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Wie Animationsserien erwachsen wurden

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Zeichentrick- und Animationsserien sind in den Köpfen vieler noch immer untrennbar mit Inhalten für Kinder verbunden. Doch Vorsicht: Zuweilen kann es darin heutzutage düster bis derb zugehen.

Erwähnte Animationsserien - eine Chronologie

  • «Die Simpsons» (seit 1989)
  • «Ren & Stimpy» (1991-1995)
  • «Beavis and Butt-Head» (1993-2011)
  • «The Critic» (1994-1995, 2000-2001)
  • «South Park» (seit 1997)
  • «King of the Hill» (1997-2010)
  • «Futurama» (1999-2013)
  • «Spongebob Schwammkopf» (seit 1999)
  • «Family Guy» (seit 1999)
  • «American Dad!» (seit 2005-2014)
  • «Robot Chicken» (seit 2005)
  • «The Cleveland Show» (2009-2013)
  • «Archer» (seit 2009)
  • «Adventure Time» (seit 2010)
  • «Rick & Morty» (seit 2013)
  • «Bojack Horseman» (seit 2014)
Nahezu jeder Fernseh- und Filmzuschauer kann unabhängig des jeweiligen Alters mehrere Zeichentrick- und Animationsfilme oder Serien dieses Genres aufzählen, mit denen er oder sie seine Kindheit verbrachte. Seien es Disney-Klassiker, Comic-Verfilmungen wie «Asterix und Obelix» oder neuere Produktionen aus dem Hause Pixar, Dreamworks oder Nickelodeon. Noch immer werden diese Arten von Unterhaltungsprogrammen landläufig als Kinderproduktionen betrachtet. Mittlerweile ist diese Einschätzung zwar bei der Mehrzahl der Produktionen noch zutreffend, insbesondere im Falle von Animationsserien sollten Eltern dieser Tage aber sehr vorsichtig sein, welche Formate sie ihren Kindern noch vorsetzen.

Vor allem in Bezug auf Animationsfilme ist es mittlerweile Tradition, diese mit einer Ebene zu versehen, die auch Erwachsene anspricht, um so in den Lichtspielhäusern möglichst viele Menschen anzulocken oder die Eltern beim Kinobesuch mit den Sprösslingen nicht zu trivialen Inhalten aussetzen zu müssen. Unterdessen wurde Disney schon des Öfteren vorgeworfen, seinen meist kindlichen Zuschauern subliminal nicht jugendfreie Nachrichten vermitteln zu wollen, während etwa Serien wie «Alfred J. Kwak» Anspielungen auf die NS-Zeit oder Themen wie Waffenschmuggel enthielten und Formate wie die «Simpsons» auch bei einem erwachsenen Publikum prächtig funktionieren.

Wie FOX Erwachsenen-Animationsserien den Weg mitebnete


Dass aber Zeichentrick- und Animationsserien explizit für ein erwachsenes Publikum entwickelt werden, ist eine Entwicklung, die sich vor allem nach dem Millenium und mehr denn je in den vergangenen Jahren finden lässt. Einer der populärsten Vorreiter war dabei sicherlich das US-Network FOX, das nicht nur mit den «Simpsons» oder «Futurama» Formaten für Jung und Alt eine Plattform gab, sondern mit «Family Guy» ab 1999 auch einer Serie, die ihr Augenmerk vor allem auf junge Erwachsene legt. Die Geschichten um die fiktive Familie Griffin enthalten allerlei popkulturelle und auch politische Verweise auf das USA der Gegenwart und ebneten damit auch den Weg für Serien wie «The Cleveland Show» (2009-2013) und «American Dad!» (2005-2014). Letztere, fast ausschließlich mit eigenwilligen Charakteren gespickte Serie thematisierte zwar wie so oft auch allerlei Kuriositäten des familiären Zusammenlebens, aber trifft gleichzeitig mit Protagonist Stan Smith, CIA-Agent und Republikaner, allerlei kritische Aussagen über die US-Politik.

