Soap-Check

Sat.1-Flop «Alles oder Nichts»: Kaum Wärme in der Kälte

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Nach 50 Episoden zieht Sat.1 die Reißleine bei seiner Daily rund um eine Erben-Gemeinschaft. Trotz positiver Resonanz, die Gründe des Scheiterns liegen auf der Hand. Eine Analyse.

Quoten-Quickie «Alles der Nichts»

  • W1: 5,3%
  • W2: 4,4%
  • W3: 3,7%
  • W4: 3,9%
  • W5: 3,1%
  • W6: 3,0%
  • W7: 3,0%
  • W8: 3,5%
  • W9: 3,0%
  • W10: 2,9%
  • W11: 1,7%
Wochendurchschnitt 14-49
In der Politik spricht man von einer 100-Tage-Bilanz. In der Fernsehwelt gilt wohl die 50-Folgen-Bilanz. Die fällt bei einem der großen Sat.1-Neustarts des Vorjahres sehr durchwachsen aus. Die Daily Soap «Alles oder Nichts», die das Aufeinandertreffen unterschiedlichster sozialer Schichten nach einem Todesfall eines reichen Immobilien-Gurus in den Fokus stellte, landete zuletzt mehrfach bei weniger als zwei Prozent. Die Quotenbilanz des von Producers at work kommenden Formats ist wahrlich desaströs: Keine der 50 Folgen kam auch nur ansatzweise auf Höhe des Senderschnitts. Eine vorab als Preview bei YouTube angebotene erste Episode kam dort zwar auf deutlich mehr als eine Million, löste damit aber keinen allzu großen Hype aus.

Mehr als 870.000 Fans im linearen TV, am Vorabend um 18.30 Uhr, waren nie drin. Die Spitzenquote von 6,6 Prozent, stammt noch aus der Anfangszeit. Seitdem ging es, wie unsere Infobox zeigt, fast kontinuierlich bergab. Somit startet 2019 für die Belegschaft am Set mehr als bitter. Die Serie wird jetzt schnell zu Ende produziert, die Folgen gehen im Pay-TV und online zu Ende. Dabei war die Serie mit der ungewöhnlichen Ausgangssituation doch so hoffnungsvoll gestartet. Die ersten Einblicke in das Format machten massiv Lust auf mehr.

Dass die Qualität der Serie stimmte, betonte jetzt auch Sat.1-Chef Kaspar Pflüger nochmals. In einem Statement erklärte der Senderboss: „Die Reaktionen unserer Zuschauer in den sozialen Netzwerken waren durchweg positiv, was uns seit Start bestärkt hat, dieses Durchhaltevermögen zeigen.“ So positiv die Reaktionen auch waren, man muss dem Projekt attestieren, dass es – anders als bei RTLs «Freundinnen» (gestartet vergangenen August) nie gelang, auch nur annährend eine Erweiterung der harten Fanszene zu erreichen. Holte die neue RTL-Soap zwischendurch auch mal mehr als zehn Prozent, war der Trend bei der Erbschafts-Soap immer rückläufig.

Das ist auf die generelle Ausrichtung des Formats zurückzuführen. Wohl getrieben von den großen Quotenerfolgen von Dokus, die soziale Unterschiede in den Fokus rücken («Armes Deutschland», «Hartz und herzlich») lag der Schwerpunkt der Serie in fast jedem Handlungsstrang auf den großen sozialen Differenzen der handelnden Figuren. Im Kern ging es in der Serie ja um die nun verwitwete Melissa, die sich mehr und mehr in den obdachlosen Daniel verliebte, um die aus einer einfachen Familie entstammende Erbin Jenni, die zwischen zwei Männern steht (einer davon Anzugträger Tarek), um die Stripperin und ebenfalls Erbin Anja, die einen dringenden Kinderwunsch hat und jüngst auch um Jennis Bruder, der sich in Melissas Tochter verliebt und dem ebenfalls die sozialen Unterschiede im Weg stehen.

Producers at Work hat dabei durchaus aus Fehlern von früher gelernt. «Alles oder Nichts» war schließlich nicht die erste Soap für Sat.1, die die Firma nicht über Distanz brachte. «Schmetterlinge im Bauch» wurde vorzeitig aus dem Programm genommen, genau wie auch «Hand aufs Herz». Bei beiden Formaten hatte man eine zu geringe Fallhöhe und eine zu geringe Konfliktdichte als eines der Hauptprobleme ausgemacht. Und genau diesen Fehler wollte man im Falle von «Alles oder Nichts» nicht mehr wiederholen. Intrigen, Streitereien und Täuschungen standen an der Tagesordnung – so sollten größtmögliche Emotionen erzeugt werden. Letztlich aber fand das Format nicht die richtige Mischung – die Macher hatten sich in ihrem Ursprungsgedanken scheinbar verfangen und ein bisschen das Gespür dafür verloren, was letztlich der Kernaspekt einer jeden Daily ist. Das Miteinander.

