Interview

Tessa Ganserer: ‚Es werden fast ausschließlich alte Klischees bedient‘

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Für eine Analyse der ZDFneo-Serie «The Drag and Us» hat Quotenmeter mit der bayerischen Politikerin Ganserer gesprochen, die sich vor knapp zwei Jahren als trans* geoutet hat. Die Politikerin gibt auch Empfehlungen, welche Formate das Thema Trans mit Respekt behandeln.

Frau Tessa Ganserer, vielen Dank für Ihre Zeit! Sie sind seit Oktober 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags. Im Januar 2019 gaben Sie sich als Transgender geoutet.

Problem: Wahlplakate

Tessa Ganserer darf nicht mit ihrem Namen bei der Bundestagswahl antreten. Stattdessen muss sie mit ihrem früheren Namen werben, denn das 40 Jahre alte Gesetz sieht vor, dass man erst nach einem psychologischen Gutachten und einem Gericht den Namen wechseln dürfe.
Die Fraktionskolleginnen standen Schlange, um mich zu umarmen, und von vielen anderen Kolleg*innen aus den demokratischen Fraktionen habe ich positiven Zuspruch erhalten. Auch seitens der Landtagsverwaltung und der Präsidentin Ilse Aigner habe ich volle Unterstützung erfahren.

Schön zu hören! Sie haben sich sehr lange nicht getraut sich zu outen.
Mir war klar, dass ich nicht einfach als die Frau, die ich bin, in den Landtag gehen kann und so tun, als wäre nichts gewesen. Ich wusste, dass mein Coming-out während meiner aktiven Amtszeit ein enormes Medieninteresse erzeugen wird und ich meine Transition dann unter öffentlicher Begleitung machen muss. Ebenso war mir klar, dass damit auch Häme, Spott, Hass und Hetze nicht ausbleiben werden. Ich wusste aber nicht, ob ich das emotional durchstehe. Natürlich habe ich von anderen trans* Personen gelesen. Aber mir haben in der Politik einfach Vorbilder gefehlt. Deswegen hatte ich vor meinem Coming-out einfach so wahnsinnig Angst. Aber nun kann ich sagen, ich bin trans* und das ist auch gut so. Die nach mir werden es sicherlich leichter haben.

Sie stehen seit bald drei Jahren als trans* Frau in der Öffentlichkeit, nervt Sie das manchmal darauf reduziert zu werden?
Wenn es eine Erklärung dafür braucht, dass ich auf Grund körperlicher Merkmale bei der Geburt versehentlich dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurde, dann bin ich trans*. Das ist eine Eigenschaft, auf die ich nicht ständig reduziert werden möchte. Ich bin eine Frau und mein Name ist Tessa Ganserer, und ich würde mir wünschen, dass mich auch der Staat als das akzeptiert, was ich bin.

Die Frage nach Geschlechtszugehörigkeit ist juristisch und naturwissenschaftlich eigentlich längst entschieden. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2011: „Es ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt.“ Damit haben transgeschlechtliche Menschen das Recht auf körperliche Unversehrtheit; die bis dahin geltende Voraussetzung einer Genitaloperation für Personenstandsänderungen wurde außer Kraft gesetzt.

Tragischerweise folgte auf diese Rechtsprechung jedoch kein gesellschaftlicher Prozess, in dem Aufklärung und Akzeptanz der Vielfalt körperlicher Unterschiede gefördert wurden. Das muss sich ändern: Denn trans* Frauen sind Frauen und keine fremden Wesen oder Frauen zweiter Klasse. Die gesellschaftliche Situation muss zur rechtlichen aufschließen. Wir sollten als Gesellschaft endlich akzeptieren, was Magnus Hirschfeld schon in den 20er Jahren erkannt hat. Unser Geschlechtsteil sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen.

Schon seit einigen Jahren betreibt der fränkische Unternehmer Peter Weber seinen Blog und den YouTube-Kanal „Hallo Meinung“. Doch statt offen für Neues zu sein, ziehen seine Inhalte viele Rechte an. Sein Portal wird von der Allianz gegen Rechtsextremismus als „rassistisch“ und „demokratiegefährdend“ eingestuft.
Ihre Frage geht in die völlig falsche Richtung. Das Amtsgericht Hersbruck hat festgestellt, dass es sich hier um eine Beleidigung handelt. Menschen anhand gruppenbezogener Merkmale zu beleidigen und herabzuwürdigen ist keine Meinung, sondern eine Straftat. Hass ist keine Meinung und wir müssen verhindern, dass der Hass, der in den sozialen Medien verbreitet wird, die gesellschaftliche Stimmung vergiftet und hinaus auf die Straßen getragen wird. Deswegen muss Hasskriminalität online wie offline konsequent geahndet werden.

