Die Kritiker

«Straight Family»: funk über das Coming Out 2.0

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In der neuen funk-Serie «Straight Family» geht es in einer kleinen Kneipe hoch her, denn der schwule Wirt erfährt kurz vor dem Besuch seiner intoleranten Oma, dass auch seine Schwester queer ist.

Cast und Crew

  • Regie: Jasmine Alakari (Folge 1+3), Paola Calvo (Folge 2), Sanela Salketic (Folge 4), Eline Gehring (Folge 5+6)
  • Darsteller: Luise Helm, Ben Münchow, Armin Wahedi, Adriana Jacome, Valentina Sauca, Us Conradi, Jörg Westphal
  • Drehbuch: Sebastian Ladwig (Head Autor), Anastasia Gorokhova, Beliban Stolberg, Michael Andres, Samuel Chalela, Jacob Hauptmann, Lucas Thiem
  • Bildgestaltung: Agnes Pakodzi, Raphael Beinder, Patrick Jasmin
  • Schnitt: Michal Kuleba
  • Creative Producer: Lucas Thiem
Im Mittelpunkt steht eine Familie, in der alles glatt läuft – jedenfalls auf dem ersten Blick: Leo (Ben Münchow) und sein Partner Mehmet (Armin Wahedi) betreiben mit Passion eine gut laufende Kneipe, die sich eine queere Stammkundschaft aufgebaut hat. Und der psychedelische Schnaps, den die Beiden im Keller brennen, kommt ebenfalls sehr gut an. Leo und seine Schwester Lara (Luise Helm) verstehen sich zudem bestens … Aber dann naht der Geburtstag von Leos und Laras erzkonservativer Großmutter Magda (Us Conradi), und die kleinen Lügen und Leugnungen in der Familie werden wieder bewusst. Magda weiß nichts von Leos Beziehung und erst recht nichts von der modernen Ausrichtung des Familienbetriebes, in dem sie noch einmal Geburtstag feiern will. Und ausgerechnet jetzt hat sich Lara vorgenommen, sich als lesbisch zu outen. Der Familienfrieden droht zu kippen …

Das siebenköpfige Drehbuchteam hinter «Straight Family» nutzt diese Ausgangslage, um anhand des Mikrokosmos einer Familie (und deren Liebsten) mehrere gesellschaftliche und zwischenmenschliche Probleme rund um das Thema "Umgang mit Queeren" zu behandeln. So nimmt «Straight Family» die verkehrte Wahrnehmung in den Fokus, dass ein Coming Out zu einem unpassenden Moment erfolgen könnte: Obwohl Leo schwul ist, macht er seiner Schwester Stress, als sie sich outen will, da ihm der Zeitpunkt nicht passt. Ein ärgerlicher Doppelstandard, ist doch der intolerante Starrsinn von Oma Magda eigentlich das, was Leo an die Decke jagen sollte.

Dieses Beispiel steht stellvertretend für den generellen Duktus von «Straight Family»: Statt einer grobschlächtigen Schwarz-Weiß-Zeichnung erfolgt hier eine nuancierte, lebenswirklich-widersprüchliche Skizze der Gesellschaft. Es gibt nicht nur Queere und bestens aufgelegte 'Allies' auf der einen Seite und mit Fackel und Mistgabel bewaffnete Homophobe auf der anderen Seite. Es gibt viele, viele Schattierungen dazwischen – und selbst ein aufgeschlossener Mensch kann einer Einzelperson situativ das Coming Out erschweren, schlicht durch internalisierte Vorurteile, unbedachte Floskeln oder ähnliches. Dadurch, dass Leo auf Laras Outing mit der Frage antwortet, ob das nicht bloß "eine Phase" sei, zeichnen de Autorinnen und Autoren von «Straight Family» ihn nicht prompt als Unsympathen. Sie nutzen es als Alltagsbeobachtung und weisen so darauf hin, dass unbedachte, vermeintlich harmlose Sätze in der Masse eben doch ein großer Störfaktor sein können – und dass sich noch immer fast jeder solche Patzer erlaubt.

Im Laufe der über mehrere, kurze Folgen verteilten, rund 40 Serienminuten zieht sich die Schlinge in «Straight Family» allerdings immer weiter zu, bis es zum emotional stark aufgeladenen Finale kommt, das nochmal deutlich mit offener Homophobie abrechnet. In einem Gänsehaut-Monolog zählt Ben Münchow (bald in «Das Boot» zu sehen) mehrere bittere Anekdoten auf, die verdeutlichen, weshalb Fragen wie "Was regen sich die Schwulen denn immer so auf, sie werden doch mittlerweile akzeptiert?" entweder von uninformierter Weltfremdheit oder blanker Boshaftigkeit zeugen.

Luise Helm überzeugt derweil sehr in der Rolle der sich frisch als lesbisch geouteten Mittzwanzigerin, die hin und her gerissen scheint, zwischen einem geradlinigen, offenen Umgang mit ihrer sexuellen Identität und einem scheueren, unsicheren Auftreten. Die markige Us Conradi gibt eine kernige Gegenspielerin für das Geschwisternpaar ab und Armin Wahedi macht in seinen wenigen Szenen genauso wie Valentina Sauca eine solide Figur. Adriana Jacome dagegen, die als Laras neue Flamme Ximena ihr deutschsprachiges Bildschirmdebüt feiert (auf deutschen Bühnen war sie derweil schon zu sehen), wirkt vor der Kamera unterdessen etwas steif.

Visuell holen die vier Regisseurinnen derweil viel aus den Mitteln, die «Straight Family» zur Verfügung standen, und das nicht nur, weil die Lichtsetzung markante Akzente setzt: Die Kneipe ist ein charakterstarker, aussagekräftiger Schauplatz, dem seine bewegte Geschichte durchweg anzumerken ist und so auch die Handlung von «Straight Family» unentwegt still kommentiert.

YouTube-stilgetreu enden «Straight Family»-Folgen zudem nicht bloß auf einem Mini-Cliffhanger, sondern auch auf einem Aufruf, mitzudiskutieren. Somit unterstreicht funk seinen Ansatz, mit dieser Serie ein Format für Leute (nicht nur) Anfang bis Mitte 20 zu kreieren, die sich mit den Figuren identifizieren können und Austausch suchen. Die Fragen in den Diskussionsaufrufen gewinnen nicht unbedingt einen Originalitätspreis, doch die hehre Ambition ist «Straight Family» auch bei ihnen anzumerken.

«Straight Family» ist ab sofort über die funk-App und YouTube abrufbar.

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