360 Grad

Larry King Leaves

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Larry King wird bald mit seiner Talkshow aufhören. Julian Miller nimmt dies zum Anlass, über den amerikanischen TV-Journalismus zu schreiben.

Vor wenigen Tagen kündigte Larry King, der Godfather des amerikanischen Polittalks, in seiner Show an, in naher Zukunft mit seiner Sendung aufzuhören und CNN nur noch für gelegentliche Specials zur Verfügung zu stehen. Die Entscheidung überrascht trotz seines schon recht hohen Alters sehr, ist er doch seit einem Vierteljahrhundert eine Institution nicht nur im amerikanischen, sondern auch im internationalen Fernsehen, und ein wichtiger Eckpfeiler im Programmkonzept des Cable News Network. Wer ihm gegenübersitzt, hat es geschafft.

Gleichzeitig ist Larry King einer der letzten Vertreter einer zumindest angestrebten meinungsfreien Berichterstattung in den USA. Er ist immer freundlich und höflich, selbst wenn sein Gast auf abstoßend herablassende Weise damit droht, das Studio zu verlassen, wie etwa Amerikas Vorzeigedummchen Carrie Prejean vor einigen Wochen. Dafür nimmt King auch bei seinen Nicht-Boulevardgästen gerne in Kauf, dass die Diskussion meist recht ergebnislos endet. Er nimmt niemanden in die Mangel und gibt jedem seiner Gäste die Möglichkeit, der Welt zu sagen, was sie wollen, ohne sich großartig dafür rechtfertigen zu müssen.

Ganz anders arbeitet da eine neue Generation von amerikanischen Kabelnachrichtenjournalisten. Weniger bei CNN, dafür füllen sie aber einen Großteil der Programmslots bei den neueren Konkurrenzsendern MSNBC und FOX News, dessen Slogan „Fair and Balanced“ angesichts des Programminhalts wie ein schlechter Witz klingt. Das Spektrum ist klar aufgeteilt: Sean Hannity und der durchgeknallte konservative Hardliner Bill O'Reilly loben jeden Schund der Republikaner in den Himmel, während etwa Keith Olbermann bei MSNBC den republikanischen Senator Scott Brown aus Massachusetts schon einmal als „ein verantwortungsloses, homophobes, rassistisches, reaktionäres ehemaliges Nacktmodel“ bezeichnete.

Doch FOX News geht noch mehrere Schritte weiter. Denn während MSNBC es bei einer, zugegebenermaßen kontroversen, Berichterstattung à la Keith Olbermann oder Rachel Maddow belässt, greift FOX News klar in die amerikanische Politik ein und unterstützt seinen Standpunkt in jeder Beziehung vehement aktivistisch, wie etwa jüngst mit der Mitveranstaltung diverser „TEA-Bagging Rallies“. Ferner sind Olbermann und Maddow zweifelsfrei die besseren Redner und ihre Tiraden sind meist wesentlich fundierter als die eines Bill O'Reilly, der schon einmal zu einem Wirtschaftsboykott gegen Frankreich aufrief, während er sich Studioequipment aus Paris hat liefern lassen.

Das alles ist starker Tobak für kontinentaleuropäische Ohren, doch im amerikanischen TV-Journalismus mittlerweile Gang und Gäbe. Und nun verlässt mit Larry King auch noch einer der letzten Verfechter der leisen Polittöne in den USA das Feld. Ein Lotse geht mal wieder von Bord.

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