Die Kritiker

Ein «Tatort», der Angst macht

von

Die neue Folge aus «Dortmund», "Hydra", nimmt sich wieder gesellschaftlicher Brennpunkte an. Diesmal verschlägt es die Ermittler in die Neonazi-Szene.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jörg Hartmann als Faber
Anna Schudt als Martina Bönisch
Aylin Tezel als Nora Dalay
Stefan Konarske als Daniel Kossik
Thomas Arnold als Jonas Zander
Robert Schupp als Hauptkommissar Krüger
Felix Goeser als Thomas Franke

Hinter der Kamera:
Produktion: Colonia Media Filmproduktion
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Nicole Weegmann
Kamera: Michael Wiesweg
Produzentin: Sonja Goslicki
Der Tote ist kein Sympathieträger: Kai Fischer war eine schillernde Figur in der Dortmunder Neonazi-Szene. Jetzt liegt er leblos, mit einer Kugel in der Brust und post-mortem zugefügten Schrammen im Gesicht, in einer durchgerosteten Industriebaracke. Seine hochschwangere Frau, die man auf den ersten Blick nie und nimmer der rechtsextremen Ecke zuordnen würde, nennt der Polizei auch prompt jemanden, der am Ableben ihres verkommenen Mannes Interesse haben könnte: „die Jüdin“.

„Die Jüdin“ Jedida Steinmann hat vor einem Jahr einen Überfall von Kai Fischers Neonazi-Gang überlebt. Ihr Mann ist seinen schweren Verletzungen erlegen, ernsthafte juristische Konsequenzen hat dafür niemand zu spüren bekommen. Daniel Kossik, der das Zerbrechen seiner Beziehung zu Kollegin Nora Dalay sichtlich nicht verwunden hat, kommt da gleich richtig in Fahrt: starkes Motiv, schwammiges Alibi. Aber Juden hätten in Deutschland ja so eine Art Diplomatenstatus. Martina Bönisch muss da gar nicht so viel kontern, bis er selber merkt, dass das natürlich abstoßender Quatsch ist. Daniels antisemitische Züge sind ohnehin eher ein familiäres Überbleibsel: Sein Bruder steckt knietief in der rechten Szene Dortmunds. Das wird Daniel in dieser Folge nicht nur einmal vor ein großes Problem stellen.

Währenddessen macht sich Peter Faber einen Spaß daraus, seine türkischstämmige Kollegin Nora zu seinen Ermittlungsbesuchen bei rechtsgerichteten Hooligans und beinharten Nazis mitzunehmen. Zwar müsste sie da gar nicht mehr allzu viel provozieren, – eine türkischstämmige Polizistin ist für das Gesindel ja schon Provokation genug – aber es ist eine Freude, wie sie den Parolen schwingenden Bodensatz der Gesellschaft drangsaliert. Für Nora hat das ein bitteres Nachspiel: Eine Bande Neonazis, denen sie zuvor mächtig auf die Klöten gegangen ist, stellt ihr nach und überfällt sie.

Das ist eine der beängstigendsten, verstörendsten Szenen dieses «Tatorts». Und davon hat er nicht gerade wenige. Zu realitätsnah wirken die Szenarien, die er durchspielt: Tatenlose, weil hilflose Passanten, die daneben stehen, wenn Juden auf deutschen Straßen überfallen und – in diesem Falle – sogar totgeprügelt werden. Neonazis, die Migrantinnen traumatisieren und mit allenfalls geringen Strafen zu rechnen haben. Und, mit das Furchterregendste: das allmähliche Festbeißen der Rechtsextremen in der Zivilgesellschaft. Sind doch eigentlich ganz nette junge Leute.

Das unprätentiös und realitätsnah zu zeigen, dürfte der größte Triumph von „Hydra“ sein. Denn das rechte Spektrum besteht hier nicht (nur) aus strunzdummen, glatzköpfigen Schlägerschergen, sondern auch aus (auf den ersten Blick) ganz sympathischen Typen, die alten Omas die Einkäufe hochtragen und bei ihnen dafür einen Stein im Brett haben, den auch regelmäßiger Polizeibesuch da nicht mehr raushauen kann. Dieser Film zeigt auf beeindruckende Weise, dass der organisierte militante Rechtsextremismus nicht mehr nur ein Problem des Ostens mit seinen „national befreiten Zonen“ ist, sondern spätestens dann auch eine Gefahr im Westen darstellt, wenn dort jemand wie SS-Siggi im Stadtrat sitzt.

Der Dortmunder «Tatort» geht auch am Sonntag wieder mal den schwereren, weil differenzierten Weg und liefert nicht nur eine feinsinnig beobachtete Milieustudie, sondern kann auch auf der psychologischen Ebene starke Momente vorweisen: Dann zum Beispiel, wenn die ansonsten so toughe Nora Dalay militanten Rechtsradikalen völlig hilflos ausgeliefert ist und lange brauchen wird, um das zu verarbeiten. Dabei zuzusehen, wie nahegehend und emotional Aylin Tezel das spielen kann, ohne ins Pathetische zu rutschen, ist allein schon das Einschalten wert.

Das Erste zeigt «Tatort – Hydra» am Sonntag, den 11. Januar um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/75597
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