Die Kino-Kritiker

«Die Verführten»

von

Sofia Coppola entführt in die verwaschene Pastellwelt einer Mädchenschule zu Zeiten des US-Bürgerkrieges.

Filmfacts «Die Verführten»

  • Regie: Sofia Coppola
  • Produktion: Youree Henley, Sofia Coppola
  • Drehbuch: Sofia Coppola; nach dem Roman A Painted Devil von Thomas P. Cullinan
  • Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning, Angourie Rice, Oona Laurence
  • Musik: Phoenix
  • Kamera: Philippe Le Sourd
  • Schnitt: Sarah Flack
  • Laufzeit: 94 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Romanautor Thomas P. Cullinan skizzierte in seinem Roman «A Painted Devil» einen Geschlechterkampf der besonderen Art, der Filmliebhabern am ehesten durch seine Kinoadaption «Betrogen» bekannt sein dürfte. Regisseur Don Siegel vollführte 1971 damit einen Doppelpunch an kontroversen, bitteren Filmen, in denen die Hauptfiguren, je nach eigenem moralischen Kompass, endlich das Recht in die Hand nehmen oder eine Grenze überschreiten. Im Gegensatz zu Siegels ebenfalls mit Clint Eastwood in der männlichen Hauptrolle besetzten Cop-Thriller «Dirty Harry» war dem Kostümfilm jedoch kein großes popkulturelles Echo beschieden.

46 Jahre später gelangt Sofia Coppola mit ihrer Version der Geschichte an mehr cineastischer Aufmerksamkeit – nicht zuletzt dank der Filmfestspiele von Cannes, wo Coppola den Preis für die beste Regie entgegennehmen durfte. Damit ist die «Lost in Translation»-Regisseurin erst die zweite Frau der Geschichte, der diese Ehre zuteil wurde. Und selbst wenn Coppolas Skript den gewissen Funken missen lässt, sei es an Tiefsinn, Boshaftigkeit oder Unvorhersehbarkeit: Die Regie-Trophäe hat sich Coppola mit «Die Verführten» mehr als nur redlich verdient.

Die New Yorkerin nimmt die 1864 im Südstaat Virginia angesiedelte Erzählung und formt sie zu einer betörend-elegant dargebotenen, nur unterschwellig brodelnden Auseinandersetzung: Während des amerikanischen Bürgerkrieges findet die elfjährige Amy beim Pilzsammeln einen verwundeten Soldaten aus den Nordstaaten. Weil der sich als John McBurney vorstellende Mann mit großen Augen und kindlicher Freundlichkeit um Hilfe bittet, nimmt sie ihn mit zum Mädchenpensionat, das sie ihr Zuhause nennt. Dort sorgt die Anwesenheit eines feindlichen Soldaten für Aufruhr – vor allem Schulleiterin Martha Farnsworth muss mit sich ringen, um dem Wunsch ihrer Schützlinge zu folgen und den Verletzten zu pflegen, statt ihn auszuliefern.

In sanftem, natürlichem Licht gehalten und mit einer vornehmen Gemächlichkeit orchestriert, entwickelt sich in diesem Pensionat ein Wetteifer subtiler Anspannungen. Die Damen haben unterschiedliche Vorstellungen, wie mit dem unerwarteten Gast umzugehen ist. Und er wiederum setzt all seinen Gesprächspartnern gegenüber ein anderes Gesicht auf – womit unklar ist, ob er extrem zuvorkommend ist oder ein toxischer Störenfried. Colin Farrell vermag es wundervoll, die diffizile Ambivalenz zwischen selbstgefälligem Hahn im Korb und über die Stränge schlagendem Charmeur in der verwaschen-pastellfarbenen Vorhölle zu beschreiten. Sein Spiel profitiert zunehmend von der Inszenierung Coppolas, die Szenen mit gerissener Zurückhaltung oftmals ein, zwei Takte länger laufen lässt als es ein thematisch gleichgearteter Thriller würde: Die Regisseurin garniert das fast barockartig drapierte Geschehen mit Aggressionen auf allen Seiten – und so ist die unvermeidliche, früh erahnte Eskalation aus allen Perspektiven nachvollziehbar.

Auch dadurch, dass Coppola Schlüsselszenen durch eine betont ruhige, vermeintlich nichtssagende Anschlusspassage kommentiert, nimmt sie dem Stoff seine Streitbarkeit – und vergrößert zugleich seine makabre, aber nur in Nuancen wertende Zierfunktion. Hat die letztlich das Nachsehen habende Partei verdient, was ihr widerfährt, oder wird sie über Gebühr bestraft? Aufgelockert wird diese Frage durch «The Neon Demon»-Hauptdarstellerin Elle Fanning als arg pubertierende junge Frau, die ihre erwachende Libido mehr schlecht als recht zu überspielen versucht. Fanning lässt diese eher humorvolle Rolle nie brachial aus dem Grundtonfall des Films ausbrechen, während Nicole Kidman als Schulleiterin in Phasen der Empathie wie auch in gewissenlosen Anflügen das erfahrene Pokerface einer strengen Aufseherin aufsetzt und Kirsten Dunst als verträumte Lehrerin herrlich die Zwiespältigkeit von «Die Verführten» verkörpert: Hat sie mit ihrem dezent versteckten Weltschmerz Empathie verdient oder ist sie lachhaft manipulierbar?

Als Stimmungsstück ist das liebevoll in einer "Verblasster Südstaatenglanz"-Ästhetik ausgestattete «Betrogen»-Remake zweifelsohne einen Blick wert. Dank der kalt-kultivierten Musik von Phoenix und der bedächtigen Kameraarbeit Philippe Le Sourds gilt das vor allem für Coppola-Jünger, und alle, die einen auf niedriger Temperatur schmorenden Geschlechterkampf kosten wollen. Und rein inszenatorisch ist es womöglich Coppolas beste Arbeit. Erzählerisch indes ist «Die Verführten» eines ihrer schlichteren Werke. Hier verführen Stand und Aussehen mehr als das Oberstübchen – denn während die meisten Coppola-Filme auch Jahre nach ihrem Erscheinen dazu einladen, erneut über diese oder jene Szene nachzudenken, ist diese Verführung rasch zu den Akten gelegt. Ganz egal, was die handelnden Figuren dazu nun wohl sagen mögen …

«Die Verführten» ist ab dem 29. Juni 2017 in ausgewählten Kinos zu sehen.

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