Peter Weber hat auch in zweiter Instanz vor dem Gericht verloren. War dies für Sie eine große Erleichterung, dass Hass im Netz eben doch bestraft werden kann?
Ich will niemandem etwas Böses, und ich muss auch nicht allen gefallen. Wir sind alle verschieden, aber gleich an Würde und Rechten. Ich will wie jeder andere Mensch auch akzeptiert und respektvoll behandelt werden. In diesem Sinne ist das Urteil ein klarer Sieg für anständige Umgangsformen und für unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft.

Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook erlauben Hate-Speech. Sollte man diesen Konzernen engere Daumenschrauben anlegen, sich nach deutschen Regularien zu verhalten?
Plattformbetreiber*innen müssen ihrer großen Verantwortung gerecht werden. Deswegen müssen Betroffene sich schneller und effektiver gegen Angriffe im Netz wehren können. Dafür braucht es einen Gesetzesrahmen für eine Verbesserung der Strafverfolgung und der zivilrechtlichen Durchsetzung. Vor allem dürfen wir diejenigen, die Ziel von Hassattacken wurden, nicht allein lassen. Diese Aufgabe leisten im Moment vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen. Solche unabhängigen Beratungsangebote müssen gestärkt werden

Das ZDF ließ eine Serie namens «The Drag and Us» produzieren, die allerdings sowohl von LGBTQIA+-Fachmagazinen als auch vom Feuilleton verrissen wurde. Die Macher, unter anderem «Hausmeister Krause»-Star Tom Gerhardt, haben scheinbar Dragqueens mit Transgender verwechselt.
Die Sitcom sei „krass transfeindlich – und das muss man erst mal hinkriegen in einer Serie, in der gar keine trans Figuren vorkommen“. Stefan Mesch kritisiert ein unkritisches Durcheinander von Begriffen und Konzepten.
Ehrlich gesagt habe ich sehr vernichtende Kritiken über die Sendung gelesen und für mich eigentlich beschlossen, dass ich es mir ersparen werde, die Serie anzusehen. Für die Antwort auf das Interview habe ich mir dann doch zwei Folgen angesehen und bereue es zutiefst.

Denn nachdem die Öffentlich-Rechtlichen mit «All You Need» und «Loving Her» endlich mal wirklich gute queere Serien produziert haben, ist «The Drag and Us» nicht nur niveaulos, sondern auch voll daneben. Das war verschwendete Lebenszeit.

Beim Konsum der Serie, hatte ich das Gefühl, dass keiner der ZDF-Redakteure oder der Produktionsfirma überhaupt mit der LGBTQIA+-Szene gesprochen hat.
Mir fehlten und fehlen fiktive Darstellungen von trans als etwas gewöhnlichem. Dies hat es mir verdammt schwer gemacht, mich selbst zu akzeptieren. Transgeschlechtliche Menschen gibt’s in allen gesellschaftlichen Schichten. Nur wo sind in Film und Fernsehen die Geschichten von trans* Professor*innen, die einen Nobelpreis bekommen, trans Schüler*innen, die sich bei einer Umweltorganisation engagieren, von der lesbischen Polizistin, die mit ihrem trans*männlichen Kollegen gegen Menschenhandel und organisierte Wirtschaftskriminalität ermittelt, oder dem schwulen trans* Mann, der Minister wurde und in einer akuten Krise nun gleich zum ‚Notfallmanager‘ wird, usw.

In der Fiktion werden fast ausschließlich alte Klischees bedient, die mit der Realität nichts zu tun haben: Es werden ‚Männer in Frauenkleidern‘ als Witzfiguren gezeigt, in tragischen Rollen im Rotlichtmilieu arbeitend oder, besonders beliebt, als ‚grausame Monster‘ oder eben Drag Queens. All diese Zusammenhänge werden in der Netflix-Dokumentation «Disclosure» über die Rolle von Transgeschlechtlichkeit in Film und Fernsehen sehr gut aufgearbeitet. Man muss nicht trans* sein, um zu verstehen, warum diese einseitige Darstellung in Filmen so ein großes Problem ist, aber vielleicht hilft es, wenn man sich diese Dokumentation anschaut.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg wünschen wir bei Ihrer Wahl in den Bundestag!

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