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Von Sonnenaufgängen und Experimenten, die eigentlich viel mehr sind

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Dirc Seemann, Chefredakteur von Sport1, begibt sich gerne auf neues Terrain. Nicht nur, dass sein Sender in der Europa League am Donnerstag lieber Augsburg statt Schalke zeigt: Im Vorfeld darf die Redaktion sich live bei Facebook austoben. Warum das Zukunft haben könnte.

In Ismaning werden schon die Stunden gezählt, bis endlich wieder großer europäischer Fußball auf großer Bühne stattfindet. Die Rede ist diesmal nicht von der Champions League, die in dieser Woche in der medialen Betrachtung ungewöhnlich kurz kam. Weder das Highlight-Spiel am Dienstag zwischen Paris und Chelsea noch die vom Namen her eher uninteressantere Partie der Wolfsburger im belgischen Gent wollte im Vorfeld allzu viel Nervenkitzel auslösen. Stattdessen konzentrierten sich die Medien vermehrt auf das Geschehen zum Start der K.o.-Phase der Europa League. Anders als in der Champions League, in der sich das Achtelfinale über fünf Wochen zieht, finden in der Europa League bis Ende März vier Spieltage statt. Und Deutschland ist „in der kleinen Champions League“, wie Dirc Seemann sie nennt, derzeit mit gleich vier Klubs (Dortmund, Schalke, Leverkusen, Augsburg) vertreten.

Seemann, ehemals Fußball-Kommentator für Sport1, kabel eins und Premiere, ist seit August Chefredakteur von Sport1. „Wir erleben in diesen Wochen und Monaten die wohl beste Europa League aller Zeiten“, freut er sich in Anlehnung auf den auf dem Sender verwendeten Claim. „Für uns sind die Übertragungen eine echte Freude. Die Aufwertung der Europa League seitens der UEFA hat gut getan“, erklärt er. Dafür sorgen übrigens nicht nur die deutschen Clubs, sondern auch Mannschaften im Ausland. Lukas Podolski spielt mit Istanbul genauso in der Europa League wie Bastian Schweinsteiner mit Manchester United – und natürlich Jürgen Kloop mit seinen Jungs (darunter Emre Can) aus Liverpool. Dass sich Sport1 bei der Wahl des dieswöchigen Livespiels gegen Schalke, gegen Dortmund und für die „kleinen“ Augsburger entschieden hat, mag manche überrascht haben.

Augsburg („Keine Sau“) gegen BVB („Jede Sau“)?
„Aber auch in der Vorrunde haben wir schon ein Spiel des FCA gezeigt, weil wir alle deutschen Klubs abbilden wollen“, meint Seemann. In dieser Woche biete sich das Spiel der Fuggerstädter natürlich besonders an, kehrt Jürgen Klopp als Trainer eines Premier League Vereins doch nun auf deutschen Boden zurück. „Auch das rechtfertigt den bundesweiten Fokus auf das Spiel der Augsburger“, sagt Seemann. Sport1 richte sich – obwohl man das meinen könnte – nicht hauptsächlich auf Fangrößen und Popularität im Bundesgebiet aus. „Zumal die Quoten des Augsburg-Spiels in der Gruppenphase kaum schwächer waren als die des anderen 19-Uhr-Spiels, das wir zeigten“, erinnert sich Seemann.

Mit dem Zuschauerzuspruch kann der Spartensender ohnehin extrem zufrieden sein. Übrigens nicht nur während der 90 Minuten, in denen der Ball rollt. Seemanns Sender setzt auf XXL-Rahmenberichte, steigt schon zwei Stunden vor Anpfiff in die Vorberichte ein und sendet auch hinten raus noch weitere rund zwei Stunden. Die Nachberichte, die teils fast einstündige Spielzusammenfassungen beinhalteten, holten dabei wegen der späten Sendezeit fast bessere Marktanteile als das eigentliche Livespiel. Und die Vorberichte, die Seemann als eine Mischung aus «Bitburger Fantalk»-Elementen, Radioreportagen von gerade laufenden Spielen und Einstimmung auf das Live-Spiel beschreibt, holen ebenfalls starke Quoten. „Anders als andere Sender können wir diese langen Sendeflächen zur Verfügung stellen, ohne dass die in Wettbewerb mit anderen Unterhaltungsformaten stehen“, meint Seemann. Für die Zwischenrunde verspricht er, alle Spiele der Europa League ausführlich nachzuverwerten und hier auch die Auftritte von Poldi, Schweini und Co. in schon von «Hattrick» am Sonntag bekanntem Umfang zu zeigen.

