Sonntagsfragen

Sandra Müller: „Radio muss wieder etwas erzählen!“

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Welche Rolle spielt das Medium Radio in Zeiten von Streaming und Spotify? Hat moderiertes Programm eine Zukunft? Und warum ruft eigentlich niemand Lügenpresse nach Radiobeiträgen? Fragen zum Weltradiotag an Sandra Müller, Radiokritikerin und Moderatorin bei SWR4.

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Welche Hauptkritikpunkte haben Sie am eigenen Medium?
Die journalistische Arbeit kommt immer mehr unter Druck und selbst die großen Häuser müssen sparen. Dadurch fehlt oft das Budget und vor allem die Zeit, Themen hintergründig anzugehen. Man muss klar sagen: Was Katharina Thoms und ich in Meßstetten machen konnten, ist nicht der Normalfall. Wir konnten in dem SWR-Projekt viel Zeit darauf verwenden, den Puls der Leute zu fühlen und das machen wir Journalisten insgesamt zu selten. Oft machen wir Agentur- und Schreibtischjournalismus oder lesen schlaue Texte, um dann einen neuen schlauen Text zu generieren. Oder verarbeiten Statements aus Pressekonferenzen. Das erfasst aber nicht das Lebensgefühl der Menschen. Man ist nicht vor Ort. Radio ist aber da stark, wo es direkt aus dem Leben reportiert und erzählt. Und deshalb wünsche ich mir, dass das Radio diese Stärken weiter ausspielt, auch wenn es teuer und aufwändig ist.

Ich habe eine Woche lang mit ausführlichem Schreibtischjournalismus an der nächsten Frage geknobelt: Was kritisieren Sie am SWR?
Ich kritisiere am SWR nichts Grundsätzliches. Ich arbeite gern hier. Was nicht heißt, dass ich nicht als kritischer Geist im SWR bekannt wäre. Meine Redaktionskollegen kennen mich als eine, die oft rummäkelt und kritische Anmerkungen macht. Aber das ist Kritik, die zum journalistischen Alltag gehört. Nicht in so ein Interview.

Bei fairRadio kritisieren Sie weniger das große Ganze, von dem Sie eben sprachen, sondern eher das kleine Detail: Die Livestrecke zum Beispiel, die nicht live ist.
Das stimmt. Wir haben uns als Initiative aber auch darauf spezialisiert, radiospezifische Dinge zu kritisieren. Es nützt ja nichts, ein zweites ZAPP-Magazin oder ein zweites Übermedien zu sein, sondern spannend ist, nur auf das Radio zu gehen. Wie man eine Recherche angeht, ist aber vor allem ein allgemeinjournalistisches Problem. Wir wollen vor allem anschauen, wie durch Radioproduktion die Glaubwürdigkeit unterminiert wird und dazu gehört, dass man den Hörern kein Anlass zur Irritation oder Desillusion gibt. Wir sollten nichts machen, was den Hörer enttäuscht. Einem Hörer, der kein Medienexperte ist, kann man nur schwer erklären, dass ein Interview als live ausgegeben wird, aber schon gestern aufgezeichnet wurde. Manchmal ist es auch so, dass sie sich im Radio selbst hören, aber jemand anders plötzlich die Fragen stellt. Manchmal werden sogar ganz andere Fragen gestellt. Das geht nicht.

Wir sollten nichts machen, was den Hörer enttäuscht.
Sandra Müller
Wenn Radio vor allem als Unterhaltungsmedium wahrgenommen wird: Ist das der Grund, warum gerade junge Wellen fast nur journalistische Beiträge senden, die kürzer als zwei Minuten sind?
Ja, weil es die Sorge gibt, dass das Wort ein Abschaltfaktor ist. Deswegen gibt es ein Musikbett und deswegen sind die Beiträge möglichst kurz. Man suggeriert damit unterschwellig, dass das Wort gleich wieder vorbei ist.

