Die Kritiker

«Stargirl»: Subdued Pixie Crush Girl

von

Die Bestselleradaption «Stargirl» ist eine nachdenklich getaktete, verträumte Coming-of-Age-Geschichte, die aber bei allem Charme unausgegoren wirkt.

Filmfacts «Stargirl»

  • Regie: Julia Hart
  • Produktion: Kristin Hahn, Ellen Goldsmith-Vein, Lee Stollman, Jordan Horowitz
  • Drehbuch: Kristin Hahn, Julia Hart, Jordan Horowitz; basierend auf dem Roman von Jerry Spinelli
  • Cast: Grace VanderWaal, Graham Verchere
  • Musik: Rob Simonsen
  • Kamera: Bryce Fortner
  • Schnitt: Shayar Bansali, Tracey Wadmore-Smith
  • Laufzeit: 107 Minuten
Er ist ein einsamer, nachdenklicher und ernster Mann, der eine karge Existenz führt. Sie ist eine spritzige, frohe, unberechenbare Frau voller Tatendrang. Wenn diese Zwei zusammenfinden, sprühen die Funken und sie erfüllt ihn mit einem neuen Sinn im Leben. Das, liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde, beschreibt die Popkulturanalyse gemeinhin als eine Story über ein Manic Pixie Dream Girl. Wie für fast jeden Tropus gilt auch für das Manic Pixie Dream Girl: An und für sich ist daran nichts auszusetzen. Die Gegenüberstellung eines betrübten, stoischen Mannes und einer abenteuerlustigen, vitalen Frau ist tief in der literarischen Geschichte verwurzelt und hat sich auch im Kino in zahlreichen Werken bemerkbar gemacht – darunter in solchen Klassikern wie im raffinierten Audrey-Hepburn-Vehikel «Frühstück bei Tiffany», im verträumten französischen Hit «Die fabelhafte Welt der Amélie» oder in Zack Braffs liebevoll-verschrobenem Regiedebüt «Garden State».

Allerdings geriet das Manic Pixie Dream Girl in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik – und das nicht einmal unverdient. Denn im Fahrwasser des überraschenden Erfolgs, den «Garden State» feierte, schossen halb-quirlige Dramödien mit einer ähnlichen Formel wie die Pilze aus dem Boden. Doch unter diesen Trittbrettfahrern befanden sich zahlreiche Filme, in denen die weibliche Hauptfigur zu einer halbseiden geschriebenen, reinen Wunschvorstellung verkam. Das, gepaart damit, dass man nunmehr bewusster darüber nachdenkt, ob es in Kunst und Kultur eine Klischeevorstellungen befeuernde Ungleichverteilung in der Darstellung von Gendern gibt, schadete dem Ruf von Manic-Pixie-Dream-Girl-Narrativen. Und neue Werke, die in eine ähnliche Kerbe schlagen, scheinen oft gegen diese Strömung steuern zu wollen.

Blickt man auf den Disney+-Exklusivfilm «Stargirl» ist diese Vorgeschichte nicht unerlässlich. Denn die von Schriftsteller Jerry Spinelli verfasste, gleichnamige Romanvorlage, die zum Bestseller wurde sowie zu einem Standardwerk der US-amerikanischen Schullektüre, stammt aus dem Jahr 2000 – also aus einer Zeit, als sich Manic-Pixie-Dream-Girl-Geschichten noch nicht in den Augen vieler überreizt haben. Insofern überrascht es nicht, dass sich «Stargirl» nun, 20 Jahre später, einerseits bewusst in die Richtung bekannter Manic Pixie Dream Girls bewegt, andererseits aber auch von jüngeren Gattungsvertretern distanziert.

