Die Kritiker

«Die Entdeckung der Currywurst»

von
Aus der Vorlage von Uwe Timm wurde «Die Entdeckung der Currywurst» produziert, der Film wird am Mittwoch im Ersten ausgestrahlt.

Story


Als sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende nähert, ist Lena Brücker Ende 40. Die Kinder sind aus dem Haus, ihr Mann Gary wird seit Jahren an der Ostfront vermisst. Nach einem Luftangriff nimmt Lena den jungen Marinesoldaten Bremer, der sie an ihren Sohn erinnert, spontan mit nach Hause. Sie kocht dem Seemann eine Suppe, ein netter Abend, aus dem plötzlich mehr wird. Lena bietet ihm an zu bleiben. Im Angesicht der Rückkehr in einen aussichtslosen Kampf wird Bremer fahnenflüchtig - und liefert sich einer Frau aus, die er kaum kennt.

Lenas Wohnung wird zu einer Insel, auf der sie sich beide munter treiben lassen: Bremer, der viel zu jung ist, um im Endkampf draufzugehen, und Lena, die jung genug ist, um ihre Lebenslust zu spüren. Eine ungewöhnliche und heftige Liebe, die den Krieg ignoriert, auch wenn er sie ständig bedroht.
Die größte Bedrohung aber wird der Frieden. Lena verschweigt Bremer die Kapitulation und hält ihn im hausgemachten Kriegsspiel gefangen. Als die Wahrheit ans Licht kommt, ist Bremer auf und davon. Lena liegt am Boden, als ihr plötzlich klar wird, dass diese Liebe auch Früchte getragen hat.

Darsteller


Barbara Sukowa («Veronika beschließt zu sterben») ist Lena Brücker
Alexander Khuon («Lila, Lila») ist Hermann Bremer
Wolfgang Böck ist Holzinger
Branko Samarovski («Unter dir die Stadt») ist Lammers
Götz Schubert («KDD - Kriminaldauerdienst») ist Gary Brücker
Frederick Lau («Go West – Freiheit um jeden Preis») ist Jürgen Brücker

Kritik


Die 1993 von Uwe Timm publizierte Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ zog nahezu ausschließlich positive Rezensionen nach sich und wird heute bereits von Germanisten analysiert und an Universitäten gelehrt. 2008 schaffte es die Verfilmung des Stoffes in die deutschen Kinos, die nun am 8. Dezember auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen sein wird.

In der Adaption sind einige Elemente der Novelle abwesend; am bedeutendsten ist es wohl, dass die komplette Rahmenhandlung der Buchvorlage der Schere zum Opfer fiel. Betrachtet man die Filmversion per se und erwartet keine Eins-zu-Eins-Umsetzung, so ist das jedoch überhaupt nicht problematisch. Vielmehr eröffnet es der Erzählweise neue Möglichkeiten, als dass es sie behindern würde.

«Die Entdeckung der Currywurst» zeichnet das tragische Bild der letzten Wochen des zweiten Weltkriegs in Hamburg subtil und dadurch nur umso schärfer. Der Schrecken wird nicht zur Realität; er ist sie. Der Krieg, die Angst und die allgegenwärtige Brutalität lassen einen in diesem Film auch ohne exzessive Gewaltdarstellung schaudern. Die Erzählstruktur ist dabei nicht streng linear, sondern collagenartig aufgebaut und driftet teilweise gar in eine Art Stream-of-Consciousness ab, was die Zerrissenheit der Protagonisten treffend unterstreicht.

Den Film durchzieht eine ungeheure Kälte, die sowohl den historischen Kontext als auch die persönlichen Situationen der Charaktere umfasst. Dadurch lassen sich die Gefühlswelten der Figuren, die Drehbuchautorin und Regisseurin Ulla Wagner akribisch seziert und szenisch äußerst nuanciert darstellt, gelungen transportieren. Sowohl Bildsprache als auch Plot und narrativer Aufbau sind bis ins letzte Detail durchkomponiert und bleiben trotzdem organisch und flexibel. Die Dialoge erhalten gerade durch die Abwesenheit emotionaler Gefühlsausbrüche eine ungeheure Gewalt.

Die Hauptfigur Lena Brückner ist dabei als das Paradebeispiel einer starken Frau angelegt, wie man sie bereits aus den Filmen Rainer Werner Fassbinders kennt: Sie ist von ihrer Persönlichkeitsstruktur her unabhängig und erlangte während der Kriegszeit auch gesellschaftlich eine gewisse Selbstständigkeit, die sie auch in der Nachkriegszeit beibehält. Lena Brückner nimmt ihren verschollen geglaubten Mann zwar in den Wirren der ersten Nachkriegswochen wieder bei sich auf, schlägt sich aber wieder allein mit ihrem Sohn durch, nachdem die Beziehung zerbrochen ist.

Die Schauspieler agieren mit unheimlich viel Gefühl für ihre Rollen ohne auch nur den kleinsten Ausfall. Der Fassbinder'sche Stil des Films wird durch die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit Barbara Sukowa, die bereits in den legendären Filmen «Berlin Alexanderplatz» und «Lola» des Großmeisters zu sehen war, noch deutlicher. Doch auch Alexander Khuon offenbart eine grandiose Empathie für seine Figur. Bis auf ein paar Albernheiten gegen Ende des zweiten Aktes, die ein wenig aus der Atmosphäre reißen, ist «Die Entdeckung der Currywurst» damit eine rundum gelungene Produktion.

Das Erste zeigt «Die Entdeckung der Currywurst» am Mittwoch, den 8. Dezember 2010, um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/46291
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