Die Kino-Kritiker

«The Neon Demon»

von

Blut und Speichel, Glitzer und Schminke: «Drive»-Regisseur Nicolas Winding Refn taucht mit «The Neon Demon» in die stylische, oberflächliche, unbarmherzige Welt der Mode ab.

Filmfacts «The Neon Demon»

  • Regie: Nicolas Winding Refn
  • Produktion: Lene Børglum, Nicolas Winding Refn
  • Drehbuch: Mary Laws, Nicolas Winding Refn, Polly Stenham
  • Darsteller: Elle Fanning, Karl Glusman, Jena Malone, Bella Heathcote
  • Abbey Lee, Christina Hendricks, Keanu Reeves
  • Musik: Cliff Martinez
  • Kamera: Natasha Braier
  • Schnitt: Matthew Newman
  • Kostüme: Erin Benach
  • Laufzeit: 117 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Derart elegant, dass es unnatürlich ist. So schön, dass es weh tut. Dermaßen beeindruckend an der Oberfläche, dass das hinter der Fassade einfach nicht mithalten kann. Das ist «The Neon Demon». Doch das neue Filmerlebnis des «Drive»-Regisseurs Nicolas Winding Refn hat die ideale Ausrede, weshalb es so ist, wie es nun einmal ist. Denn die Viel-Style-/Verdorbene-Auswüchse-/Kaum-Substanz-Neonfarborgie ist, was sie mit campigen Vergnügen zerfleischt: Der dänische Leinwandprovokateur nimmt in diesem Rausch aus stylischen Bildern und elektrisierender Musik das Wesen auf, das gemeinhin dem Modelgeschäft zugeschrieben wird. Er kocht es hoch. Versetzt es mit dubiosen synthetischen Stoffen und verabreicht es seinem Publikum mit der Nadel direkt in den Blutkreislauf. «The Neon Demon» ist der groteske Zerrspiegel der Welt der Schönen und Arroganten – und daher ist es absurderweise ein Geniestreich, dass hinter diesem atemberaubenden Anblick wenig Köpfchen, wohl aber niederschmetternd-garstige Entwicklungen warten.

Eine nennenswerte Handlung haben sich das Enfant terrible Refn und seine Ko-Autorinnen Mary Laws & Polly Stenham konsequenter gleich gespart. Stattdessen ergibt ihre wahnhafte Verschmelzung aus Thriller, Drama und bulimischer Satire (sehr bissig, jedoch bleiben nach der Sichtung kaum Nährstoffe über) ein episodenhaftes Branchenpsychogramm. Bloß, dass sich Refn herzlich wenig für eine realistische Betrachtung mit Bodenhaftung interessiert. In zielstrebig-stereotypisierter Modelmanier ist die in «The Neon Demon» gelieferte Skizze dessen, wie die Modelszene tickt, überzogen, hysterisch, divenhaft-überdramatisierend und mitunter schlecht informiert. Ein Mimosen-Soziopathogramm, sozusagen. Nur, dass es wahrhaftig nicht für Mimosen gemacht ist.

Denn schon im Vorspann gleicht die Instrumentalmusik des Refn-Dauerkollaborateurs Cliff Martinez einem akustischen Damoklesschwert: Den eiskalt pulsierenden Beats haftet in ihrem perfektionistischen Vorwärtsdrang etwas Bedrohliches an. Wenn Protagonistin Jesse («Super 8»-Entdeckung Elle Fanning) daraufhin regungslos wie der feuchte Lolita-Traum eines makabren Fashionista daliegt, setzt Refn auch visuell ein prophetisches Statement: Gut können die nachfolgenden Filmminuten nicht ausgehen. Blut dürfte fließen, sei es Jesses, oder sei es, dass sie im Blut anderer baden wird. Denn niemand kann ein menschgewordenes Reh-im-Scheinwerferlicht mit großen Modelambitionen nach Los Angeles entlassen und erwarten, dass sich nichts Boshaftes tut.

