Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Die kümmerlichen Erben von Stefan Raab

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Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 291: Eine miese Comedy-Sketch-Show von VIVA und die „Entertainer des schlechten Geschmacks“.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer Show, die sogar der eigene Sender schon vergessen hat.

«VIVA Family» wurde am 08. Januar 1999 bei VIVA geboren und entstand zu einer Zeit, als der Kanal den Weggang von Aushängeschild Stefan Raab kompensieren musste. Dieser hatte mit seiner Kult-Reihe «Vivasion» an zwei Abenden in der Woche wie keine andere Person des Hauses für Aufsehen und Zuspruch gesorgt. Neben einer großen symbolischen Lücke ließ die Einstellung damit auch zwei verwaiste Prime-Time-Sendeplätze zurück, die es nun zu füllen galt. Gleichzeitig grassierte im restlichen Fernsehprogramm noch immer der von «RTL Samstag Nacht» ausgelöste Comedyboom und Sendungen wie die «Wochenshow», die «Harald Schmidt Show», die «April-Hailer-Show», «7 Tage, 7 Köpfe», «Happiness» oder «Darüber lacht die Welt» versuchten, die Zuschauer mit ihren komischen Einlagen anzulocken.

Von diesem großen Spaß-Kuchen wollte offenbar der kleine, deutsche Musikkanal VIVA ebenso ein paar Krümel abhaben und kündigte als Raab-Ersatz vollmundig eine komplette „Comedy-Offensive" an, die letztlich aber nur aus zwei Produktionen bestand. Dabei setzten die Verantwortlichen alle Hoffnung auf den aufgedrehten, nuschelnden Chaoten Frank Lämmermann, der bisher nur in einzelnen Beiträgen in Erscheinung getreten und vor allem wegen seiner extremen Hochfrisur aufgefallen war. Wie er selbst in einigen Interviews erklärte, benötigte er für sein tägliches Styling eine komplette Dose Haarspray und musste beim Aufsprühen frische Luft von außerhalb des Bads stets durch einen Schlauch atmen.

Ihm oblag es nun, das große Erbe von Stefan Raab anzutreten. Dazu erhielt er zunächst eine eigene Sendung namens «Lämmermann», die eine typische Personalityshow mit Einspielern und witzig gemeinten Aktionen war. Zusätzlich begrüßte er in jeder Ausgabe ein typisches VIVA-Sternchen in seinem bunten, mit Babyspielzeug ausgestatteten Studio. Wirklich witzig war all dies allerdings nicht - eher anstrengend, laut und hektisch - sogar für VIVA-Verhältnisse.

Darüber hinaus erhielt Lämmermann in dem anderen neuen Comedy-Projekt ebenfalls eine zentrale Rolle, denn auch dort gehörte er zur Stammbesetzung. Dabei handelte es sich um jene «VIVA Family», die sich offenbar selbst in der Tradition von «RTL Samstag Nacht» sah, schließlich sollte dort erneut ein festes Ensemble mit kurzen Sketchen und Studioaktionen für Lacher beim Live- und Fernsehpublikum sorgen. Dahinter verbargen sich jedoch keine etablierten Komiker oder erfahrenen Schauspieler, sondern lediglich eine Handvoll VIVA-Gesichter, von denen man wohl annahm, dass sie witzig sein könnten. Neben Lämmermann gehörte auch Enie van de Meiklokjes dazu, die seit 1996 für den Kanal als VJane tätig war und die Hauptmoderation des neuen Formats übernahm. Zu ihr gesellten sich sowohl Nadine Krüger, die bisher vor allem im sendereigenen Kinomagazin «Film Ab» und in der bunten Singleauslese «Sommer sucht Sprosse» (Sat.1) zu sehen war, als auch die Kunstfiguren „Zaziki-Man" und „Crash Kid Olli". Über jenen „Zaziki-Man" ist derweil nicht mehr viel bekannt. Hinter „Crash Kid Olli“ verbarg sich hingegen der gebürtige Papenburger Oliver Polak, der zu diesem Zeitpunkt lediglich als „mit Recht unterbezahlter" Praktikant bei «Vivasion» gearbeitet hatte und sich dort vor der Kamera von seinem Chef Stefan Raab erniedrigen lassen musste. Das Duo Polak/Zaziki-Man, das sich selbst als „Entertainer des schlechten Geschmacks" beschrieb, trat zuweilen auch unabhängig von ihren anderen Mitstreitern auf – einmal sogar beim legendären «NBC GIGA».

