Interview

Barbara Oberli über ihre Serie «naked»: ‚Sexsucht ist ein Thema voller Verletzlichkeit‘

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Mit «naked» wagt sich die Regisseurin Barbara Oberli an ein gesellschaftlich heikles Thema: Sexsucht und Co-Abhängigkeit. Die ARD/WDR-Serie erzählt von einer Beziehung zwischen Leidenschaft und Zerstörung, getragen von Svenja Jung und Noah Saavedra. Im Gespräch erklärt Oberli, warum sie den Stoff nicht reißerisch, sondern psychologisch wahrhaftig erzählen wollte, wie die Zusammenarbeit mit Intimacy-Koordination verlief und weshalb sie das Genre „Love Noir“ für passend hält.

«naked» (ARD/WDR) ist die erste deutsche Serie, die sich explizit mit Sexsucht und Co-Abhängigkeit auseinandersetzt. Was hat Sie an diesem Thema gereizt, es filmisch umzusetzen?
Sexsucht klingt erst einmal reißerisch, ist aber ein Thema voller Verletzlichkeit, voller Fragen nach Nähe, Begehren und Selbstbestimmung. Mich hat fasziniert, dass es um Sehnsucht und Schmerz zugleich geht – und um Muster, die wir oft nicht bewusst durchschauen. Ich wollte das nicht moralisch erzählen, sondern psychologisch wahrhaftig: Was treibt Menschen in diese Dynamiken, und warum bleiben sie darin gefangen? Wo hört Leidenschaft auf, wo beginnt Zerstörung? Die Serie ermöglicht es uns, über Abhängigkeit in Beziehungen nachzudenken, über die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor dem Alleinsein.

Die Drehbuchautorin Silke Eggert hat ihre eigenen Erfahrungen in die Geschichte einfließen lassen. Wie sind Sie mit dieser persönlichen Vorlage als Regisseurin umgegangen?
Silkes Offenheit war ein Geschenk. Ihre eigene Erfahrung brachte eine Tiefe und Ehrlichkeit in das Drehbuch, die ich unbedingt bewahren wollte. Gleichzeitig ging es darum, den Stoff zu fiktionalisieren, ihn in eine universelle Geschichte zu übersetzen und nicht eine reißerische private Geschichte zu verfilmen. Das war ein Balanceakt zwischen Respekt und künstlerischer Freiheit. Silkes Co-Autor Sebastian Ladwig konnte mit seinem Blick von außen den Stoff auch immer wieder auf seine universelle Ebene hin überprüfen.

Eine toxische Liebesbeziehung auf der Leinwand glaubwürdig und gleichzeitig differenziert darzustellen, ist eine Gratwanderung. Welche künstlerischen Entscheidungen haben Sie getroffen, um das Spannungsfeld zwischen Liebe, Abhängigkeit und Zerstörung einzufangen?
Es war eine intensive Arbeit, in der Vorbereitung den emotional starken Kern jeder Szene zu definieren: Geht es um Macht, Verlustangst, Sehnsucht, Vertrauen? Mit meinem Kameramann Julian Krubasik haben wir aus diesen Begriffen Bilder entwickelt: eine weite Einstellung kann Verlorenheit zeigen, eine extreme Nahe Zärtlichkeit. Wir haben bewusst mit Brüchen gearbeitet – Momente voller Rausch, gefolgt von Kälte oder Distanz. Kleine Gesten, in denen die Gewalt und die Abhängigkeit sichtbar werden, auch wenn an der Oberfläche die innige Liebe erzählt wird.

Svenja Jung und Noah Saavedra verkörpern Marie und Luis, deren Beziehung zwischen Leidenschaft und Abgrund schwankt. Wie haben Sie mit den beiden gearbeitet, um diese emotionale Intensität herzustellen?
Svenja und Noah sind sehr mutige Schauspieler:innen. Beide haben viel Vertrauen mitgebracht Wir haben intensiv geprobt, aber nicht klassisch, sondern eher über Gespräche, Improvisationen und Körperarbeit. Wir haben über eigene Erfahrungen mit Nähe, Sehnsucht und Grenzen gesprochen. So entstand ein schützender Rahmen, damit sie sich fallen lassen konnten – diese emotionale Nähe kam nicht von Druck, sondern von Vertrauen. Auch gab es beim Dreh-Unterstützung durch unsere Intimacy-Koordinatorin.

