First Look

«El Presidente»: Spannender als jedes Lionel-Messi-Biopic

von

Kaum ein Business ist so verbrecherisch strukturiert wie der internationale Fußball – und die neue Serie von Amazon Prime rechnet beeindruckend schonungslos mit der Korruption um das runde Leder ab.

Cast & Crew

Produktion: Fábula, Gaumont und Kapow
Schöpfer: Pablo Larraín
Regie: Armando Bó, Natalia Beristain, Gabriel Díaz und Javier Juliá
Darsteller: Andrés Parra, Karla Souza, Paulina Gaitán, Anita Reeves, Luis Margani, Alberto Ajaka, Luis Gnecco u.v.m.
Executive Producer: Pablo und Juan de Dios Larraín
Wenn sich Fiction mit Fußball beschäftigt, dann meistens in Form von rührseligen semi-biographischen Filmen über vernachlässigte Jungs, die sich trotz aller Widerstände und Zumutungen aus irgendwelchen Favelas zum Weltmeistertitel gespielt haben, damit in ihren jeweiligen Heimatländern zu Volkshelden geworden sind und so einmal aufs Neue dem abgestandenen, bejahenden Leidenschaft-führt-aus-den-Slums-Topos zum 1:0 zu verhelfen. Die Fans jubeln, der Held zementiert seinen Status als Fußballgott und einträchtiges Idol für Millionen junger Kreisligaspieler – und die FIFA macht Kasse.

Wer dagegen statt dem Sportteil der Zeitung das Wirtschafts- und Kriminalressort verfolgt und bei Fußball eher an Sepp Blatter als an Lionel Messi denkt, der kommt in dieser neuen Amazon-Serie auf seine Kosten: Vorausgesetzt, man will sich der bitteren Realität stellen, in der der Weltfußball nicht so geführt wird, wie Jürgen Klinsmann in Sönke Wortmanns «Sommermärchen» sein verschwitztes Team in der Halbzeitpause motiviert, sondern eher wie Tony Soprano und seine Crew nach getaner Arbeit in schummerigen Räumen die Geldscheine zählen. Denn kaum eine internationale Organisation (vielleicht mit Ausnahme des Olympischen Komitees) tritt seit Jahrzehnten so auffällig und beständig korrupt auf wie die FIFA und ihre sechs Kontinentalverbände, insbesondere jener aus Südamerika: CONMEBOL.

«El Presidente» widmet sich nun einer besonders seltsamen Figur aus diesem Kosmos: Sergio Jadue (hier gespielt von Andrés Parra) war fast fünf Jahre Präsident des chilenischen Fußballverbands, bis er 2015 im Rahmen einer FBI-Operation wegen umfangreicher internationaler Korruptionsverbrechen in der Schweiz festgesetzt wurde. Mit bewundernswerter Ironie und forscher Fundamentalkritik an den handelnden Institutionen erzählt das vorliegende Format nun die bekannten dramaturgischen Wegmarken: Wie Jadue als Vorsitzender eines kleinen Dödelvereins unverhofft und mehr oder weniger als Strohmann zum Verbandschef gewählt wurde, wie er seinen Mäzen beseitigt und seine Macht konsolidiert hat, wie die in seinem Hotelzimmer deponierten Geldbündel im CONMEBOL-Hauptsitz in Paraguay bald zu verführerisch aussahen – und wie die als CONMEBOL-Kellnerin getarnte, fiktive Undercover-FBI-Agentin Lisa Harris (wunderbar auf den Punkt gespielt: Karla Souza) ihn bald für ihre Ermittlungszwecke entdeckte.

Damit bleibt Korruption das zentrale Thema der lateinamerikanischen Streaming-Fiction: Schon vor Jahren erhielt Netflix mit seiner Nacherzählung der brasilianischen Waschstraßen-Affäre in Form von «O Mecanismo» internationalen Beifall (und war Gegenstand zahlreicher Kontroversen zwischen den rivalisierenden politischen Lagern des Landes), während «3 %» als schonungslose Allegorie auf die immense soziale Ungleichheit in den südamerikanischen Gesellschaften globale Aufmerksamkeit auf sich zog. Was in dieser inhaltlichen Beschreibung monothematisch klingt, offenbart jedoch eine erstaunliche stilistische und künstlerische Vielfältigkeit, die «El Presidente» um eine leichte Ironie (und gleichzeitig harte Abrechnung) fortschreibt, samt dem lateinamerikanischen Stilmittel par excellence: der sanften Andeutung eines magischen Realismus‘, die allzu kühne Ausschmückungen prompt mit postmoderner Gelassenheit wieder zurücknimmt. Spannender als jedes Messi-Biopic.

«El Presidente» ist bei Amazon Prime abrufbar.

Kurz-URL: qmde.de/119148
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