Schon 1994 wagte FOX mit «The Critic» einen ersten Vorstoß im Bereich der Zeichentrickserien für Erwachsene. Das Format um den New Yorker Filmkritiker Jay Sherman, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Filme zu rezensieren, die er hasst, ist mittlerweile TV-Kult. Mit Reruns der Sendung, die zahlreiche Parodien auf die bekanntesten Film-Klassiker enthielt, feierte Comedy Central noch Mitte der 2000er große Erfolge. Die Zeit schien Mitte der 90er also noch nicht reif für animierte Formate mit erwachsener Zielgruppe, was sich im Falle FOX‘ Ende der 90er Jahre mit «King of the Hill» änderte. Die Serie des «Beavis and Butt-Head»-Schöpfers Mike Judge beschäftigte sich in 13 Staffeln zwar mit eher traditionellen Geschichten um Familie, Arbeit und Selbstfindung, nahm dabei aber gehörig die texanische Mentalität aufs Korn, die ihre Protagonistin ständig ausstrahlten. Einige Jahre zuvor begannen «Beavis and Butt-Head» bei MTV ihre Nachbarn zu belästigen, Mitschüler zu mobben oder davon zu träumen, Frauen aufzureißen – allerdings nie vor einem übermäßig großen Publikum.

Heutzutage sind derartige Serien gefragt wie nie, darin kann es auch zuweilen sehr derb bis politisch inkorrekt zugehen. Einen wichtigen Grundstein dafür legte das bei Comedy Central seit 1997 laufende «South Park», welches nach zwanzig Staffeln zuletzt den US-Wahlkampf mächtig auf die Schippe nahm und damit aktueller ist als je zuvor. Auch weil die Schöpfer Trey Parker und Matt Stone innerhalb von nur fünf Tagen eine Episode produzieren können, sodass bereits vor einigen Wochen das frisch zum Präsidenten gewählte Trump-Pendant zu den Zuschauern sprach. Kein Promi und kein gesellschaftlich oder popkulturell relevantes Thema ist vor «South Park» sicher, sodass das Format bereits zahlreiche Kontroversen umgab. Sei es aufgrund der Vulgarität, als rassistisch gegeißelten Inhalten oder nach grenzwertigen Darstellungen des islamischen Propheten Mohammed, der Scientology-Kirche oder des Mormonentums.

Auch in «Archer», der seit 2009 laufenden animierten Sitcom, bietet FOX’ Kabel-Ableger FX teilweise ziemlich gewagte Inhalte. Auf mittlerweile sieben Staffeln kommt die von Adam Reed erdachte Serie um den fiktiven Geheimdienst „International Secret Intelligence Service“ (mit dem mehr als kontroversen Kürzel „ISIS“, das vor Kurzem geändert werden musste). Kritische Beobachter sehen in «Archer» einen einzigen frauenfeindlichen Exzess des dauertrinkenden Macho-Protagonisten Sterling Archer, Fans eine unheimlich lustige und pervertierte Version unserer Welt mit zahlreichen Running Gags und reicher Meta-Comedy. Nach drei Emmy-Nominierungen heimste die Serie 2016 die renommierte Trophäe als „Outstanding Animated Program“ ein.

Gerade erst mit dem Critics‘ Choice Television Award ausgezeichnet wurde außerdem «Bojack Horseman». Von der auf Netflix erschienenen, animierten Comedy-Drama-Serie erschien in diesem Jahr die bereits dritte Staffel. Nach gemischten Kritiken zum Start des Formats, das seinen Ton mühelos zwischen ausgelassen und melancholisch wechseln lassen kann und in einer Welt voller menschengroßer Tiere mit allerlei tierbezogenen Wortspielen aufwartet, entwickelte sich die Serie erst im Laufe seiner drei Staffeln zum Liebling von Zuschauern und Kritikern. Nach der neueste Staffel wurde die von Raphael Bob-Waksberg erdachte Show schleßlich plattformübergreifend von verschiedenen Beobachtern als eine der witzigsten und zugleich herzzerreißendsten Sendung dieser Tage bezeichnet.

