Die Kino-Kritiker

«Churchill»

von

Nach «The Railway Man» widmet sich Jonathan Templitzky in seinem neuen Film «Churchill» ein weiteres Mal einer real existierenden Persönlichkeit.

Filmfacts: «Churchill»

  • Kinostart: 25. Mai 2017
  • Genre: Biopic/Drama/Kriegsfilm
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 106 Min.
  • Kamera: David Higgs
  • Musik: Lorne Balfe
  • Buch: Alex von Tunzelmann
  • Regie: Jonathan Templitzky
  • Darsteller: Brian Cox, Miranda Richardson, John Slattery, Ella Purnell, Danny Webb, Steven Cree
  • OT: Churchill (UK 2017)
Es heißt, er sei der größte Staatsmann, den Großbritannien je gesehen hat. Als Abkömmling der Herzöge von Marlborough war er seit 1900 fast ununterbrochen Parlamentsabgeordneter, hatte unzählige Ministerposten inne und erhielt 1953 den Nobelpreis für Literatur. Gleichzeitig zeichnete er mit der verlorenen Schlacht um Galipoli 1915 für eine der schlimmsten britischen Niederlagen im Ersten Weltkrieg verantwortlich und lief im Juni 1944 Gefahr, dieser Super-GAU könne sich wiederholen, als über eine Million britischer Soldaten in Frankreich die entscheidende Wende im Kampf gegen die deutsche Übermacht bringen sollten. Durch Churchills strategisches Know-How und den Rückhalt des britischen Volkes im Rücken, das er während des Krieges immer wieder mithilfe motivierender Reden zum Durchhalten animierte, gelang seinen Truppen ein wichtiger Vorstoß an der nordfranzösischen Küste, bei der 225.000 britische, gleichzeitig aber auch über 400.000 deutsche Soldaten ihr Leben ließen. Darauf aufbauend kapitulierte Deutschland im Jahr 1945; ein Erfolg, der zu großen Teilen auch Winston Churchill, seinem überlegenden Durchhaltevermögen und seinen militärischen Kenntnissen zugeschrieben wurde. Sein Staatsbegräbnis im Jahr 1965 wurde zum größten, das die Welt je gesehen hat. Wie nähert man sich filmisch einer Persönlichkeit, die bis heute als „der größte Brite aller Zeiten“ beschrieben wird?

Juni 1944


Der britische Premierminister Winston Churchill (Brian Cox) steht vor einer epochalen Entscheidung: Soll er den Einmarsch der Alliierten Streitkräfte in das von Nazi-Deutschland besetzte Europa befehlen? Erschöpft durch den jahrelangen Krieg ist Churchill nur noch ein Schatten des einstigen Helden, der sich Hitlers Blitzkrieg widersetzte. Er befürchtet, dass man sich an ihn nur als den „Architekten des Blutvergießens“ erinnern wird, falls die D-Day-Operation scheitert. Soll er seinem Gewissen folgen oder sich der Kriegsräson ergeben? In den dramatischen Tagen vor der Invasion ist seine Frau Clementine als wichtige Ratgeberin an seiner Seite. Wie niemand sonst versteht sie es, sein impulsives und aufbrausendes Temperament resolut und liebevoll zugleich zu zügeln. Doch die Anspannungen der Kriegsjahre haben in ihrer Beziehung tiefe Spuren hinterlassen. Und so steht auch ihre Ehe in diesen Tagen vor einem Wendepunkt.

In dieser Saison wird es direkt zwei Filme geben, die sich mit dem Schaffen Winston Churchills befassen. Neben Jonathan Templitzkys Biopic, das sich auf die kurze Zeitspanne rund um die D-Day-Operation konzentriert, erzählt «Pan»-Regisseur Joe Wright ab dem 18. Januar 2018 in «Darkest Hour» von der Rolle des Ministers zu Beginn der Zweiten Weltkrieges; als Winston Churchill wird in diesem Film Gary Oldman zu sehen sein. In «Churchill» schlüpft Brian Cox («Das Morgan Projekt») in die Haut dieser bedeutsamen Persönlichkeit und tritt damit in die Fußstapfen von Schauspielern wie Andy Nyman, John Lithgow, Alan C. Peterson, Richard Loncrane und Simon Ward. Sie alle durften Churchill bereits in diversen Biopics verkörpern, doch Brian Cox gelingt es mit seiner Performance erstmals, die äußerst unbequemen Ecken und Kanten seines Vorbilds herauszustellen.

