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Bon Appétit: Koch-YouTube auf Fernsehniveau – und mit Rassismus hinter den Kulissen

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Die Videos des YouTube-Kanals Bon Appétit wurden für ein Millionenpublikum zu gut gemachtem, dezent quirligem Wohlfühlcontent. Nun kam heraus, wie es hinter der strahlenden Fassade aussieht.

Schritt eins: Was ist Bon Appétit?


Bon Appétit ist ein 1956 gegründetes, US-amerikanisches Hochglanz-Kochmagazin, das zur Verlagsfamilie Condé Nast gehört – dem Banner, unter dem auch das intellektuelle Magazin 'The New Yorker', die 'GQ' und 'Vanity Fair' erscheinen. Die Tonalität des Magazins firmiert irgendwo zwischen einem aufmunternden "Jeder kann kochen!" und einem anspruchsvollen (klar von europäischer Sterneküche beeinflussten) Verständnis von Kulinarik und Gastronomie.

Dieser Spagat äußert sich insofern, als dass im Magazin, und auf der dazugehörigen Webseite, oft mit Zutaten im gehobeneren Preissegment hantiert wird, und selbst vermeintlich schnelle Rezepte schon ihre genüssliche Zeit in Anspruch nehmen, gleichwohl aber Ratgeberartikel beispielsweise verraten, welche Speisen man niemals so gut zuhause nachkochen kann, dass sie an Supermarkt-Fertigprodukte heranreichen. Eine zugängliche Hochnäsigkeit, wenn man so will.

2012 startete Bon Appétit einen eigenen YouTube-Kanal und sollte damit den Grundstein für seine internationale Prominenz legen und dafür, sich ein neues, jüngeres, breiteres Publikum zu erschließen – auch wenn das einige Zeit in Anspruch nahm: Anfangs veröffentlichte Bon Appétit hauptsächlich Koch-Tutorials, wie sie auf YouTube zu finden sind wie Sand am Meer. Wenige Kameraeinstellungen, es geht um die einzelnen Handgriffe beim Kochen, fertig. Wenig inhaltliche Persönlichkeit, keine höheren Produktionswerte.

2016 nahm eine sukzessive Neupositionierung des YouTube-Kanals von Bon Appétit ihren Anfang: Mehr Persönlichkeit, ausgefallenere Ideen und steigende Produktionswerte sollten nach und nach dafür sorgen, dass Bon Appétit nicht für "Koch-YouTube von den Machern dieses Hochglanz-Kochmagazins" steht, sondern für Koch-YouTube mit dem Aufwand und teils sogar mit der Dramaturgie von Fernsehproduktionen.

Schritt zwei: Die Zutaten


Eine entscheidende Zutat für diesen "neuen Geschmack" von Bon Appétit auf YouTube: "It's Alive with Brad", eine ganz und gar auf Moderator Brad Leone zugeschnittene Reihe an Videos, in denen es um Käse, Sauerteig, Fermentation und ähnliches geht – um Essen und Trinken, das erst bakterielle Prozesse durchlaufen muss. Mit kauzigem Humor (etwa in Form pointierter Schnitte oder alberner Texteinblendungen) und einem konzentrationsschwachen, aber begeisterten Gastgeber will "It's Alive with Brad" die Berührungsängste nehmen, die manche Menschen in der Hobbyküche mit solchen Prozessen haben.

Das fand großen Zuspruch. Und so formierte sich die Serie nach und nach zu einer persönlichkeitsgetriebenen Koch-Handwerkershow, in der Brad Leone nicht nur selber Käse, unterschiedliche Sauerteigprodukte und Eingelegtes macht, sondern (DMAX-esk) auch selber Salz gewinnt oder Messer macht. Garniert wird die Serie mit ständigen Gastauftritten von Brads Kollegen – teils bekannt aus klassischen Kochvideos auf dem Kanal, teils anfangs dem YouTube-Publikum noch unbekannt. Personality-Dokusoap trifft Kochvideo trifft Arbeitsplatz-Sitcom.

Dieser Stil ist auch in "Gourmet Makes" zu finden, einer Serie, die stets immens hohe Klicks generiert, in den weltweiten YouTube-Trends landet und sich rasch eine Kult-Fangemeinde erarbeitete: Claire Saffitz bekommt darin die Aufgabe, beliebte Supermarkt-Nachereien wie Snickers oder Doritos in einer Gourmet-Variante nachzuahmen. Ein altbekanntes Konzept, doch dadurch, dass die Videos großen Fokus auf Saffitz' Frustrationen und Glücksgefühle legt, darauf, wie Kolleginnen und Kollegen vorbei schneien, und wie sich im Laufe der Folgen Running Gags entwickeln, gewinnt diese Prämisse einen sehr kurzweiligen Twist.

