Stab
Darsteller: Henny Reents, Lucas Gregorowicz, Helene Grass, Jacob Matschenz, Lara Feith, Milena TscharntkeMusik: Oli Biehler
Kamera: Philipp Timme
Drehbuch: Benjamin Benedict und Jörg Lühdorff
Regie: Jörg Lühdorff
Das Drehbuch von Benjamin Benedict und Jörg Lühdorff setzt dabei auf eine Verdichtung der literarischen Vorlage, die sich nicht in Handlungssträngen verliert, sondern vielmehr die Spannung über die Figuren trägt. Schon die Exposition – ein Klingeln an der Tür, ein brutaler Überfall, ein Jugendlicher, der schwer verletzt ins Koma fällt – zeigt, wohin die Reise geht: nicht in die Welt der reißerischen Effekte, sondern in ein Geflecht aus Schuld, Verdrängung und Verstrickung, das sich erst allmählich entwirrt.
Im Mittelpunkt steht Henny Reents als Detective Sergeant Kate Linville, die mit leisen Tönen und einer angenehm unaufgeregten Präsenz die Ermittlungen vorantreibt. Reents verleiht ihrer Figur eine Mischung aus Entschlossenheit und Unsicherheit, die sie nahbar macht, ohne ins Klischee der einsamen Ermittlerin zu verfallen. Helene Grass, erstmals als Linvilles Vorgesetzte Pamela Graybourne zu sehen, erweist sich ebenso als kluge Besetzung: Sie spielt eine Polizistin, die nicht nur Distanz wahrt, sondern auch eigene Verletzlichkeiten erkennen lässt. Dass beide Frauen in ihrer jeweiligen Eigenwilligkeit nicht immer dieselbe Sprache sprechen, sorgt für jene Reibungsflächen, die das Drama auf subtile Weise bereichern.
Die eigentliche Stärke des Zweiteilers liegt allerdings weniger in den Wendungen der Handlung – so geschickt sie auch gesetzt sein mögen – als vielmehr in der Atmosphäre. Die Originalschauplätze an Englands Nordseeküste entfalten in Philipp Timmes Kameraarbeit eine geradezu poetische Kargheit: Nebel, Felsen, das graue Meer – die Landschaft wirkt nicht wie Kulisse, sondern wie ein eigenständiger Akteur. Dass Lühdorffs Inszenierung stellenweise einen Hauch von Film Noir evoziert, verleiht dem Stoff eine zusätzliche Dimension. Das Scarborough dieses Films ist kein touristisches Postkartenidyll, sondern ein Ort, an dem Schatten und Geheimnisse lange bestehen bleiben.
Dass die Identität des Täters lange verborgen bleibt, erzeugt einen Spannungsbogen, der weniger auf Schock, sondern auf Beklemmung setzt. Manchmal wirkt diese Konstruktion beinahe zu kunstvoll, als wolle sie die klassischen Mittel des Thrillers demonstrativ erweitern. Doch das Publikum dürfte sich gerade darin bestätigt fühlen, dass es nicht nur um die Auflösung, sondern auch um die Erkundung menschlicher Abgründe geht.

So ist «Einsame Nacht» ein Beispiel dafür, wie Fernsehunterhaltung und literarischer Anspruch ein fruchtbares Bündnis eingehen können. Die Romanvorlage wird respektiert, ohne sklavisch adaptiert zu werden. Stattdessen entsteht ein Film, der in seiner Balance aus psychologischem Tiefgang und kriminalistischer Spannung überzeugt. Kein radikaler Wurf, gewiss, aber ein klug inszeniertes Stück Erzählfernsehen, das sich den Zuschauern mit einer stillen Beharrlichkeit einprägt.
Der Zweiteiler «Charlotte Link – Einsame Nacht» wird am Donnerstag, den 2. Oktober, und Mittwoch, den 3. Oktober jeweils um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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