Inszeniert wurde «Stargirl» von Julia Hart, der Regisseurin des Drama-Geheimtipps «Miss Stevens» mit Lily Rabe, Timothée Chalamet, Lili Reinhart, Anthony Quintal und Oscar Nunez, sowie des Indie-Superheldinnenfilms «Fast Color» mit Gugu Mbatha-Raw, Lorraine Toussaint, Saniyya Sidney, Christopher Denham und David Strathairn. Diese beiden Filme definieren sich unter anderem durch ihre gedämpft-optimistische Stimmung – und ihre Handschrift lässt Hart auch in diesem Disney+-Originalfilm durchschimmern. Denn obwohl es in «Stargirl» darum geht, wie eine flippige, auffällige, durch und durch positiv gestimmte neue Schülerin namens Stargirl eine High School auf den Kopf stellt und einem schüchternen Jungen den Kopf verdreht, ist der Film in einem ruhigen, reflektierenden Duktus gehalten.

Zwar verdichtet das Drehbuch von Kristin Hahn, Julia Hart und Jordan Horowitz die Handlung der Vorlage ziemlich deutlich, jedoch spielen sich die einzelnen Szenen in einem entspannten Erzähltempo ab. Eine längere Montage im zweiten Akt beschleunigt das Geschehen sehr effizient, um den Filminhalt zügig mit dem Buch mitziehen zu lassen. Und dann ist da noch Harts Ästhetik: Die Filmemacherin verleiht «Stargirl» eine elegant-zurückgenommene Bild- und Klangwelt mit sanfter Tonabmischung, unaufdringlich-sentimentaler Instrumentalmusik und Bildern in einer sanften Lichtsetzung, die von einer ruhenden Kamera eingefangen werden. So kommt zwischenzeitlich die Atmosphäre auf, als sei «Stargirl» weniger eine Jugendgeschichte über die erste Liebe, schulischen Gruppendruck und die Tücken der Selbstfindung, sondern mehr ein rückblickendes Sinnieren über eine Zeit eben solcher biografischer Einschnitte.

In den Passagen, in denen diese zurückschauende Perspektive von «Stargirl» zur Geltung kommt, sei es auf inhaltlicher oder stilistisch-tonaler Ebene, lässt sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Tropus des Manic Pixie Dream Girl vorfinden: Mehrmals wird (mal deutlich, mal zwischen den Zeilen) die Frage aufgeworfen, wie schrill die Titelheldin eigentlich wirklich ist, und wie sehr der Eindruck der schrägen, neuen Mitschülerin nur von der trägen Trübseligkeit der restlichen Schülerschaft abhängig ist. Zudem machen Regie und Skript deutlich, dass «Stargirl» aus der fehlbaren Sicht der männlichen Hauptfigur Leo erzählt wird – und Leo war selber mal der schrille Außenseiter auf seiner Schule, bis er sich in die Konformität hat schlagen lassen. Somit hat seine Anziehung zu Stargirls selbstbewusster Exzentrik eine erfrischende Grundlage, statt erneut Gefilde abzudecken, die schon massenhaft behandelt wurden, in Filmen von Trash bis hoher Kunst.

So reizvoll diese nachdenklich-distanzierten Szenen auch sein mögen – sie stützen das Gesamtwerk leider nur partiell. Denn «Stargirl» gerät mehrmals ins Trudeln, wenn die aus dem Jahr 2000 stammende Geschichte mit dem heutigen Setting des Films kollidiert. Der nostalgisch-verträumte Tonfall, den Hart dem Film verleiht, versteht es zwar stellenweise, die Schrammen zu kaschieren, die aus diesem Clash resultieren. Trotzdem bleibt über weite Strecken eine sonderbare Dissonanz, wenn klar im Heute verortete Jugendliche über selbstbewusst ausgedrückte Individualität, Mitgefühl mit dem Gegenüber und über nerdig-nostalgische Hobbys sprechen, als würde der Film im Jahr 2000 spielen.

