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«Unvergesslich» im ZDF: Immer wieder geht die Sonne auf

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Kann Singen die Lebensqualität von demenzkranken Menschen verbessern? Das ZDF widmet sich ab Dienstagabend dieser Frage und macht damit über einen emotionalen Ansatz auf ein sehr wichtiges Thema Aufmerksam. Unsere TV-Kritik…

Über den ZDF-Neustart «Unvergesslich»

  • «Unvergesslich - Unser Chor für Menschen mit Demenz» basiert auf dem BBC-Format «Our Dementia Choir».
  • Das Projekt startete in Deutschland im Januar 2020.
  • Es wurde von einem wissenschaftlichen Team aus dem Bereich Altersmedizin der Goethe-Universität Frankfurt begleitet.
  • Chorleiter in dem Format ist der Sänger Eddi Hüneke ("Wise Guys").
  • Der Großteil der Dreharbeiten wurde vor Beginn der Coronakrise abgeschlossen.
  • Das ZDF zeigt das vierteilige Factual-Entertainment-Format immer dienstags um 22.15 Uhr.
Laut Angaben des Bundesministeriums für Forschung und Entwicklung leiden schon heute rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz. Da die Lebenserwartung genauso wie das Durchschnittsalter der Menschen in unserem Land ansteigen, gehen Schätzungen davon aus, dass es in den kommenden Jahrzehnten noch Hunderttausende mehr sein werden. Trotz der hohen Fallzahlen dürfte die Krankheit, die größtenteils Menschen über 60 trifft, im Alltag vieler Jüngerer nur eine beiläufige Rolle spielen. Dabei lohnt es sich, einmal genauer auf das Krankheitsbild Demenz zu schauen, das bis heute nicht geheilt werden kann.

Einen spannenden und authentischen Einblick in das Thema bietet ab diesem Dienstag das ZDF, das um 22.15 Uhr das vierteilige Factual-Entertainment-Format «Unvergesslich - Unser Chor für Menschen mit Demenz» startet. In der Sendung, die von der Schauspielerin Annette Frier («Merz gegen Merz») präsentiert wird, bilden Menschen einen Chor, die sich in einem anfänglichen oder mittleren Demenz-Stadium befinden. Gezeigt werden die Betroffenen dabei nicht nur bei den Chorproben, sondern auch in ihrem Alltag bei sich zuhause. Die Chor-Szenen werden von wissenschaftlichen Einordnungen von Forschern der Goethe-Universität in Frankfurt garniert. Ihr Ziel ist es, die Ergebnisse einer bereits vorhandenen Studie zu replizieren. Diese konnte belegen, dass Singen bei Demenzkranken einen positiven Einfluss auf ihre Lebensqualität hat.

Mindestens genauso interessant wie die Ergebnisse des Experiments sind aber allein schon all jene Szenen, die einfach nur veranschaulichen, wie sich ein Alltag für Menschen mit Demenz überhaupt gestalten kann. Wenn Annette Frier die Demenzkranken bei sich zuhause besucht, wird deutlich, dass die Krankheit auch für die Angehörigen eine enorme Herausforderung darstellt - vor allem, wenn die Betroffenen vergleichsweise jung sind. Ein Beispiel hierfür ist der 68-jährige Jurist Bruno, der seit einigen Jahren Demenz hat, worunter neben ihm auch seine Frau leidet. Beachtlich ist das hohe Maß an Selbstreflektion, zu dem manch Chorsänger trotz seiner Krankheit fähig ist. „Ich bin jemand, der augenblicklich wahrnimmt, aber nicht sehr viel speichert“, sagt eine 89-jährige Dame, die an Demenz erkrankt ist und ebenfalls an dem Projekt teilnimmt.

In diesem Sinne ergreift «Unvergesslich» den Zuschauer auf einer ähnlichen Ebene wie schon «Zeig mir Deine Welt» im Ersten mit Kai Pflaume oder «Wir sind klein und ihr seid alt» bei VOX. Ohne unnötige Dramatisierungen begleitet die Sendung die Betroffenen, schaut ihnen über die Schulter und bleibt dabei stets auf Augenhöhe. Auf diesem Wege wird das Publikum Zeuge davon, wie Menschen ihre Herausforderungen im Alltag meistern, welche Lichtblicke sich auch in schwierigen Situationen zeigen und welche Probleme sie in Zukunft fürchten. Besonders rührend wird es in der zweiten Folge am kommenden Dienstag, wenn der an Demenz erkrankte Benny seinem Mann ein Lied vorsingt und dieses mit einem Liebesgeständnis verbindet.

Obwohl viele Szenen eher traurig sind, drückt die von Tower Productions realisierte Sendung nicht unnötig auf die Tränendrüse. Stattdessen versucht sie, einen positiven Grundton zu wahren. Bei dem ersten Lied, das die Chormitglieder gemeinsam singen, handelt es sich beispielsweise um Udo Jürgens' "Immer wieder geht die Sonne auf". Der über 50 Jahre alte Schlager ist ein Plädoyer dafür, die eigene Lebensfreunde und den Lebensmut nicht zu verlieren. "Wenn das Schicksal uns etwas nimmt/ Vertraue der Zeit/ Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf/ Und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht", heißt es in dem Lied, das gerade in diese Sendung sehr gut hineinpasst.



Als geeignete Moderatorin für das Format erweist sich bei alledem Annette Frier, die durch ihre Großmutter auch in ihrem eigenen familiären Umfeld Erfahrungen mit Demenz gesammelt hat. Ihr gelingt es gut, auf die Betroffenen und deren Umfeld einzugehen, mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren und so mehr über ihre Lage zu erfahren. Dass es der Sendung um ein wissenschaftliches Experiment geht, wird für das Publikum bei den vielen emotionalen Momenten fast schon zweitrangig. Halb so schlimm erscheint dabei ebenfalls, dass das Abschlusskonzert des Chores wegen der Corona-Pandemie im März nicht mehr stattfinden konnte. Sehenswert ist das Projekt trotzdem, zumal allein schon das gemeinsame Einstudieren von Liedern das Lebensgefühl vieler Teilnehmer gesteigert haben dürfte. "Es ist keine Heilung, aber es ist Linderung. Es ist wie ein Medikament. Dieses gemeinsame Musizieren habe ich als absolute Pille empfunden", bewertet Annette Frier das Projekt.

Fazit: Mit «Unvergesslich - Unser Chor für Menschen mit Demenz» ist den Programmverantwortlichen des ZDFs ein qualitativ hochwertiges Factual-Entertainment-Format gelungen. Es sensibilisiert sein Publikum für ein Thema, dem viel mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden müsste und wählt dabei einen emotionalen, aber höchst authentischen Ansatz. Einschalten lohnt sich!

Das ZDF zeigt vier Folgen von «Unvergesslich - Unser Chor für Menschen mit Demenz» ab diesem Dienstag wöchentlich um 22.15 Uhr. In der ZDF Mediathek ist das Format ab sofort komplett abrufbar.

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