Die Kino-Kritiker

«Le Mans 66 – Gegen jede Chance»: Als Ford ausgerechnet Ferrari den Rennsportkrieg erklärte

von

«Logan»-Regisseur James Mangold blickt in seinem Rennsportdrama auf Fords große Bemühungen, in den 1960er-Jahren den Rennzirkus zu erobern.

Filmfacts «Le Mans 66 – Gegen jede Chance»

  • Regie: James Mangold
  • Produktion: Peter Chernin, Jenno Topping, James Mangold
  • Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, Jason Keller
  • Cast: Matt Damon, Christian Bale, Caitriona Balfe, Jon Bernthal, Tracy Letts, Josh Lucas, Noah Jupe, Remo Girone, Ray McKinnon
  • Musik: Marco Beltrami
  • Kamera: Phedon Papamichael
  • Schnitt: Michael McCusker, Andrew Buckland
  • Laufzeit: 153 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Ohne Ford wären Autorennen womöglich niemals zu ihrer Größe und Popularität gelangt. Schließlich war es Henry Ford, der die Auto-Fließbandproduktion perfektionierte und somit Autos und die Faszination rund um sie herum näher an die Mitte der Gesellschaft rückte. Oder wäre eine Welt denkbar, in der Millionen von Menschen Motorrennen schauen, obwohl sie keine Berührungspunkte mit Autos haben? Und dennoch hatte Ford jahrzehntelang kaum etwas mit dem Rennzirkus zu tun: Als Henry Ford 1913 mit einem modifizierten Modell seiner legendären Tin Lizzy beim Indianapolis-500-Rennen antreten wollte, wurde ihm die Zulassung verweigert, weil sein Auto zu leicht sei. Bald darauf kehrten er und seine Firma dem Rennsport völlig den Rücken – es sei wichtiger, sich auf die Massenherstellung von Autos zu konzentrieren.

Wir schreiben die Mitte der 1960er-Jahre: Fords Nachfolger bekommen es mit den Folgewirkungen dieser Entscheidung zu tun. Denn der Rennsport hat eine massive Werbewirkung. Konkurrent Ferrari führt es formidabel vor: Die Flitzer aus der vergleichsweise kleinen Autowerkstatt in Italien dominieren den Rennsport, strahlen somit ein sportliches Gewinnerimage aus – und die Leute wollen sich mit ihrem eigenen Wagen einen Teil dieses Images kaufen. Die Wagen aus Fords Massenabfertigung dagegen verkaufen sich derzeit schlecht, der Firma drohen Massenentlassungen. Noch hat sie aber Geldreserven …

Ford-Manager Lee Iacocca (hier gespielt von Jon Bernthal) zählt daher 1 und 1 zusammen: Ford muss Rennen gewinnen, anders gesagt: Ferrari schlagen. 1966 kommt es beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu diesem von aller Welt für absurd gehaltenen Showdown. Ford tritt mit einem Wagen an, der von Ex-Rennfahrer Carroll Shelby (Matt Damon) in enger Zusammenarbeit mit dem streitbaren Ken Miles (Christian Bale) entworfen wurde, und den Miles fahren soll. Aber Unstimmigkeiten liegen in der Luft …

«Identität»- und «Logan – The Wolverine»-Regisseur James Mangold nimmt das spektakuläre und nicht auch unumstrittene Le-Mans-Rennen aus dem Jahr 1966 als Grundlage für ein spannendes und auch überraschend witziges Drama, nicht bloß über den Rennsport, sondern vor allem über die Charakterköpfe, Sturköpfe und Firmenspießer dahinter. Der Originaltitel von «Le Mans 66 – Gegen jede Chance» ist dabei irreführend: Im Original wird mit «Ford v Ferrari» ein ausgewogenes Duell zwischen der vom Traditionsunternehmen zum Massenfabrikanten gewordenen Ford und dem italienischen Rennsportexperten Ferrari verkauft – vergleichbar mit Ron Howards «Rush», in dem sich Niki Lauda und James Hunt als Rivalen auf Augenhöhe begegnen.

Tatsächlich spielt Ferrari in «Le Mans 66 – Gegen jede Chance» aber nur eine nebensächliche Rolle: Sie sind die versierten, erfahrenen Konkurrenten, denen Ford hinterherjagt. Den Schwerpunkt des Drehbuchs von Jez Butterworth, John-Henry Butterworth und Jason Keller stellen zwei andere Dynamiken dar. Einerseits ist da die ständige Kabbelei zwischen der Ford-Chefetage und dem passionierten Autobauer Shelby, da man ihn zwar als Hilfe will, aber trotzdem nicht auf Kompetenz- und Autoritätsspielchen verzichten kann. Und dann wäre da die Hassliebe zwischen dem aller Passion zur Automobilperfektion zum Trotz auch sehr versierten Geschäftsmann Shelby und seinem hitzköpfigen, doch brillanten, unanpassbaren Ex-Kollegen, Gelegenheitsfreund und Testfahrer Miles.

Diese ständige Anspannung und gegenseitige Bewunderung, die zwischen Shelby und Miles steht, gestattet es Matt Damon und Christian Bale, mimisch aufzutrumpfen. Man merkt den ungleichen Autoexperten Shelby und Miles unentwegt an, wie sehr sie sich respektieren – doch man glaubt ihnen auch jederzeit, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen könnten.

Ihr Mit- und Gegeneinander ist das Herz dieses Autofilms, sowie die Triebfeder genüsslicher komödiantischer Nuancen, während sich das Ellenbogenreiben zwischen der Ford-Chefetage auf einer Seite und Shelby sowie Miles auf der anderen Seite wiederum nur gelegentlich in fein-bissiger Kritik an störrischen Großkonzernen äußert. Teilweise lässt das Skript-Team Henry Ford II (Tracy Letts) dann doch in klobigen Klischeesätzen sprechen, und Mangold treibt den Mimen zuweilen zu argem Overacting an.

Dafür fesseln die Rennszenen: Begleitet von einem effektiven Score von Marco Beltrami, von Kameramann Phedon Papamichael (der diesem Film generell eine tragende Bildsprache verleiht) in eindringlichen Bildern eingefangen und von Michael McCusker sowie Andrew Buckland packend geschnitten, lassen Testrennen und natürlich das titelgebende Rennen das Adrenalin hochkochen. Und dennoch lässt Mangold dadurch, wie er die Plotfäden in den Händen hält, nie Zweifel daran aufkommen, dass ihm die Menschen in diesem Drama wichtiger sind als die Pferdestärken.

Kurioserweise lässt Mangold einen nur selten die Gefährlichkeit dieses Sports spüren – dabei ist Le Mans als zermürbendes Dauerrennen dafür wie geschaffen. Gleichwohl führt «Le Mans 66 – Gegen jede Chance» vor, welch eigensinnige Handwerkskunst das Autobauen ist und wie sie nach Bauchgefühl, Passion und lang erarbeiteter Erfahrung verlangt.

«Le Mans 66 – Gegen jede Chance» ist ab dem 14. November 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/113586
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