Hingeschaut

Ein schweres Erbe

von

14 Jahre brauchte das ZDF, um die beliebte und bekannte Sendereihe «Das Literarische Quartet» neu aufzulegen. Kein Wunder, denn die Fußstapfen sind groß.

Nach 13 Jahren auf Sendung war «Das Literarische Quartett» eine feste Institution im deutschen Fernsehen. Nicht zuletzt lag dies an Marcel Reich-Ranicki, der mit seiner exaltierten Art immer zu polarisieren wusste. Seine oftmals vernichtenden Kritiken waren legendär. Und sind es wohl bis heute. Nicht jeder war Ranickis Wesen gewachsen. So sagte Sigrid Löffler nach ihrem Weggang im Juni 2000: „Im Falle Reich-Ranickis war das Fernsehen als Eitelkeitsmaschine seines Daseins Glück und Unglück. Es hat den Kritiker Reich-Ranicki zugleich unerhört popularisiert und beschädigt. Er ist heute prominenter als die meisten Autoren und Bücher, über die er sich äußert.“ Vorausgegangen war ein erneuter Streit, in dem Ranicki seiner Kollegin vorwarf, sie würde die Liebe als etwas „anstößig Unanständiges“ betrachten.

Hellmuth Karasek hingegen war der ruhige Pol. Das Auge des Sturms. Während rings um ihn Ranicki wütete und Löffler abwinkte, suchte Karasek immer die goldene Mitte. Es waren gerade diese Momente, die «Das Literarische Quartett» zu dem machten, was es letztendlich war: Eine sehr unterhaltsame Show, die dem Zuschauer oftmals witzig, manchmal böse, aber nie gemein Weltliteratur nahe brachte. Und gerade deswegen sind es eben auch riesige Fußstapfen, in die es zu treten gilt. Und wie sieht es nun im Jahre 2015 aus? Schafft das neue Quartett den Spagat zwischen eigenem Erkennungswert und der Erwartungshaltung der Zuschauer?

Den Kern des neuen Quartetts bilden also nun Gastgeber und Spiegel-Redakteur Volker Weidermann, Fernseh- und Radiomoderatorin Christine Westermann und FAZ-Kolumnist Maxim Biller. Hinzu kommt in der ersten Sendung die Schriftstellerin Juli Zeh als Gast. Und obwohl die Runde insgesamt wesentlich jünger ist, als beim Vorgänger, stellen sich schnell bekannte Rollen ein. Christine Westermann erscheint spröde und angestaubt, gesteht zu oft ihre Unkenntnis und macht ihre Antipathie zu einem Buch am Äußeren fest. Überhaupt hat sie an jedem Buch etwas auszusetzen, außer natürlich an dem von ihr empfohlenen Fieber am Morgen von Péter Gárdos. So hat das eine Buch einen schlechten Übersetzer, das andere ist zu ausgewalzt. Ihre Rolle in der Gruppe erscheint zunächst unklar. Soll sie den durchschnittlichen Leser repräsentieren? Oder bietet sie nur die Angriffsfläche für Maxim Biller? Dieser ist nämlich, ganz im Ranicki‘schen Sinne, angriffslustig, böse und rebellisch, und lässt, wie sollte es anders sein, kein gutes Haar an Westermanns Buchempfehlung. Zudem bezeichnet er den von Juli Zeh empfohlenen Roman Macht und Widerstand von Ilija Trojanow als „albernen Quatsch“ und überhaupt wäre Trojanow ja kein Schriftsteller sondern höchstens Propagandist.

Auch vor seinen Kollegen macht er nicht Halt und geht sie des Öfteren an. Dass die Rolle des Querulanten auf Biller zugeschnitten ist, dürfte klar sein. Als Kolumnist liegt ihm das Wettern ja quasi im Blut. Volker Weidermann wiederum möchte oft schlichten und vermittelt ein ums andere Mal. Eben etwa wenn Biller Trojanow als Propagandist bezeichnet, raunzt Weidermann ihm leicht amüsiert ein „also bitte“ entgegen. Allein Juli Zeh weiß mehr zu sagen, als die üblichen Gäste des alten Quartetts. Sie hat eine Meinung und vertritt sie mit Charme und Verstand. Erfrischend.

Produziert wird die Neuauflage im Foyer des bekannten Berliner Ensembles - mit großer Spiegelwand im Hintergrund. Das ermöglicht viele Spielereien mit Kameraperspektiven, die die Produktion beim Debüt aber noch zu wenig ausnutzte. Wie zu erwarten war, trauten sich die Macher in Sachen Bildkomposition und bei den Schnitten nicht an Experimente. Teilweise hatte die Sendung mitunter sogar einen den 90ern ähnlichen Look.

So oberflächlich nachgemacht dies nun alles klingt, so amüsant ist es am Ende. Auch 14 Jahre nach Ausstrahlung der letzten Sendung hat «Das Literarische Quartett» nichts von seinem Unterhaltungswert verloren und weiß zu überzeugen. Das liegt vor allem daran, dass alle Beteiligten ihre Rollen sehr gut spielen. Inwiefern dies nun alles echt und glaubwürdig erscheint, muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Und ob man sich von Fachleuten bei der Wahl seines Lesestoffes beeinflussen lassen sollte, wird ja seit jeher debattiert. „Literatur ist zum Lesen da“, sagte Literatur- und Theaterkritiker Joachim Kaiser schon 1988 nach Ausstrahlung der ersten Sendung mit Marcel Reich-Ranicki. Dies gilt auch 27 Jahre später. Doch so oder so, für einen unterhaltsamen Abend ist auch das neue «Literarische Quartett» zu haben. Zu hoffen bleibt, dass alle Beteiligten in Zukunft ihren eigenen Weg finden und aus dem Schatten der großen Vorbilder treten. Auf die nächsten 13 Jahre.

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