Die Kritiker

«MacDonald & Dodds – Der Tote nahm den Hut»

von

Die neue Ermittlerin kommt forsch des Weges. Das eher beschauliche Bath an der englischen Südküste ist für die Londoner Ermittlerin nur ein Karriereschritt. In zwei Jahren, sagt sie, ist sie wieder weg. Doch schon ihr erster Fall wird für sie zu einer echten Herausforderung, da sich jeder Verdacht in Wohlgefallen auflöst. Und dann ist da ihr Partner, ein derart unsichtbarer Mittfünfziger... Nein, so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat, wird dieser Karriereschritt wohl nicht!

Stab

REGIE: Richard Senior
DREHBUCH: Robert Murphy
KAMERA: Guilio Biccari
PRODUKION: ITV Großbritannien
MUSIK: Blair Mowat
DARSTELLER: Jason Watkins, Tala Gouveia, Robert Lindsay, James Murray, Pearl Chanda, Natalie Mendoza, Ellie Kendrick, Cassie Bradley, Jack Riddiford
Chief Inspecor Lauren MacDonald gehört zu jener Art von Menschen, die man gemeinhin als Macher bezeichnen würde. Wenn sie einen Raum betritt, dass ist sie der Mittelpunkt, auf den sich die Aufmerksamkeit konzentriert. Und genau so läuft es ab als sie ihren ersten Tatort in Bath betritt. Sie kommt zwar ein paar Minuten später als ihre Kolleginnen und Kollegen, doch in dem Moment, in dem sie vor der Pforte des prächtigen Anwesens auftaucht, da ist klar: Sie führt das Kommando. Ihre Anweisungen sind klar und strickt, Widerworte sind nicht vorgesehen. Frisch aus London eingetroffen, hatte sie noch keine Zeit sich vorzustellen. Aber warum auch? Es ist ein Mord geschehen, der fällt in ihren Aufgabenbereich, für Formalitäten ist später Zeit. Da ist nur diese eine Kleinigkeit: Der Superintendent hat ihr einen Partner zugewiesen. Einen gewissen DS Doods. Und so steht er da. Ein älterer Herr mit Bibliothekarsbrille, Pullunder, unscheinbarer beigfarbener Jacke. Der kein Tablet bei sich trägt, das stets mit dem Internet verbunden ist, um ihn stante pede mit den neueste Ermittlungsergebnissen zu versorgen, sondern seine Notizen in einem alten Block vermerkt – mit Bleistift natürlich. Dieser DS Dodds ist nicht einfach unsichtbar. Er ist der Typ von unsichtbar, der nicht einmal einen Vornamen hat, da ihn sich eh niemand merken würde. Dieser Mann ist ein Anachronismus in einer modernen, der Zukunft zugewandten Polizei. Ein Anachronismus, der elf Jahre hinterm Schreibtisch verbracht hat. Kein Wunder, dass der Superintendent ihn loswerden will (wie er später MacDonald offen gegenüber zugeben wird).

Und dann – führt Lauren MacDonald dieser erste Fall nicht in irgendein Haus. Es ist das Anwesen des Erfinders und Unternehmers Max Crockett, einem angesehenen Mitglied der Gesellschaft von Bath. Der, heimkommend von einem kleinen Trip nach Frankreich mit seiner hochschwangeren Ehefrau, auf der Treppe der Eingangshalle seines beachtlichen Anwesens die Leiche eines fremden Mannes gefunden hat. Erschossen. In seinem Haus.

Dass eine wertvolle Statue gestohlen wurde, scheint darauf hinzuweisen, dass zwei Einbrecher in sein Haus eingebrochen sind; die bekamen möglicherweise Streit, einer blieb dabei auf der Strecke. Dumm nur, dass Lauren MacDonald nicht weiß, was die Zuschauer wissen, denen die Serie einen kleinen Wissensvorsprung schenkt. Angeblich sind die Diebe durch die Hintertür eingebrochen. Während die Vordertür gesichert ist – ist die Sicherheitsanlage dort defekt. Da haben die Diebe wohl Glück gehabt. Die Zuschauer aber wissen es besser: Tatsächlich hat Max Crockett die Tür eingetreten – und aus der Hosentasche des Toten hat er vor dem Eintreffen der Polizei einen Haustürschlüssel herausgenommen, einen Schlüssel zur Hintertür.

Seit den seligen Zeiten von Miss Marple weiß man im Allgemeinen, dass man in Städten wie Bath, hübsch gelegen an der Südküste Englands, wo die Landschaft bezaubernd und die Häuser schön sind, mit Stil mordet. Ein Mord zum 5-Uhr-Tee? Das wäre einfach unhöflich. Hier mordet man mit Hintergedanken. Überlegt. So wie man auch mit Stil ermittelt – weshalb sich Lauren MacDonald schnell bei ihren Ermittlungen eine blutige Nase holt. Ihr forsches, nicht selten vorlautes Auftreten, zeigt an, dass sie aus einem anderen Milieu stammt. Dort, wo Banden das Sagen haben, wo Lärm zum Auftreten dazugehört. In Bath auf jeden Fall stößt sie schnell an ihre Grenzen. Vor allem, da sie ständig gezwungen ist, ihre Theorien zu ändern. So muss sie die Einbrechertheorie sehr bald an den Nagel hängen - was sie dem unscheinbaren Dodds verdankt. Da das Anwesen unter Denkmalschutz steht – gibt es keine Kameras. Die dürfen nicht am Mauerwerk befestigt werden. Dodds aber entdeckt einen Turmfalken. Turmfalken nisten gerne – in Türmen. Unweit des Anwesens befindet sich eine alte Festung und Nistplätze von Turmfalken werden, da die Tiere vom Aussterben bedroht sind, von Tierschützern mit Kameras beobachtet. In diesem Fall würde die Kamera wohl auch einen Blick aufs Anwesen erlauben.

