Weil hier Konflikte der Konflikte wegen aufgebaut werden. Man kann quasi eine Strichliste führen. Da ist die Mutter mit ihrem unverarbeiteten Traumata. Die Teenie-Tochter, die zwischen cool und zerbrechlich agiert, der Abzocker, der in der Kraft des Sohnes erst einmal eine Geldquelle sieht und nicht unbedingt – ein Wunder? Oh, und dann gibt es die Geschichte einer Bauunternehmung (um genau zu sein handelt es sich um den Bau eines Öko-Ressorts für betuchte Öko-Touristen). Bei den Bauarbeiten öffnet sich eine Spalte im Boden. Ruft der Bauherr nun die Baubehörde der Stadt (wegen der Gefahr im Untergrund), oder will er sie einfach zuschütten, weil: Es ist ja nur eine Ritze und jeder Tag Verzögerung kostet Geld? Die Frage muss wohl nicht beantwortet werden.

Nichts wirkt wirklich echt an diesen Konflikten und Handlungen; vielmehr werden Versatzstücke des klassischen Katastrophenfilmes brav verarbeitet. Beim klassischen Katastrophenfilm dient die eigentliche Katastrophe letztlich nur als Versinnbildlichung der zuvor aufgebauten zwischenmenschlichen Konflikte und Handlungen. Doch «The Last Wave» erzählt keine klassische Katastrophengeschichte, vielmehr bricht etwas über die handelnden Figuren herein, was sich nicht erklären lässt - und außerhalb des kleines Städtchens auch niemanden zu interessieren scheint. YouTube-Videos? Instagram-Videos? Dass die Franzosen ihren eigenen Kopf in vielen Belangen haben, ist durchaus bekannt. Aber sie sind keine Boykotteure sozialer Medien. So verwundert nach der ersten Episode, dass es überhaupt keine Reaktionen von Außen gibt. Elf Menschen werden von einer Welle erfasst und weggespült. Müsste da nicht die halbe französische Marine auf die Suche gehen? Und dann kehren sie alle wohlbehalten zurück. Wenn sich da keine Boulevardmagazine drauf stürzen: Worauf denn sonst?

Die Serie «The Returned» löste dieses fehlende Interesse seinerzeit plausibel: die Protagonisten trafen eine Art Schweigeabkommen, um ihre Liebsten zu schützen. So etwas passiert in dieser Serie allerdings nicht.

Schließlich und endlich ist dann da die Wolke, die offenbar ein Eigenleben führt. Wen holt man da? Ein Anfang wäre sicher so etwas wie der französische Wetterdienst. So etwas sollte es doch geben! Doch wozu? Ben ist schließlich nicht einfach Lehrer. Er ist Chemielehrer. Er kann die Wolke doch untersuchen. Das kennt man aus Filmen der Billigfilmschmiede The Asylum («Sharknado»). Gut, die sind billiger. Aber wenn es bei denen funktioniert...

Auch die Effekte sind eher von sehr durchschnittlicher Qualität, was gerade mit Blick auf die Wolke nicht wirklich Funken fliegen lässt. Gerade weil sie so im Mittelpunkt steht, wären ein paar Rechnerstunden mehr für das Rendering sicher keine schlechte Idee gewesen. So wirkt sie einfach nicht echt.

Man weiß es nicht


Es mag ja sein, dass die Serie ab Episode drei das Tempo anzieht. Der Cliffhanger der zweiten Episode deutet so etwas an, denn ein katastrophales Geschehen, das man sich eigentlich für das Ende der Serie vorgestellt hätte, bricht über das kleine Küstenörtchen herein. Die schriftlichen Zusammenfassungen der folgenden Episoden lassen allerdings nicht darauf schließen, dass die Plausibilitätslücken (wie das fehlende Interesse außerhalb) geschlossen würden.

Die ersten beiden Episoden auf jeden Fall, die das ZDF zur Ansicht zur Verfügung gestellt hat, machen keine Lust auf den Rest der Serie. In Sachen Serienfernsehen haben die Franzosen einfach keinen Lauf.

ZDF neo zeigt die gesamte Serie am 26. Juni ab 22 Uhr und in einer Wiederholung am 24. Juli ab 23.40 Uhr. Ab dem 27. Juni sind alle Episoden in der Mediathek abrufbar.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
25.06.2020 11:59 Uhr 1
Die Franzosen haben schon einige gute Serien, wie "Die purpurnen Flüsse" odeer "Le Chalet", aber, die sind ja mittleerweile auch schon 2-3 Jahre alt...und Action und Krimi können Sie ja!! Ja, ich finde es auch sehr schade, dass zumindest im Serien Bereich nicht, bis kaum was neues kommt!
Flapwazzle
26.06.2020 08:34 Uhr 2
Marianne war auch eine ziemlich gute französische Serie, die mir richtig Spaß gemacht hat. Ich werde "The last Wave" mal einfach eine Chance geben.

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