Von diesen Erfolgen inspiriert, hat sich Bon Appétit ein neues (Online-)Image aufgebaut: Die Produktionsstandards der Videos sind gestiegen, die Protagonistinnen und Protagonisten sind stärker mit ihren individuellen Persönlichkeiten in den Vordergrund getreten und es sind vermehrt Videos mit Dokutainment-Charakter entstanden, wie kulinarische Reisen nach Hawaii oder mehrteilige Miniserien, in denen sich beliebte Bon-Appétit-Gesichter «Avengers»-esk zusammentun: In einer Reihe teilen sie sich auf, um erst an einzelnen Pizza-Bestandteilen zu experimentieren, dann aber im Crossover-Finale gemeinsam die perfekte Pizza zu backen. In einer anderen wiederholten sie dieses Konzept für das perfekte Thanksgiving.

Diese personengebundene Ader half Bon Appétit zunächst auch, der Corona-Pandemie zu trotzen: Die ersten Wochen über wurden noch fertigproduzierte Videos im Fernsehstandard veröffentlicht, später hoffte der Kanal, auch mit "@ Home"-Ausgaben das Publikum bei Laune halten zu können. Die Produktionswerte sind auf das typische "Eine, vielleicht zwei Kameras, eine heimatliche Küche, Ende"-Level gesunken, aber die meisten Fans äußerten Zufriedenheit damit, einfach weiter ihre Favoriten sehen zu können. Sie würden ja wie eine kultivierte, dennoch spaßige Familie wirken – so schien der Konsens. Und es sei ja schön, in solchen Zeiten so einer Familie regelmäßig zu begegnen.

Schritt drei: Hinter der Fassade


Zahlen zu Bon Appétit

  • Vor Enthüllung der massiven Probleme bei Bon Appétit hatte der YouTube-Kanal annähernd 6,03 Millionen Abos
  • Seither ist die Anzahl der YouTube-Abos auf unter 5,99 Mio. gesunken
  • Der größte Erfolg des YouTube-Kanals: "Every Way to Cook an Egg" mit über 26 Millionen Views
  • Die größten Hits der Serie "Gourmet Makes" sind Skittles (12 Mio.) und Instant Ramen (11 Mio.)
Schlussendlich war es aber schlicht eine glänzende Fassade, die nun rasant abbröckelt: Angeregt durch ein Foto von Chefredakteur Adam Rapoport, das ihn in einem diskriminierenden Kostüm als Puerto Ricaner zeigt, machte Bon-Appétit-Köchin Sohla El-Waylly öffentlich, dass bei Bon Appétit eine Zwei-Klassen-Kultur herrscht: Weiße Teammitglieder werden laut El-Waylly deutlich besser bezahlt als nicht-weiße Teammitglieder – und das auch dann, wenn die Qualifikationsstufen eine ganz andere Verteilung nahelegen.

Sie selber würde als Assistant Editor nur 50.000 Dollar im Jahr erhalten – ein Hungerlohn in New York. Ihre zu ihrer ursprünglichen Assistenzaufgabe hinzugekommenen Videoauftritte würden nicht zusätzlich entlohnt. Seit El-Wayllys öffentlicher Beschwerde ging es Schlag auf Schlag:

Weitere, unzumutbare Differenzen in den Gehaltsstufen wurden öffentlich gemacht. Immer mehr Teammitglieder und Ex-Bon-Appétit-Gesichter enthüllten ihre eigenen Beispiele dafür, dass bei Condé Nast eine Kultur der Intoleranz und Bigotterie vorherrsche. Es sei unter anderem kein Zufall, dass vornehmlich die weißen Teammitglieder den Zuschlag für eigene Serien bekommen würden, während der Rest der Crew nur Gastauftritte und kaum/gar nicht bezahlte Video-Kochtutorials machen durfte. Ganz davon zu schweigen, dass die Führungsetage Themen über nicht-weiße Essenskulturen mit hoher Schlagzahl ablehnen würde – wahlweise weil sie sie als zu kompliziert oder zu banal für das Zielpublikum erachten würde.

Zudem wurden zahllose Beispiele für Mikroaggressionen und abfällige Kommentare seitens Rapoport und anderen redaktionellen Entscheidungsträgern bekannt – vornehmlich gegen nicht-weiße Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Rapoport und Condé-Nast-Vize Matt Duckor haben daraufhin schon ihren Hut genommen, doch damit ist das Problem noch nicht aus der Welt geschafft: Zahlreiche der durch ihre YouTube-Präsenz bekannten Bon-Appétit-Gesichter, sowohl nicht-weiße als auch weiße, gaben bekannt, keine Videos mehr zu produzieren, bevor die (neue) Chefetage nicht bloß Versprechungen macht und Entschuldigungen ausformuliert, sondern Taten sprechen lässt. Etwa durch nachgeholte Zahlungen, neue Verträge und eine erneuerte Redaktionsstruktur.

Und selbst wenn das alles in die Wege geleitet ist, stellt sich die Frage: Kann Bon Appétit nach all dem erneut eine (dann ehrliche) Wohlfühl-Fassade errichten?

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