Diese Truppe aus Musikansagerinnen und Praktikanten sollte nun eine wöchentliche Comedyshow mit Live-Publikum stemmen. Selbst für die Ansprüche von VIVA ein waghalsiges Ziel. Dennoch zeigte sich Patricia Gebhardt, die Programmdirektorin von Viva, optimistisch. "Diese Mischung aus Nonsens, Comedy, Musik und Live-Entertainment hat es so noch nicht gegeben und wird sicherlich auch Nachahmer finden", sagte sie gegenüber der Berliner Zeitung. Damit nicht genug, denn auf die Feststellung, dass viele komödiantische Neustarts derzeit scheitern würden, antwortete sie selbstsicher: „Wenn einzelne Sender ihre Comedy-Versuche wieder eingestellt haben, dann aus dem Grund, weil das Konzept nicht gestimmt hat." Diese Aussage war insofern mutig, als dass man sich bei der «VIVA Family» scheinbar erst gar nicht die Mühe gemacht hatte, ein konkretes Konzept zu entwickeln. Vielmehr setzte sich der Ablauf aus krude aneinander gereihten und abgedroschenen Nummern zusammen. Beispielsweise stellte Lämmermann den Text des Xavier-Naidoos-Songs „Sie ist nicht von dieser Welt" pantomimisch dar oder es fungierte ein Rentner als Studio-DJ. All dies wurde schließlich jeweils mit dem Live-Auftritt eines Musikkünstlers aus der Rotationsliste des Senders (u.a. Blümchen) garniert.

Als Kulisse für die einstündigen Ausgaben diente das zu jener Zeit für alle VIVA-Produktionen genutzte Allzweckstudio, das dafür schlicht mit roten Vorhängen dekoriert wurde. Die wenigen anwesenden Live-Zuschauer nahmen nicht auf Tribünen oder Rängen Platz, sondern mussten vor der winzigen Bühne an kleinen Bistro-Tischen stehen. Während Lämmermanns Solo-Auftritte den «Vivasion»-Slot am Mittwochabend besetzten, sollte die «VIVA Family» ihr Glück am Freitag probieren. Doch wenig überraschend fand das unausgereifte Treiben kaum Anklang bei den Zuschauern und verschwand bald wieder.

Wie lang die Sendung genau lief und wie viele Folgen sie hervorbrachte, ist - und hier wird es mysteriös - nicht bekannt. Weder wurden für sie von den offiziellen Institutionen Einschaltquoten und damit Sendetermine erfasst, noch konnte VIVA selbst auf Anfrage Informationen im eigenen Archiv dazu finden. Es scheint fast so, als ob das Programm offiziell nie existiert hätte ... Aber es gab es tatsächlich, wenn auch nur für wenige Monate, vielleicht sogar nur wenige Wochen.

«VIVA Family» wird seit Winter/Frühjahr 1999 vermisst und ist symbolisch mit einem leeren Sarg beerdigt worden. Die Show hinterließ die Moderatorin Enie van de Meiklokjes, die ab Herbst 1999 zunächst durch das Jugendmagazin «Bravo TV» führte und dann in «Weck Up» (Sat.1) und «LOLA - Das Magazin für Frauen» (arte) auch für erwachsene Inhalte zuständig war. Zwischen 2004 und 2008 war sie außerdem in der täglichen Deko-Reihe «Wohnen nach Wunsch – Ein Duo für vier Wände!» zu sehen. Derzeit präsentiert sie bei sixx Backrezepte und tritt regelmäßig als Jurorin in «Grill den Henssler» auf. Ihre Kollegin Nadine Krüger übernahm zur Jahrtausendwende zunächst zwei Kinomagazine für ProSieben und Premiere, bevor sie als Gastgeberin beim «Sat.1 Frühstücksfernsehen» einstieg. Seit 2009 gehört sie zum festen Team von «Volle Kanne» im ZDF. Frank Lämmermann erschien hingegen nur noch einmal außerhalb von VIVA auf dem Bildschirm. Im Herbst 2005 versuchte er in «Lämmermanns Keller» beim Mitmach-Sender 9Live mit seinen Scherzen die Anruferzahlen zu steigern. Dies scheiterte jedoch grandios, wodurch er nach wenigen Wochen wieder verschwand. Das ehemalige „Crash Kid Olli" trat später unter seinem eigentlichen Namen Oliver Polak erfolgreich als Stand-Up-Comedian auf und machte sich dabei hauptsächlich über seine jüdischen Wurzeln lustig. Zudem veröffentlichte er das Buch „Ich darf das, ich bin Jude." Übrigens, diese kurzlebige Comedy-Offensive des Senders VIVA sollte nicht seine letzte bleiben. Rund zwei Jahre später startete er nämlich einen zweiten Versuch, aus dem unter anderem das genial-schräge, aber ebenso erfolglose «Fleischmann.TV» hervorging.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann dem endlosen Nachtprogramm deutscher Fernsehsender.

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