Interview

‚Sucht ist kein individuelles Versagen‘ – Frederike Becht über ihre Rolle in «Im Rausch»

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In «Im Rausch» verkörpert Frederike Becht die Journalistin Katja, die zwischen beruflichem Druck, Liebeschaos und ihrer Alkoholsucht zerrieben wird. Im Gespräch erklärt die Schauspielerin über die schonungslose Nähe des Films, ihre intensive Vorbereitung und warum sie hofft, dass Zuschauer nachdenklicher auf den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol blicken.

«Im Rausch» erzählt von einer selbstzerstörerischen Frau zwischen Sucht, Liebeschaos und beruflicher Krise. Was hat Sie an der Figur Katja besonders gereizt?
Besonders gereizt hat mich die Frage, ob es mir gelingt, Katjas inneren Tumult spürbar zu machen- ihre Sehnsucht, endlich klarzukommen, die Sucht hinter sich zu lassen, und die Trigger zu zeigen, die sie immer wieder zurückwerfen. Mich hat interessiert, ob ich vermitteln kann, wie viel Mut es braucht sich der von Scham behafteten Sucht wirklich zu stellen- ich hoffe, das aufzuzeigen ist mir gelungen.

Alkoholismus als Thema im Fernsehen ist nicht neu – dennoch wirkt dieser Film durch seine schonungslose Nähe sehr intensiv. Wie haben Sie sich auf die Rolle einer Alkoholikerin vorbereitet?
Ich habe intensiv mit Menschen gesprochen, die alkoholsüchtig waren und heute ein suchtfreies und erfülltes Leben führen. Diese Begegnungen gaben mir tiefe Einblicke in Themen wie Selbstbetrug, Scham und den Versuch Schmerz oder innere Leere mit Alkohol zu betäuben. Auch das Buch „drinking: a love story“, das beschreibt, wie sich der Alkohol, wie eine große Liebe ins Leben schleicht- tröstend, verführerisch, scheinbar befreiend -und wie schwer es ist, sich von ihm zu lösen, selbst wenn er einen zerstört. Diese Dualität des Alkohols habe ich ergründet, und all das hat mir geholfen, Katja mit echter Tiefe und Glaubwürdigkeit zu füllen.

Katja ist eine leidenschaftliche Journalistin. Wie haben Sie das Spannungsfeld zwischen beruflichem Idealismus und privatem Kontrollverlust gespielt?
Ich habe Katja als jemanden gespielt, der unter enormem Leistungsdruck steht- etwas, das ich auch aus dem eigenen Leben kenne. Wenn man immer nur funktionieren will und sich selbst pusht, übersieht man schnell seine eigenen Bedürfnisse und seine natürlichen Grenzen- Dann wirken Süchte wie eine schnelle Lösung, heben kurz die Energie, nehmen einen Moment die Anspannung. Für mich ist das nicht nur ein Thema der Figur, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Dynamik, in der Leistungsdenken und Selbstoptimierung oft wichtiger erscheinen als Selbstfürsorge.

Der Film basiert auf sehr persönlichen Erfahrungen des Regisseurs Mark Schlichter. Spürt man am Set, wenn eine Geschichte auch eine autobiografische Ebene hat?
Ja, das spürt man sofort. Mark war sehr eng mit dem Stoff verbunden und hat viel Kraft und Liebe einfließen lassen- das hat die Arbeit natürlich besonders gemacht.

Wie war die Zusammenarbeit mit Mark Schlichter, der hier nicht nur Regie führte, sondern auch seine eigene Alkoholvergangenheit aufarbeitet?
Mark hat mir schon nach dem Casting großes Vertrauen entgegengebracht und das er so offen mit seiner Erfahrung der Alkoholsucht umgegangen ist, hat mir wichtige Impulse für die Figur gegeben. Es hat sich zwischen ihm, mir, meinem Kollegen Hans und dem Kameramann Charlie Koschnick eine sehr zugewandte Arbeitsweise entwickelt. Ich hatte das Gefühl als kreative Partnerin wahrgenommen zu werden- auch wenn am Ende natürlich er die Fäden in der Hand hielt.