Adult Swim – Spielplatz der Kreativen


Mit Adult Swim existiert in den USA seit Anfang der 2000er sogar ein Sender, der als nächtliche Erwachsenen-Alternative zum Cartoon Network fungiert und über dessen Frequenz täglich ab 21 Uhr auf Sendung geht. Der Großteil der Programme Adult Swims besteht dabei aus gewagten, unorthodoxen und häufig bizarr anmutenden Serien. Seine Einzigartigkeit erhält der Sender zum einen durch animierte Programme, die oft sexuelle Themen, Nacktheit, Kraftausdrücke und Gewaltdarstellungen enthalten, aber auch durch zuweilen experimentelle, improvisierte oder surrealistische Inhalte, die sich der absurden Comedy und der Shock-Comedy zuordnen lassen. Letzterem Genre gehört in Teilen auch «Family Guy» an, dem Adult Swim durch Reruns einst half, einer frühen Absetzung bei FOX von der Klinge zu springen.

«Ren & Stimpy» (1991-1995) wären vielleicht heute ein fester Programmbestandteil von Adult Swim. Schon Anfang der 90er Jahre lieferten sich die Macher John Kricfalusi und Bob Camp erbitterte Debatten mit Nickelodeon, das eigentlich ein pädagogisch wertvolles Format geordert hatte. Stattdessen erfreuten sich vor allem College-Studenten zu dieser Zeit an den sexuellen Anspielungen und kruden Szenarios um einen neurotischen, asthmatischen Chihuaha und einen sehr einfach gestrickten Kater mit skurrilem bis verstörendem Humor. Irgendwann hatte Nickelodeon genug von der Eigenwilligkeit der Sendung, dennoch ergatterte die Show insgesamt drei Primetime Emmys. Mit «Spongebob Schwammkopf» startete Nickelodeon später eine ebenfalls abgedrehte Serie, die das ältere Publikum jedoch eher hinter vorgehaltener Hand anspricht, aufgrund des Spagats zwischen Kinder-Programm und mehrschichtigem Cartoon aber zum beliebtesten Nickelodeon-Format aller Zeiten wurde.

Auf dem Sender für Erwachsenen-Animationsserien laufen dieser Tage beispielsweise das bereits 2005 gestartete «Robot Chicken», das zwar kein Cartoon ist, aber immerhin mit Stop-Motion animiert. Die Show von Seth Green und Matthew Senreich nimmt dabei die in der Popkultur beheimateten Spielzeuge, Filme, Fernsehformate und Videospiele, aber auch bekannte Personen und Zeichentrickcharaktere aufs Korn. Unzählige Gaststars traten bereits als Actionfiguren im Format auf, das zudem bereits drei «Star Wars»- und ein DC Comics-Special sendete. Zuletzt spielten sich vor allem «Rick & Morty» ins Herz der Zuschauer. Die Produktion des «Community»-Machers Dan Harmon handelt vom verrückten Wissenschaftler Rick, der seinen verdrießlichen und leichtgläubigen Enkel auf allerlei verrückte Abenteuer durch Raum, Zeit und verschiedene Dimensionen verschleppt. Ursprünglich sollte «Rick & Morty» eine Parodie auf «Zurück in die Zukunft» sein, letztendlich entstand eine derbe, unberechenbare, aber ungemein kreative Genre-Innovation. Und selbst das Cartoon Network, eigentlich für eine Zielgruppe zwischen sieben und 15 Jahren, schuf mit «Adventure Time» einen Hit für junge Erwachsene.

Entgegen der Vorstellung vieler Personen, die mit kontemporären Animationsserien weniger vertraut sind, präsentiert sich das Genre mittlerweile also vielseitiger denn je. Zum einen weil viele Kreative in den Produktionen abseits von Live-Action ein Mittel sehen, ihrer ungebändigten Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen, zum anderen weil auch große Teile der breiten Masse derartige Produktionen mittlerweile liebgewonnen haben und Programmverantwortliche ihnen daher mehr Chancen einräumen. Erwachsenen-Animationsserien lassen sich oft als experimentell, gewagt, kontrovers, parodistisch, gesellschaftskritisch regelrecht versaut und Over-the-Top charakterisieren – und machen gerade deshalb so viel Spaß, weil man derartige Inhalte im Fernsehen sonst nirgendwo zu sehen bekommt. Fest steht beim Trend zum Genre jedoch auch: Die Kindersicherung im Fernseher sollte für Eltern eventuell auch bei Animationsserien wieder ein Thema werden.

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