Was stimmt und zeigt – der Dieb war alleine als er ins Haus „eindrang“.

Und dann ist da der Hut. Als er erschossen wurde, trug er einen Hut wie Crockett diese ständig trägt (er besitzt eine regelrechte Sammlung). Der Tote hat die gleiche Größe und Statur wie Crockett und, und auch das fällt Dodds auf, im Treppenbereich ist eine Lampe defekt. Im Dunkel sah der Tote wie Max Crockett aus.

Was bedeutet, dass es jemand in Wahrheit auf den Erfinder abgesehen hatte?

Dass es dann auch noch drei Personen gibt, die alle ein Millionen Pfund schweres Motiv haben, macht Lauren MacDonalds Arbeit nicht leichter. Crockett will sich in Kürze aus seinem Unternehmen zurückziehen. Drei Töchter hat der Unternehmer aus seiner ersten Ehe. Übergeben wird er sein Unternehmen aber nur an eine von den Dreien. Die anderen beiden werden leer ausgehen.

Offenbar hat der britische TV-Sender ITV dem Konzept von «MacDonald & Dodds» nicht allzu viel Vertrauen geschenkt, denn die erste Staffel der neuen Spielfilmreihe besteht aus genau zwei Spielfilmen. «Der Tote nahm den Hut» und «Die Leiche hing am Wasserrohr». Inzwischen wurden drei weitere Filme in Auftrag gegeben, da die Quoten im Vereinigten Königreich ebenso positiv ausfielen wie die Besprechungen. Was weniger der Geschichte des ersten Filmes zu verdanken ist als den beiden Hauptdarstellern.

Auf der einen Seite ist Tala Gouveia, eine eher unbekannte Schauspielerin, die bislang lediglich Nebenrollen gespielt hat. Sie ist eine durch und durch grandiose Besetzung, denn schon mit ihrem ersten Auftritt reißt die in Nottingham geborene Schauspielerin die Szenerie an sich. Es gibt keine Szene, in der sie auftritt, in der sie nicht den Fokus ganz auf sich richten würde. Hier und da wird angedeutet, dass sie nicht mit dem Silbernen Löffel im Mund geboren wurde und sich nach oben durchgeboxt hat. Sie ist eine Karrierepolizistin, aber was sie erreicht hat, hat sie durch Strebsamkeit erreicht. Und dann ist da DS Dodds. Ein unscheinbarer Mittfünfziger, den niemand wirklich kennt.

Dodds ist kein Colombo. Er versteckt Genialität nicht hinter einem etwas naiv wirkenden Auftreten, das in Wahrheit nur Teil einer Inszenierung ist, mit der er Verdächtige in Sicherheit lullt. Nein, DS Dodds ist tatsächlich etwas – gewöhnungsbedürftig. Ständig verlegt er seine Brille, auf seinem Schreibtisch herrscht Chaos, er trauert einer Ehefrau nach, die ihn vor 30 Jahren verlassen hat. Aber er ist ein guter Zuhörer und letztlich ein guter Beobachter. Jemand, dem Kleinigkeiten ins Auge springen, die eher unwichtig erscheinen. Vor allem aber ist er ein wirklich freundlicher Mann, der auf Lauren MacDonalds forsches Wesen mit Gleichmut reagiert und damit eine gewisse Ruhe in deren Leben bringt, das diesem fehlt. Dargestellt wird er von Jason Watkins, dessen Filmografie ellenlang ist und von «James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie» bis «The Crown» manch große Titel umfasst – wenngleich es meist Nebenrollen sind, die er für gewöhnlich verkörpert.

Watkins und Tala Gouveia sind ein kongeniales Paar, das die Story mit Lockerheit trägt. Neben ihnen brilliert in diesem ersten Spielfilm der Reihe Robert Lindsay in der Rolle des Max Crockett. Lindsay, als Bühnenschauspieler ein großer im Vereinigten Königreich, stellt Max Crockett als einen charmanten Mann von Welt dar, hinter dessen eloquenten Auftreten ein Abgrund an Manipulation und Dunkelheit lauert.

Weniger überzeugend ist bedauerlicherweise die Auflösung dieses ersten Falles. Da wird manch ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert, um manch eine Wendung der Wendung wegen zu kreieren. Vor allem wird der Faktor Zufall etwas sehr strapaziert.

Fazit: Unterhaltsam ist die britische Produktion dennoch, man darf auf weitere Spielfilme gespannt sein.

Der Film wird am Sonntag, 25. Oktober 2020, im ZDF ausgestrahlt. 22.15 Uhr

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