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Drei steile Thesen zur Quotenrenaissance des Westerngenres

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Immer öfter feiern Fernsehsender mit Westernwiederholungen Quotenerfolge. Quotenmeter.de hat drei steile Thesen, die erklären sollen, wo diese Lust des Fernsehpublikums auf Wüstenhelden herkommt.

Western eignen sich oft für den Nebenbeikonsum


Das Fernsehen geht in den vergangenen Jahren den Weg des Radios: Einst lenkten wir unsere volle Aufmerksamkeit auf das Programm. Nunmehr wird es verstärkt für den Nebenherkonsum eingeschaltet. Sei es, weil der Second Screen gerade irgendwas (vermeintlich) Interessantes aufblinken lässt. Oder weil es Dinge zu erledigen gibt und Filminteressierte das lineare Fernsehen als Geräuschkulisse wählen – und für die bewusste Sichtung eines Films auf ihre DVD- und Blu-ray-Sammlung sowie auf Video-on-Demand-Portale zurückgreifen.

Für den Fernsehkonsum mit geteilter Aufmerksamkeit eignen sich Genres, die eingängig strukturiert sind, so dass im Falle einer Ablenkung der Wiedereinstieg in die Story ein Leichtes ist. Diese Erklärung dient als potentielle Begründung für den Krimiboom – und lässt sich auch ideal auf den Western anwenden, dem unter anderem Kulturwissenschaftler Rudolf Walther eine angenehm geartete Vorhersagbarkeit attestiert: "Die Figuren und ihre Bewegungen sind vorgegeben. Man erkennt sie sofort und sieht ihre nächsten Schritte voraus. Der Reiz besteht in der leichten Variation des Schemas."

Western sind bei Streamingdiensten unterrepräsentiert


Actionfans kommen leicht an ihren Fix, auch ohne auf eine große eigene Sammlung zurückgreifen und das TV-Programm berücksichtigen zu müssen. Netflix zählt über 400 Filme, die sich dem Genre zuschreiben lassen, Amazon Prime über 600 und maxdome über 900. Komödienfreunde sind ebenfalls bestens bedient, Sci-Fi-Fans wiederum müssen sich, wenn sie bei einem der drei Anbieter Lust auf Flatrate-Filmegucken haben, mit einer deutlich kleineren Auswahl zufrieden geben – den dreistelligen Bereich knackt das Genre bei jeder einzelnen dieser Plattformen dennoch mühelos.

Western-Liebhaber hingegen zählen offensichtlich nicht zu dem Kundenkreis, den die großen VoD-Anbieter dringend zufriedenstellen wollen. Wenn man die Genregrenzen sehr, sehr großzügig definiert, kommt Netflix geradeso auf mehr als ein Dutzend Filme, während maxdome und Amazon geradeso über die 50-Filme-Marke hüpfen. Ergo: Wenn im Fernsehen ein guter Western läuft, fällt in vielen Haushalten der "Ach, den gucken wir lieber online, sobald es uns in den Kram passt"-Gedanke flach. Einschalten ist angesagt.

Western, die politisierten Filme, die sich in unseren Zeiten zurechtinterpretieren lassen


Selbst wenn Wahlbeteiligungen eine andere Sprache sprechen: Die Zeit der Politverdrossenheit ist vorüber. Die digitale Streitkultur macht politische Zankthemen allgegenwärtig – von der viel verlachten Autobahnmaut, die Bayern dem Rest der Bundesrepublik aufdrängte, über die völlig neu entflammte Integrationsdebatte hin zum Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit. Und das politische Klima spiegelt die Sättigung mit streitbaren Themen wider: Im Diskurs versackt die Mitte in reines Schweigen, die linken und rechten Flügel des politischen Spektrums jaulen lauter auf als etwa in den späten 90er-Jahren.

Western sind in diesem kulturellen Klima eine reizvolle Verquickung aus Eskapismus und Auseinandersetzung. Einerseits spielen sie in einer anderen Zeit, in einem anderen Land und selbst politisch explizite Western könnten erzählerisch nicht weiter von einem Diskurs über die Flüchtlingssituation und den Kriegen im Nahen Osten entfernt sein. Andererseits lassen sich die grundlegenden Strukturen archetypischer Western sehr gut aufs Heute übertragen. Der libertäre US-Politkommentator Lew Rockwell beispielsweise macht im Westerngenre als häufig wiederkehrende Themen "Feigheit gegen Ehre", "Verteidigung persönlichen Eigentums (vor allem Grundbesitz)" sowie "Erzwingung des Gesetzes" aus.

Im Filmgenre-Band zum Thema Western des Reclam-Verlags erklären die Autoren Norbert Grob, Bernd Kiefer und Marcus Stiglegger zudem, dass die Protagonisten in Western "positive Helden [sind], die in einem Spannungsfeld agieren zwischen ihrem Sinn für die Gemeinschaft und ihrem Hang zu einsamen Entscheidungen und Alleingängen." Aufgrund dieser schlichten Charakterzeichnung, die über Jahrzehnte hinweg im Western vorherrschte, können sich Filminteressierte also auf beiden Seiten der Politdebatte in die Helden hineinprojizieren. Manche Person denkt, es sei Zeit, das Land vor Hilfesuchenden von außen zu verteidigen, andere finden, einsame Helden müssten gegen Wutbürger vorgehen, wenn der Staat ja hilflos zuschaut. Und im Kleineren lässt sich das Dilemma der Westernhelden mit dem inneren Diskurs gleichsetzen, der gewiss vielen Fernsehenden bekannt ist: "Mach ich jetzt den Mund auf, wenn mein Umfeld wieder einmal Ungeheuerliches verzapft, oder gehe ich unbehelligt meines Weges, unterdrücke aber meinen Impuls, in dieser Diskussion für Ordnung zu sorgen?"

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