Die Beziehung zwischen Katja und Eddi eskaliert zunehmend. Wie schwierig war es für Sie, die Dynamik zwischen Abhängigkeit, Gewalt und Intimität glaubhaft darzustellen?
Gespielt habe ich das, indem ich nach dieser inneren Instabilität gesucht habe- dem Gefühl, mir ständig Halt im Außen suchen zu müssen, weil ich mir selbst den Halt nicht zu geben vermag. Daraus entsteht eine Mischung aus Ohnmacht, Abhängigkeit und Aggression. Wenn zwei Figuren wie Katja und Eddie beide so wenig Stabilität in sich selbst tragen, stürzen sie zwangsläufig aufeinander zu und krallen sich aneinander fest, in der Hoffnung der eine könne den anderen stützen- und genau darin liegt die Eskalation.

Katja will eine Reportage über Alkoholsucht schreiben – gerät aber selbst immer tiefer in die Abwärtsspirale. Wie sehen Sie diesen inneren Widerspruch Ihrer Figur?
Ich finde es stark, dass sie überhaupt darüber schreibt- das ist ja ein Versuch, ihrer Sucht zu begegnen. Aber gleichzeitig entwischt sie sich selbst, weil sie das Thema oft nur auf einer intellektuellen Ebene betrachtet, so als stünde sie außerhalb. Wir erwischen sie sie dabei, wie sie bei andere interviewt und befragt, aber nicht in sich selbst sucht.

Der Film ist visuell wie emotional sehr dicht – wie sehr haben Sie die Dreharbeiten auch körperlich gefordert?
Wir hatten ja keine halsbrecherischen Stunts oder dergleichen zu drehen- Allerdings ist mein Körper immer gefordert. Er führt mich ja durch all die Emotionen durch und trägt diese mit. Auch die Anforderungen eines Drehtages ohne Actionszenen kosten Kraft. Ich beginne und beende den Drehtag darum sehr bewusst mit einer Atemübung um mich auf den Tag einzulassen und um danach wieder loszulassen. Eigentlich wie ein Warm-up und Cool-down beim Sport oder eine Meditation um in den Tag zu gehen und am Abend loszulassen.

Was hoffen Sie, dass Zuschauer nach dem Film über den Umgang mit Sucht und gesellschaftlichen Erwartungen mitnehmen?
Ich würde mir wünschen, dass der Film dazu anregt, über die Rolle von Alkohol in unserer Gesellschaft nachzudenken. Oft wird er als verführerisch dargestellt- als Mittel, um dazuzugehören, locker zu werden oder dergleichen. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich oft etwas anderes: Der Versuch Schmerz, Einsamkeit oder innere Konflikte zu betäuben.

Wenn nach dem Film ein Bewusstsein dafür bleibt, dass Sucht kein individuelles Versagen ist, sondern eng mit gesellschaftlichen Erwartungen und Druck zusammenhängt, dann wäre schon viel gewonnen. Vielleicht entsteht so auch mehr Empathie für Betroffene -und ein ehrlicherer Blick darauf, wie wir alle mit ungeliebten Emotionen, Verführung und Konsum umgehen.

Sie haben schon viele starke, oft gebrochene Frauenfiguren gespielt – wie ordnen Sie Katja in Ihre bisherige Karriere ein? Ist sie für Sie eine besondere Rolle?
Ich ordne die Rolle gar nicht ein - denn jede die ich spiele ist für mich besonders. Da gibt es keine Rangliste.

Danke für Ihre Zeit!

Das ZDF strahlt «Im Rausch» am Montag, den 29. September 2025, um 20.15 Uhr aus. Der Spielfilm ist seit 20. September in der ZDFmediathek abrufbar.

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