Die Kino-Kritiker

«Hin und weg»

von

Florian David Fitz, Jürgen Vogel und Co. treten zu einer bittersüßen Fahrradtour an.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Christian Zübert
  • Drehbuch: Ariane Schröder
  • Produktion: Florian Gallenberger und Benjamin Herrmann
  • Musik: Siggi Mueller und Egon Riedel
  • Kamera: Ngo The Chau
  • Schnitt: Mona Bräuer
Filmfestivals entwickeln mitunter eine ganz eigene Dynamik, die in Publikumsreaktionen mündet, die manchmal rätselhaft sind. So erhielt Quentin Tarantinos meisterhafte Weltkriegsfantasie «Inglourious Basterds» in Cannes lediglich lauwarme Rückmeldung. Dass «Dreiviertelmond»-Regisseur Christian Zübert mit seiner Roadmovie-Tragikomödie «Hin und weg» beim Filmfest Hamburg stürmischen Applaus und minutenlange Standing Ovations erntete, fällt ebenfalls in die Kategorie ungewöhnlicher Festivalreaktionen. Denn der mit Frauenschwarm Florian David Fitz in der Hauptrolle besetzte Tränenzieher mag zwar seine Stärken haben. Gleichwohl weißt er ebenso diverse Mängel auf, aufgrund derer eine derart überschwängliche Resonanz durchaus ein wenig verwundert.

Ein letztes Mal in die Pedale treten


Hannes (Florian David Fitz), seine Frau Kiki (Julia Koschitz) und ihre vier besten Freunde pflegen eine jährliche Tradition – im Herbst geht es auf gemeinsame Fahrradtour. Dieses Mal bestimmt Hannes das Ziel der Reise, und sorgt beim stets streitenden Ehepaar Dominik & Mareike (Johannes Allmayer & Victoria Mayer), bei Hannes' ewig jungem Bruder Finn (Volker Bruch) sowie bei Frauenheld Michael (Jürgen Vogel) für ratlose Gesichter. Wieso ausgerechnet Belgien? Beim ersten Zwischenhalt der Tour verrät Hannes seine Beweggründe: Er hat ALS, die Ärzte rechnen ihm sehr schlechte Heilungschancen aus und daher möchte er in Belgien von der Sterbehilfe Gebrauch machen. Seine bis dahin ahnungslosen Freunde sind zunächst erbost, weil er und Kiki nie etwas gesagt haben. Nach einigem Kopfzerbrechen radeln sie dennoch los …

Obwohl «Hin und weg» in erster Linie unterhalten will, nimmt sich dieses bittersüße Roadmovie recht ernst, was sich vor allem in der ausschweifenden Bildgestaltung ausdrückt. Kameramann Ngo The Chau («Stereo», «Almanya – Willkommen in Deutschland») hüllt seine kraftvollen Breitbildaufnahmen nicht unentwegt in die fürs deutsche Massenkino üblich gewordenen Farbfilter, sondern fängt die natürliche Schönheit herbstlicher Landschaften und Städte ein. Das daraus entstehende Spiel aus Grau-, Braun- und Grüntönen sowie vereinzeltem Himmelblau erschafft eine Grundstimmung, die ideal zu solch einem Film passt: Lebensfroh, aber nachdenklich. Regisseur Christian Zübert stellte zudem eine zugkräftige Songauswahl zusammen, die unter anderem auch speziell für den Film geschriebene Nummern beinhaltet und sich auf Interpretenseite von den Beatsteakes bis hin zu Passenger erstreckt.

Lebensweisheiten leicht gemacht


Leider entspricht das Drehbuch nicht ganz dem hohen Niveau, das die Umsetzung verspricht. Eine Fahrradtour unter Freunden bietet, wenn sie authentisch erzählt wird, ausreichend Potential für dramatische sowie urkomische Situationen. Insbesondere, wenn sie unter solchen Vorzeichen geschieht wie der von Hannes vorgeschlagene Belgientrip. Allerdings verlässt sich das Skript Ariane Schröders nicht auf die Natürlichkeit dieser Ausgangslage, sondern pflegt mit einem Mutproben-Gimmick ein Element in die Handlung ein, das sich nicht ohne Grund wie ein aufgesetzter Fremdkörper anfühlt.

Zu Beginn der Reise schreibt jeder der Truppe einem seiner Freunde heimlich vor, dass er eine bestimmte Sache tun muss. Dies dient schlussendlich dazu, dass während des Films jede der radelnden Figuren ihre anfänglichen Macken dank der Holzhammermethode verliert. Die Spießerin entdeckt, dass zum Spaß am Leben auch das Überschreiten rechtlicher Grenzen dazugehört. Der Womanizer muss einen Abend in der Rolle einer Frau verbringen. Der sexuell frustrierte Ehemann lässt im Swingerclub Dampf ab und ist daraufhin wieder bestens auf seine Gattin zu sprechen, und so weiter. Diese Nebenschauplätze sind trotz vereinzelter Schmunzler in ihrer Art, eine lebensmuntere Botschaft zu vermitteln, viel platter als der zentrale Handlungsfaden dieses Roadmovies. Einerseits, da sie die von ihren Darstellern hingebungsvoll gespielten Nebenfiguren unter ihrem Wert verkaufen, zum anderen, weil in ihnen oftmals Lebensqualität mit reinem Hedonismus verwechselt wird – etwas, das der Prämisse und dem Finale dieses Films widerspricht.

Dadurch, dass diesem Aufgabenspielchen der Freunde viel Leinwandzeit geschenkt wird, gerät ausgerechnet die Motivation der Hauptfigur Hannes ins Hintertreffen. Weshalb er keinerlei Sinn im Weiterleben mehr sieht, und weshalb er all seine Freunde mit seiner drastischen Entscheidung übertölpeln wollte, wird bestenfalls angerissen. Etwaige Leerstellen weiß auch nicht die Darbietung Florian David Fitz' zu füllen: Zwar ist sein leises Spiel, das von kleinen Gesten und deren Subtext lebt, ein effektiver emotionaler Anker für «Hin und weg», dennoch bleibt Hannes eine charakterlich schwer einzuschätzende (um nicht zu sagen: blanke) Figur.

Trotz Schwächen reizend


All dies hindert «Hin und weg» daran, sein Potential voll auszuschöpfen. Dennoch bleibt die ZDF-Koproduktion in ihren besten Momenten ein löbliches Beispiel dafür, dass deutsches Kino sehr wohl zwischen selbst geißelndem Drama und derber Komödie wandeln kann. Jürgen Vogel und Miriam Stein (als plappernder, ratloser Neuzugang zur Freundestruppe) sorgen hier mit perfektem Timing für herzliche Lacher, und dennoch zünden die in regelmäßigen Abständen kommenden ruhigen Momente. Wenn Hannes und Kiki am Lagerfeuer einen kurzen Zwist haben, zeigen Fitz und Koschitz wiederum mit voller Kraft auf, wie stark sie ihr schauspielerisches Handwerk beherrschen. Und auch die brisante Sterbehilfe-Thematik wird zum Abschluss mit versierter, keinesfalls plakativer Hand angepackt. Wären auf dem Weg dorthin halt nicht so viele Stolpersteine ...

Fazit: Die tragikomische Fahrradtour mit Florian David Fitz ist in ihren lebensfrohen Abschnitten zeitweise arg bemüht und flach. Das engagierte Ensemble und die starke audiovisuelle Umsetzung entlocken diesem stillen Stück emotionalem Unterhaltungskino einige denkwürdige Sequenzen.

«Hin und weg» ist ab dem 23. Oktober 2014 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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