Hören Sie sich mal die Nachrichten von DASDING an. Das ist so ziemlich das Beste, was im deutschen Radio gemacht wird.
Sandra müller
Ist es wirklich sinnvoll, Radiobeiträge auf das Nötigste zu kürzen und auf Unterhaltung und Service zu setzen in den Morningshows?
Hören Sie sich mal die Nachrichten von DASDING an. Das ist so ziemlich das Beste, was im deutschen Radio gemacht wird. Zwar haben die Nachrichten formal nichts mehr mit den Nachrichten des Deutschlandfunks zu tun, aber sie sind in ihrer Art und Tiefe vergleichbar. Man kann in anderen Formaten und auch in aller Kürze glaubwürdig und gut berichten. Die Leute glauben immer, dass ein 90 Sekunden Gespräch auf dem Sender sinnlos sei, aber das stimmt so nicht. Die große Kunst ist, in dieser Zeit die wichtigen Dinge unterzubringen. Und diese 90 Sekunden zu machen, dauert oft genauso lang wie ein langer Beitrag.

Aber Sie müssten doch eigentlich weinen, wenn Sie sehen, dass das Internet das Radio schon lange als schnelle Informationsquelle überholt hat und gleichzeitig das Radio dennoch oft nur Häppchenjournalismus anbietet. Welche Rolle hat das Radio denn noch?
Wir befinden uns in einem Umbruch, den wir alle auch erst einmal mitgehen müssen: Wir sind nicht mehr das schnellste Medium. Was machen wir jetzt? Ich glaube, es gibt nichts Persönlicheres als die menschliche Stimme und das menschliche Erzählen. Kein Medium ist so nahe an den Menschen wie das Radio. In der Wortwahl und der Tonalität, die nur das Radio rüberbringen kann, steckt einfach Authentizität drin. Die Erfahrung zeigt: Wenn man mit einer Kamera kommt, verhalten sich Menschen ganz anders. Ein guter Radioreporter kann dagegen die Situation begleiten mit seinen kleinen, unscheinbaren Geräten und nicht an einem Ort verharren, um sich Statements abzuholen.

Die große Kunst ist, in 90 Sekunden alles Wichtige unterzubringen.
Sandra Müller
In sprachlicher Hinsicht ist das Radio vielleicht persönlicher, in musikalischer Hinsicht ist aber Spotify viel persönlicher. Wie viel Angst haben Sie vor Spotify?
Ich habe gar keine Angst vor Spotify. Radiomacher sollten erkennen, dass sie nicht mehr alleine die größten Hits spielen können, sondern dass das jetzt jeder machen kann. Deswegen braucht es auch gute Moderatoren: Sympathische Stimmen, ein Freund, mit Raum zu Persönlichkeit, ohne vorgestanzte Sätze und Claims. Radio muss wieder etwas erzählen und wenn ich jemanden zuhören soll, möchte ich, dass derjenige auch eine Persönlichkeit hat.

Aber Sie haben eben in mein Mikrofon gesagt, dass Wort ein Abschaltfaktor ist und ein Musikbett braucht.
Das glauben einfach viele Radiomacher und das ist traurig. Die Kunst der Stunde ist, gutes Wort zu machen. Warum werden Podcasts in den USA millionenfach heruntergeladen? Da wird mit Geschichten, starken O-Tönen und Stimmen Begeisterung entfacht.

Dann sind Sie bei SWR4 aber beim falschen Sender. Wann wechseln Sie zum Deutschlandfunk?
Das finde ich gar nicht. Ich finde es im Gegenteil unglaublich erfüllend hier.

Am Montag ist Weltradiotag. Feiern Sie nachher noch mit den Kollegen?
Wann wurde das Gespräch nochmal aufgezeichnet? Im Ernst: Ich feiere das Medium Radio dann, wenn ich ein spannendes Stück für das Radio machen kann.

Vielen Dank für das Gespräch. Und jetzt Musik?!

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