Dass Stargirl von der sonderbaren Neuen zur amüsanten Ablenkung vom Alltag zur missachteten Außenseiterin wird, ist in der Radikalität, mit der der Film davon erzählt, mit den inhaltlich gegebenen Argumenten nicht in einem 2020er-Setting glaubwürdig. Und da in «Stargirl» auch kein thematischer Diskurs über gewandelte soziokulturelle Phänomene aufgemacht wird, findet der Film auch keinen Weg, aus dieser Dissonanz eine bewusste Stärke zu formen.

Zwar lassen sich aus den zeitlosen Aspekten der Geschichte auch Thesen über modernen Zynismus und das im Internetzeitalter oft bemerkbare Janusgesicht vieler Menschen ziehen – jedoch bleibt es bei flüchtigen thematischen Ansätzen. Selbiges gilt für die Auseinandersetzung des Films mit dem Manic-Pixie-Dream-Girl-Konzept: Denkansätze sind vorhanden, aber weder kommt «Stargirl» zu einem Entschluss, noch überlässt der Film dem Publikum die Schlussfindung auf eine zum Nachdenken anregende Weise.

Gespielt wir die Titelfigur von der US-amerikanischen Sängerin Grace VanderWaal, die eine sehr spezifische Note des Manic Pixie Dream Girls trifft: Stargirl ist zwar ein froher, mitfühlender Farbklecks auf einer grauen, grantelnden Schule. Jedoch säuselt VanderWaal auf einer verträumt-melancholischen Art und drückt Stargirls Gefühle mit einer zwar spontanen, unmittelbaren, aber zugleich zurückhaltenden Gestik aus. So legt sie Stargirl als sehr individuell, nicht aber als unerschrocken und aufgesetzt an – es ist exakt die Performance, die diese «Stargirl»-Adaption braucht und die sich schrittweise als inhaltlich begründet erklärt.

Auf dieser Ebene findet auch das Kokettieren mit dem Manic-Pixie-Dream-Girl-Rollentypus statt: VanderWaals Stargirl mutet wie ein Sammelsurium als zahlreichen Zoey-Deschanel-Rollen, Kate-Micucci-Figuren, Natalie Portmans versteckt-kummervoller «Garden State»-Figur und einer typischen Disney-Chanel-Original-Movie-Figur an: Sie trägt bunte Kleidung, sammelt Schallplatten, singt leise, doch muntere Ständchen auf einer Ukulele, grübelt über Mitleid nach und sie schaut als einzige Figur in diesem Film direkt in die Kamera und bewegt sich oftmals mit einer Rhythmik, als sei sie in einem kinderfreundlichen Musikvideo. Nur, dass diese Unangepasstheit durch VanderWaals träumerisches Spiel deutlich zarter anmutet, als man es nach so einer erwarten würde – eine diffizile, bemerkenswerte Leistung.

Doch wenn nicht sie fast im Alleingang den Film trägt, sondern der männliche Hauptdarsteller Graham Verchere («The Good Doctor») einen Großteil der Handlung und Emotion mittragen muss, bleibt «Stargirl» oftmals hinter den Möglichkeiten zurück: Wenn VanderWaals Magnetismus in den Hintergrund tritt, werden die konzeptuellen Schwächen dieser Adaption zu deutlich. Sei es, dass die Gruppenmentalität der Nebenfiguren halbherzig erörtert wird, die kritische Distanz zum Protagonisten nur sporadisch ausgelotet wird oder sich Figurenzeichnung und zeitliches Setting zu deutlich beißen.

Als kleinere, moderne Disney-Produktion mit nostalgischer Ausstrahlung hat «Stargirl» dennoch einen gewissen Charme, nicht zuletzt, weil Harts Regieführung sowie VanderWaals Spiel gekonnt über einige Skript-Schwächen hinweg täuschen. Trotzdem ist «Stargirl» ein Film des ungenutzten Potentials, ein Film der an- aber nicht zu Ende gedachten thematischen Erkundungen.

«Stargirl» ist auf Disney+ abrufbar.

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