Man muss natürlich immer abwägen, ob man aus dem Stadion oder dem Studio sendet. Besonders bei langen Nachberichten bevorzuge ich aber ein Studio. Das ist besser als ein leeres Stadion im Hintergrund, bei dem man fast schon schauen muss, dass später das Licht nicht ausgeht.
Dirc Seemann, Chefredakteur von Sport1
Passieren wird dies mit dem gewohnten Personal – Oliver Schwesinger moderiert gemeinsam mit Giovanni Zarrella im Studio, Laura Wontorra meldet sich direkt aus dem Stadion. Andreas Möller, dessen Aussagen laut Seemann nun noch mehr Gewicht haben, weil Möller zum Trainerstab der ungarischen Nationalmannschaft gestoßen ist, ist ebenso wie Olaf Thon als Experte im Einsatz. Experten, die sowohl kompetent, als auch wortgewandt und unterhaltend sind, seien nicht unbedingt einfach zu finden, bestätigt Seemann. Er stellt aber infrage, wie wichtig den Fußballfans wirklich der Punkt „unterhaltend“ ist. „Vielen geht es hauptsächlich um eine präzise, fachliche Einschätzung und gar nicht so sehr um einen Gag, der vielleicht noch hinterherkommt.“ Sport1 habe aus Sicht Seemanns eine prima Mischung gefunden, unter anderem auch mit dem nicht aus dem Sportjournalismus kommenden Giovanni Zarella und auch der Mix aus Studio-Elementen und Stadion-Schalten würde passen. „Man muss natürlich immer abwägen, ob man aus dem Stadion oder dem Studio sendet. Besonders bei langen Nachberichten bevorzuge ich aber ein Studio. Das ist besser als ein leeres Stadion im Hintergrund, bei dem man fast schon schauen muss, dass später das Licht nicht ausgeht.“

Vom Sonnenuntergang zum Live-Feed


Aber auch Neues hat sich die Sport1-Redaktion einfallen lassen. Facebook-Freunde des Senders sollen schon den ganzen Tag über exklusive „Behind the Scenes“-Eindrücke erhalten. Mehrmals täglich will Sport1 das neue Angebot Facebook Live nutzen, um Vorbereitungen in Redaktion, Studio und Vor Ort zu dokumentieren. „Wir glauben, dass das viele unserer Zuschauer und User interessiert“, sagt Seemann, betont zugleich aber den experimentellen Charakter – und dass es da durchaus passe, dass die Videos mit dem Smartphone aufgenommen werden. „Die UEFA unterstützt dieses Projekt, das viel mehr ist als ein bloßes Experiment. Das ist die Zukunft“, meint der Chefredakteur des Senders auch in Hinblick auf die Entwicklung der sozialen Medien generell. Als Seemann sich – fünf Jahre ist es her – bei Facebook angemeldet hatte, bestimmten noch Sonnenaufgänge, Abendessen und alte Schulfreunde die Timeline seiner Kontakte.

Bis zur vergangenen Saison war Seemann noch aktiv Kommentator – unterwegs in den Stadien des Landes. Dass vermisse er manchmal schon. „Aber unsere zahlreichen Projekte – wie eben das auf Facebook – sind so spannend, dass ich leicht darüber hinweg schauen kann“, lacht er. „Und: Der ein oder andere unserer Kommentatoren, nimmt Tipps von mir leichter an, weil ich ja eigentlich auch einer von ihnen bin.“

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