«Alles oder Nichts» schaffte es in den rund zehn Wochen nie ein wirkliches „Wir“-Gefühl zu erzeugen. Im Kern fehlte die große und glaubhafte Love-Story. Hier schienen sich die Autoren und Produzenten womöglich auch selbst nicht sicher zu sein. Zunächst schien alles auf das Liebesdreieck zwischen Jenni, Tarek und Henning hinauszulaufen. Doch die Figur Jenni, eine pampige Göre, war zu schlecht geschrieben, um für sie wirklich Sympathien zu empfinden. Jenni verhielt sich stets dümmlich und unreif – war aber die Version „toughe Frau“, die in Sat.1-Serien gerne mal abgebildet wird. In späteren Trailern, die im Dezember in Sat.1 liefen, verschob sich der Schwerpunkt hin zur reiferen und älteren Melissa – perfekt warmherzig gespielt von Sarah Maria Besgen. Dass diese aus „persönlichen Gründen“ und ganz scheinbar sehr spontan die Produktion abbrechen musste, gab dem Format den Rest.

Wie plötzlich ihr Ausstieg gekommen sein muss, zeigte sich erst vergangene Woche. Seit dem 27. Dezember waren die Episoden mit „der neuen Melissa“ Tanja Wenzel On Air zu sehen. Doch noch in der Episode vom 2. Januar hielt Daniel Wagner in einem kleinen Bildausschnitt ein Foto der alten Melissa in der Hand. Offenbar wurde besagte Silvester-Feier-Szene vorab gedreht – und das Bild entsprechend nur in einer Großaufnahme komplett getauscht. Eine kleine Betrachtung, die zeigt, welche Stolpersteine die Produktion letztlich zu nehmen hatte. Etwa diesen wohl auch für die Beteiligten sehr überraschenden Cast-Wechsel. Ohne dem warmherzigen Spiel von Besgen schien dem Format zuletzt nun der letzte Funken an Wärme zu fehlen. Es gab weder packende Geschichten rund um Freundschaft, es gab allgemein wenig Spaß und noch weniger echte Liebe in der Serie zu sehen. Kurzum: Die Macher hatten sich zu sehr in den Willen, eine Intrigen-Soap zu schreiben, verzettelt. Dabei ist es bei jeder gängigen Soap eigentlich der Mix aus Positivem und Negativem, der letztlich das große Bindemittel entstehen lässt.

Dass Sat.1 sich die konstant schlechter werdenden Quoten Tag für Tag ansah, verdient Respekt. Kritisch hinterfragen muss man allerdings, ob im Sender denn niemand im Vorfeld die Frage stellte, ob die Serie wirklich massentauglich ist. Immerhin hatte sie sich, mit ihrer zugegebenermaßen außergewöhnlichen Ausgangslage des Erben-Clashs, gegen drei Vorschläge der Firma UFA Serial Drama durchgesetzt.

Darunter war eine klassische Telenovela, eine witzige Serie und eine mit einem starken Crime-Plot. An zweien der Formate arbeitete bis zuletzt Dr. Peter Süß, Soap-Veteran mit jahrelanger «Sturm der Liebe»- und «GZSZ»-Erfahrung.

Dass sich Sat.1 nun wieder an eine Daily Soap traut, dürfte erst einmal unwahrscheinlich sein. Zuletzt galt bei der Sendergruppe das Credo, Genres, an denen man sich frisch verbrannt hat, nicht mehr anzufassen. Auch ein Fehler. Denn das Scheitern eines Formats liegt nicht immer zwingend am Genre, sondern manchmal auch an der konkreten Ausrichtung. Die war – augenscheinlich – bei «Alles oder Nichts» zu spitz. Die eine neue Streaming-Plattform vorbereitende Sendergruppe bräuchte aber eine funktionierende Daily so dringend wie kaum etwas anderes. Und so kann man eigentlich nur dazu raten, direkt das nächste Projekt in Angriff zu nehmen – und eben aus diesem Flop zu lernen.

Der gesunde Mix macht’s – im Programm, wie in den Geschichten einer Serie, wie im echten Leben.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Familie Tschiep
08.01.2019 13:46 Uhr 1
Vielleicht war das Thema Arm/Reich in anderen Formaten zu präsent, dass es Menschen nicht so interessiert. Und die Vorläuferformate waren auch nicht so erfolgreich.
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