Die Serie wagt sich an ein gesellschaftlich noch immer tabuisiertes Thema. War es Ihnen wichtig, Tabus zu brechen, oder stand für Sie stärker der psychologische Aspekt im Vordergrund?
Mich interessiert, warum Menschen in destruktive Dynamiken geraten. Wenn man das ehrlich erzählt, bricht man automatisch Tabus. Ich wollte, dass die Figuren in all ihrer Widersprüchlichkeit ernst genommen werden – nicht, dass sie „schockieren“.

«naked» hat eine sehr eigene Bildsprache – dunkel, intensiv, atmosphärisch. Welche Rolle spielte die visuelle Gestaltung für Ihre Erzählung?
Eine große. Julian Krubasik und ich haben eine gemeinsame Vision entwickelt. Wir wollten keine illustrative Optik, sondern Bilder, die -emotional wirken: Schatten, klaustrophobische Räume, aber auch Momente von Schönheit und Sinnlichkeit. Jede Szene hatte eine klare visuelle Idee – ob extreme Nähe, Zeitlupe oder der Einsatz ungewöhnlicher Kameras wie einer Endoskop-Kamera. Das Ziel war immer, das Innenleben der Figuren spür- und sichtbar zu machen.

Der WDR hat die Serie als „Love Noir“-Psychodrama angekündigt. Wie würden Sie selbst dieses Genre-Label beschreiben, und wie spiegelt es sich in «naked» wider?
„Love Noir“ ist für mich eine Liebesgeschichte, die ins Dunkle blickt. Eine Geschichte, die Leidenschaft ernst nimmt, und ebenso ihre zerstörerische Kraft. In «naked» ist Liebe kein Heilsversprechen, sondern eine Reise an Abgründe – aber auch zu sich selbst.

Viele Szenen sind sehr intim und emotional aufgeladen. Wie haben Sie als Regisseurin für eine sichere Arbeitsatmosphäre am Set gesorgt?
Ich habe sehr eng mit der belgischen Intimacy-Koordinatorin Philine Jansen gearbeitet, die jede Szene begleitet hat. Jede Einstellung war genau vorbesprochen oder choreografiert, damit die Schauspieler:innen sich sicher fühlen konnten. So entstand Raum für echte Nähe. Auch für mich war der Austausch mit Philine wichtig, um in diesen Szenen immer klar vor Augen zu haben, was erzählt werden soll – damit sie nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern ein zwingender Teil der Dramaturgie und der Erzählung sind.

Sie haben bereits eine große Bandbreite an Projekten inszeniert – von «Tannöd» bis «Nachts im Paradies». Was unterscheidet die Arbeit an einer Serie wie «naked» für Sie von Ihren bisherigen Filmarbeiten?
Eine Serie bedeutet mehr Erzählzeit als ein Kinofilm. Figuren und Spannungsbögen entwickeln sich über längere Zeit. Das eröffnet die Möglichkeit für Vielschichtigkeit und Tiefe, aber man muss gleichzeitig eine klare visuelle und emotionale Linie länger halten können. Für mich war es eine spannende Herausforderung, filmische Verdichtung mit serieller Offenheit zu verbinden – und so eine Geschichte zu erzählen, die sich Schicht für Schicht entfaltet. Ich habe schon mit «37 Sekunden» eine Mini-Serie inszeniert und schätze dieses Format sehr. Eine gute Mini-Serie behandelt in meinen Augen einen Stoff so, dass er nach der finalen Folge auserzählt ist. Und gestaltet das Ende so, wie es für die Geschichte richtig ist und nicht für allfällige weitere Staffeln.

Danke für Ihre Zeit!

«naked» ist ab 1. Oktober 2025 in der ARD Mediathek abrufbar. Die lineare Ausstrahlung erfolgt am 3. Oktober 2025 ab 23.45 Uhr und am 4. Oktober ab 00.55 Uhr.

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