Hingeschaut

«Nuhr in Berlin». Nuhr bei Netflix. Nuhr deutscher Comedyalltag?

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Das erste deutsche Stand-up-Special, das nur bei Netflix abrufbar ist, ist da. Die Ehre, den deutschen Humor dem weltweiten VoD-Publikum vorzuführen, hat Dieter Nuhr. Ob er sich daher verbogen hat? Quotenmeter.de hat reingeklickt ...

Dieter Nuhr schreitet auf die Bühne, begleitet von einem „sehr deutschen“ Applaus. Nicht frenetisch, nicht zurückhaltend. „Positiv, aber dezent“, wie der Kabarettist erklärt. Deutscher Applaus, die „glaubhafte Simulation von Begeisterung“. Anders als die ohne weiteres Dazutun geernteten Standing Ovations in Amerika. Ein deutsches Publikum ist höflich, vorfreudig, aber es zweifelt auch: Was wird das Arschloch auf der Bühne denn nun überhaupt leisten?

Nun, ganz nüchtern erklärt: In diesem Fall ein etwas mehr als eine Stunde andauerndes, in Berlin aufgezeichnetes Stand-up-Special. Mit dem für Nuhr typischen Themenmix aus politischen Seitenhieben, Alltagsbeobachtungen, Glaubensfragen und Trivialität, die auf den Gestus des Bildungsbürgertums trifft. Dieses Mal topaktuell mit der Flüchtlingskrise und Erdoğan, aber auch zeitlos mit einer verdauungsbasierten Schöpfungsgeschichte, wütenden Müttern und deutscher Kleinkariertheit. Oh, und bloß nicht vergessen: «Nuhr in Berlin» gibt es nur bei Netflix. Und das weltweit. Ein Novum für deutsche Comedy.

Der Netflix-Faktor


In der Welt der Anbieter von Medieninhalten steht Netflix mit einem Bein im Segment „Großer Wiedererkennungswert“ und mit einem Bein im Sektor „Genauso wie bei allen anderen“. So sind die Adam-Sandler-Komödien und auch der kürzlich veröffentlichte Kevin-James-Film «Die wahren Memoiren eines internationalen Killers» Fließbandblödelproduktionen wie sie von diesen Comedians lange auch ins Kino gebracht wurden. «Fuller House» ist, wie es vom Konzept her diktiert wird, eine waschechte 90er-Jahre-Sitcom fürs Heute. Andererseits sind die für Netflix entwickelten Marvel-Serien deutlich als solche zu erkennen – sie sind düsterer und dramatischer als die restlichen Marvel-Serien. Formate wie «Bloodline», «House of Cards» oder «Stranger Things» sind staffelweise quasi XL-Filme ihres Genres – die gegebene „Bingebarkeit“ ändert die Erzählweise und verändert somit das Feeling dieser Serien.

Und «Nuhr in Berlin»? Ist das erste netflixexklusive deutschsprachige Stand-up-Special ein Nuhr-Comedyprogramm wie jedes zuvor? Oder macht sich der Netflix-Faktor auch bei «Nuhr in Berlin» spürbar? Klare Frage, knifflige Antwort …

Nuhr die Ruhe


Wie eingangs angeschnitten: Dieter Nuhr thematisiert zu Beginn seines neusten Stand-up-Specials, wie ein deutsches Publikum im Gegensatz zum amerikanischen Publikum reagiert. So beginnt er einen in seiner typischen Art vermittelten Monolog, bei dem er mit nüchterner Haltung, doch süffisanten Erklärungen darauf eingeht, dass «Nuhr in Berlin» bei Netflix veröffentlicht und daher weltweit zu sehen sein wird. Er erklärt den potentiellen Zuschauern aus anderen Ländern, weshalb das Publikum nicht so ausflippt wie bei anderen Netflix-Comedyspecials gewohnt, dem deutschen Publikum malt er übertrieben aus, wie wohl die untertitelte Fassung von «Nuhr in Berlin» aussehen mag.

Nachdem dieses Thema erstmal abgehakt ist, spielt die globale Abspielbarkeit dieses Specials dagegen nur gelegentlich eine Rolle. So skizziert Nuhr Alltagsanekdoten von der Autobahn oder aus dem Schwimmbad in gewohnter Manier, andererseits erklärt er dem internationalen Publikum die Causa Böhmermann gegen Erdoğan detailliert. In einem nur für deutsche Interessenten gedachten Stand-up hätte es angesichts der breiten Berichterstattung über eben jenen Rechtsfall auch ein deutlich kürzerer Seitenhieb getan.

Somit lässt sich das gesamte Special zusammenfassen: Weite Strecken von «Nuhr in Berlin» bieten Nuhr-Anhängern genau das, was sie an ihm mögen; in unverändertem Stil und Jargon. Dann und wann kommt wieder die globale Abrufbarkeit zum Zuge, und Nuhr adressiert sein Publikum nicht in einer „Ihr kennt das alle“-Haltung, sondern erklärt seine Beispiele intensiver – für den Fall, dass irgendwer in Amerika diese urdeutsche Sache sonst nicht kapiert. Diesen zusätzlichen Ansatz nutzt Nuhr pointiert und er hebt «Nuhr in Berlin» somit etwas von seinen anderen Stand-up-Programmen ab, allerdings nur sporadisch. Was im Grunde genommen auf die meisten US-Comedyspecials bei Netflix zutrifft: Manchmal wird auf die VoD-Plattform oder die von ihr mitgebrachten Veröffentlichungsmöglichkeiten eingegangen, per se heißt es aber „Business as usual“. Was bei «Nuhr in Berlin» auch auf die Inszenierung zutrifft. Statt der hohen Schnittdichte der US-Specials, wo mitunter gefühlt jeder zweite Halbsatz aus einer neuen Kameraperspektive gezeigt wird, behält «Nuhr in Berlin» die Ruhe einer normalen Nuhr-Stand-up-Aufzeichnung bei. Diese Europäer, so kriegsgerüttelt, dass sie noch immer auf Schnittgewitter verzichten …

«Nuhr in Berlin» ist ab sofort bei Netflix abrufbar.

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