Sein Winston Churchill ist von der ersten Sekunde an alles andere als sympathisch, verweigert die Anbiederung an Umfeld und Publikum konsequent und kreiert eine Aura der Unantastbarkeit, die seinen Charakter zu einem sperrigen, aber auch faszinierenden Zeitgenossen macht. Rückt die Bedeutsamkeit seiner Entscheidungen nämlich erst einmal in den Mittelpunkt, kristallisiert sich gleichsam eine Leidenschaft für seine(n) Beruf(ung) heraus, die sich mit Verzweiflung und Machtlosigkeit mischt – eine explosive Mischung, der nicht einmal seine liebevolle, ihn durch und durch unterstützende, aber auch immer hilflosere Ehefrau (Miranda Richardson) Herr werden kann.

Ein eindringliches Filmerlebnis - Dank Brian Cox


Die von extremen emotionalen Schwankungen geprägte Interaktion zwischen Brian Cox und Miranda Richardson («Dido Elizabeth Belle») versorgt «Churchill» mit persönlicher Tiefe, die über das komplexe Tun und Schaffen seiner Hauptfigur hinaus geht. Die Faszination des Films entsteht in erster Linie aus dem Kontrast, der sich aus der fast schon menschenfeindlichen Attitüde des Protagonisten sowie seinem ganz und gar aufopferungsvollen Handeln ergibt. Das kann auf die Dauer ziemlich anstrengend werden; umso besser fahren Regisseur Jonathan Teplitzky («Die Liebe seines Lebens – The Railway Man») und Drehbuchautor Alex von Tunzelmann (schrieb eine Episode der TV-Serie «Die Medici: Herrscher von Florenz») damit, auch Teile seines Umfeldes näher zu beleuchten. Miranda Richardson fungiert da vor allem als außenstehende Beobachterin, mit der es sich als Zuschauer hervorragend identifizieren lässt. John Slattery («The First Avenger: Civil War») als Dwight Eisenhower gelingt es gut, seine Position als Churchills Verbündeter und Bezugsperson zu unterstreichen, während der Subplot um die Büroangestellte Helen (Ella Purnell, «Die Insel der besonderen Kinder») zunächst zum Ziel kleiner Seitenhiebe wird, deren Witz im Anbetracht der Umstände allerdings verpufft und deren Authentizität gen Ende einer emotionalen, jedoch allzu reißerisch-kitschigen Entwicklung zum Opfer fällt.

Inszenatorisch passen sich die Macher der Langsamkeit in der Erzählung an. Um die Faszination und Einzigartigkeit Winston Churchills zu unterstreichen, inszeniert Kameramann David Higgs («RocknRolla») viele Bilder wie Stillleben, welche die Hauptfigur minutenlang in einer einzelnen Positionen zeigen. Drapiert in großen, penibel ausgeleuchteten Räumen stehend, gedankenversunken am Strand entlang spazierend oder lethargisch in seinem Büro sitzend, während er dabei über den nächsten Schachzug auf dem Kriegsfeld grübelt – «Churchill» wirkt bisweilen wie eine Bildmontage seinen Hauptcharakter unterstreichender Bilder mit Symbolwert, was die Handlung zu gleichen Teilen ausbremst und ihr einen künstlerischen Mehrwert beimisst. Die Liebe zu seiner Hauptfigur ist Jonathan Templitzkys Inszenierung jederzeit anzumerken. Wenn Higgs‘ Kamera bisweilen in extremen Close-Ups an die Figuren heran fährt, sieht der Regisseur in der minimalistischen Mimik seines Protagonisten wohl mehr Aussage als in den vielen Dialogen zwischen ihm und seinem politischen Umfeld. Dadurch findet «Churchill» zu einer Persönlichkeit und Tiefe, die droht, abhanden zu kommen, wenn die politischen Wortwechsel das Geschehen über viele Szenen dominieren. Trotz einer Lauflänge von gerade einmal neunzig Minuten führt das aber auch zu Behäbigkeit und einer nicht zu leugnenden Redundanz. Wie gut, dass die Prämisse selbst in der Lage ist, derartige Schwächen oft auszugleichen. Von der fesselnden Performance Brian Cox‘ einmal ganz zu schweigen.

Fazit


Das Biopic «Churchill» nähert sich einer bedeutenden Persönlichkeit, indem der Regisseur sich vollständig auf eine kurze, jedoch besonders wichtige Zeitspanne konzentriert. So ist es ihm möglich, die Komplexität des Charakters Winston Churchills anhand einer Extremsituation zu betonen, gleichzeitig verliert sich der Film in manchen Momenten in Lethargie und bemühter Künstlichkeit. Brian Cox dagegen spielt überragend.

«Churchill» ist ab dem 25. Mai in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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