Cast & Crew
Vor der Kamera:Roeland Wiesnekker als Richard Beller
Christine Ostermayer als Hilde Beller
Lola Dockhorn als Marie
Tilo Prückner als Ferdl
Stephan Zinner als Imbissbesitzer
Peter Rappenglück als Wirt
Klaus Haderer als Apotheker
Hinter der Kamera:
Produktion: ndF, Akzente Film- und Fernsehproduktion
Drehbuch und Regie: Michael Ammann
Kamera: Fabian Rösler
Produzentin: Susanne Freyer
Auf der Fahrt nach München soll der Abstecher bei Richards fast achtzigjähriger Mutter eigentlich nur ein Zwischenstopp sein. Er will sie in ein Seniorenheim verfrachten, weil ihre Demenz mittlerweile in einem Stadium weit jenseits bloßer Tüddeligkeit angekommen ist. Doch während er ihre Möbel in seinen Transporter verfrachtet, nutzt sie eine günstige Gelegenheit, um die Flucht zu ergreifen. Ziel: Die Schwarze Madonna im hundert Kilometer entfernten niederbayerischen Altötting, wo sie ein letztes Mal zu ihr beten will.
Nach einem fruchtlosen Gang zur Polizei machen sich Richard und Marie selbst auf die Suche nach der tatterigen Oma – und finden sie erst mitten in der Nacht, wie sie im Wald zielstrebig in Richtung österreichische Grenze marschiert. Sämtliche Beschwichtigungsversuche und Tricksereien schlagen fehl, und so beschließen Richard und Marie nach langen Auseinandersetzungen, die hier freilich noch nicht ihr Ende gefunden haben, mit der dementen Oma auf eine spontane Wallfahrt zu gehen.
Man mag diese Amalgamierung aus ländlich süddeutschem Setting und religiösem Wahn schon an dieser Stelle als lächerlich abtun. Doch dann würde man verkennen, dass der „neue deutsche Filmgesellschaft“ und der „Akzente Film- und Fernsehproduktion“ mit diesem Film nicht nur eines der stimmigsten deutschen Roadmovies seit langer Zeit gelungen ist, sondern auch eine wunderschöne, nahegehende Reflexion über zerstrittene Familien, Versöhnung und Zusammenhalt im Angesicht äußerer Widrigkeiten.
Denn Autor und Regisseur Michael Ammann hat ganz wunderbare Figuren erschaffen, bei denen er – vielleicht bis auf manche Übertreibungen gegen Ende des Films – konsequent die Klischees meidet. Gleiches gilt für den Spielort: Die Pampa von Niederbayern muss in «Nebenwege» weder Sinn und Zielsetzung eines lustigen Heimatpornos sein, noch dramatischer Ausgangspunkt für alberne Geschichten über Starkbier, Weißwurst und Inzest. Amman bemüht Facettenreichtum und hat mit seinem tollen Film viel Spannendes zu sagen.
In die Hände spielt ihm dabei freilich die erstklassige Besetzung: Roeland Wiesnekker ist schon seit vielen Jahren als Meister der Zwischentöne und Ambivalenzen bekannt, ein Talent, das er mit diesem nahbaren, aber innerlich komplexen Richard Beller wunderbar auskosten kann. Lola Dockhorn, die seine Tochter spielt, ist eine Entdeckung und schafft es wunderbar, ihrer Figur durch den Balanceakt zwischen quengeligem Teenager und starker Persönlichkeit zu helfen. Und nicht zuletzt gelingt es Christine Ostermayer vortrefflich, mit den wenigen Mitteln, die ihre Figur noch zur Kommunikation hat, wunderbar den tragischen Konflikt einer alten Frau zu vermitteln, die den Verstand verliert und sich in die Verbohrtheit flüchtet.
«Nebenwege» ist ein eingängiger Film – einer, dessen Figuren man schnell genug versteht, während man ebenso schnell mit ihnen warm wird, und die trotzdem einen sehr reichen Schatz an differenzierten Erfahrungen, Standpunkten und Projektionsflächen bieten. Nicht zuletzt deswegen funktioniert dieser Film auch als hervorragendes Feel-Good-Movie, und das ganz ohne sich in Puncto dramaturgischer Intensität und psychologischer Vielschichtigkeit einschränken zu müssen. Auf diese geht man gerne mit.
Das Erste zeigt «Nebenwege» am Mittwoch, den 1. Juli um 20.15 Uhr.