So theatralisch die Dialoge sein mögen und so sprunghaft die charakterliche Entwicklung, die Jesse vollzieht: Refn muss angerechnet werden, dass er es lange offen lässt, wohin es ihn und seine Figuren letztlich treibt. Dies ist auch zu großen Teilen Elle Fanning zu verdanken, die vor allem in den zahlreichen wortlosen Dialogen eine zwiespältige Lesart ihrer Modelnewcomerin gestattet. Zart genug, mit solch träumerisch-unschuldigen Augen, dass dies eine „Die Schattenwelt des Modebusiness wird sie ohne Gegenwehr zerstören“-Parabel werden könnte. Oder doch verschlagen genug und über-ihr-Alter-hinaus-verführerisch, um anzudeuten, dass innere Dämonen in ihr schlummern, die ihr schales, borniertes Umfeld das Fürchten lehren werden?

Während Fanning dieser Dualität zum Trotz durchweg wahrhaftig und gerade heraus spielt, verstärkt «Die Tribute von Panem: Catching Fire»-Kämpferin Jena Malone den skurril-neckischen Unterton in Refns Klischees genüsslich verschlingender Regiearbeit. Mit kess-verschmitztem Grinsen gibt sie die erfahrene und etwas selbstgefällige Make-up-Künstlerin Ruby, die immer wieder in platonischen Worten betont, Jesse halt sympathisch zu finden und sie daher zu unterstützen. Dabei trägt Malone gestisch in ihrer Performance unverhohlen-versiert dick auf, dass nur noch ein Augenzwinkern gen Kamera fehlen würde – Ruby ist heiß auf Jesse, und sie gefällt sich darin, das Rehkitz anzugeifern. Die weiteren Nebendarsteller drapiert Refn irgendwo auf einer Skala von Fanning bis Malone: Christina Hendricks mimt würdevoll-stringent die Karikatur einer Modeagentin, «Love»-Macho Karl Glusman macht recht strikt einen auf blauäugigen Möchtegernlover, Keanu Reeves spielt auf verlorene Weise ein schmieriges Arschloch, Bella Heathcote und Abbey Lee bestechen als pathetische Ultrazicken, die zu gleichen Teilen einer «Switch reloaded»-Parodie von «GNTM» und einem «Black Swan»-artigen Psychothriller entflohen sein könnten.

Refn lässt diese Figuren aneinander rasseln, hinterfotzig-freundschaftlich interagieren und zuweilen auch modisch-hochnäsig nebeneinander vorbeilaufen, wodurch sich galleartig-gemeine (und erkenntnislose) Seitenhiebe sowie aufreibende Suspensesequenzen entwickeln. Teils bauen diese Momente aufeinander auf, etwa wenn sich Rubys und Jesses Beziehung verkompliziert, teils stehen sie auch völlig für sich – wie eine narrativ ins Leere führende Passage über einen Eindringling in Jesses Unterkunft. Atmosphärisch schreitet diese von Kamerafrau Natasha Braier meisterlich in sadistisch phosphoreszierende Farben gehüllte Exploitation-Farce jedoch konsequent ins Extreme: Erin Benachs schmucke Kostümarbeit wird exzentrischer und exzentrischer (sofern die Figuren überhaupt noch Kleidung tragen). Die Monologe werden bedeutungsschwanger (ohne zwangsweise an Aussagekraft zuzulegen – nennt man das dann bedeutungstodgeburtsartig?). Aus ästhetisch-geschmackvollen Abweichungen von der sexuellen Norm (noch im ersten Akt bestaunt Jesse einen im Stroboskoplicht ertrinkenden Bondageakt) werden entfesselte Perversionen. Und ja, Blut wird fließen, als wäre Flut im Roten Meer.

Begleitet durch einen der besten Soundtracks der Dekade orchestriert Refn «The Neon Demon» gewissermaßen als wenig zärtliche, humorvollere Ecstasy-Junkie-Cousine von Jonathan Glazers «Under the Skin»: Ein paar Gehirnzellen sind bei Refns Werk schon weggeätzt, aber es teilt sich mit «Under the Skin» den Sinn für einfallsreiche Bilder und den originellen Blick auf die Waffen der Frau.

Fazit: Kunterbunt, superstylisch und bitter-abgeschmackt: «The Neon Demon» ist ein geil klingender, fieser Trip ins Es der Modelwelt.

«The Neon Demon» ist ab dem 23. Juni 2016 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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