Die Kino-Kritiker

«The Riot Club»

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Für bequeme Filme ist die dänische Filmemacherin Lone Scherfig nicht gerade bekannt. Munter lässt sie ihre Charaktere über die Klinge springen, Happy Ends scheinen ihr zuwider. Auch in ihrem neusten Streifen «The Riot Club» lässt es Scherfig unkonventionell mutig angehen.

Filmfacts: «The Riot Club»

  • Kinostart: 09. Oktober 2014
  • Genre: Thriller/Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 107 Min.
  • Kamera: Sebastian Blenkov
  • Musik: Kasper Winding
  • Buch: Laura Wade
  • Regie: Lone Scherfig
  • Darsteller: Sam Claflin, Natalie Dormer, Douglas Booth, Jessica Brown Findlay, Max Irons, Holliday Grainger, Sam Reid
  • OT: The Riot Club (UK 2014)
Kaum eine schulische Tradition fasziniert die Menschen ungebrochen so sehr wie die vor allem in den Vereinigten Staaten gerne kultisch gezeichnete Institution der Studentenverbindung. Den geheimnisumwitterten Zusammenschlüssen von zumeist Eliteschülern wohnt seit Anbeginn der Reiz des Verruchten inne – den kuriosen Aufnahmeriten mancher Verbindungen sei Dank. So sehr, dass auch Filme gerade sektenähnlich organisierte Zirkel immer wieder zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Geschichten machen und in der Wahl des Genres recht breit gefächert auftreten können. In diesem Sommer bekam es Seth Rogen mit Zac Efron als Anführer einer Studentenvereinigung zu tun und lieferte sich in «Bad Neighbors» eine krude Schlacht mit dem einstigen Teenie-Idol. Auch Filme wie «The Social Network» und «Scream 2» greifen das Thema auf, was angesichts des in den USA wesentlich üppiger verbreiteten Kults auch wenig wundert. Sobald in einem Film Studierende auftauchen, ist die entsprechende Gruppierung meist nicht weit. Regisseurin Lone Scherfig, deren romantisches Melodram «Zwei an einem Tag» zuletzt verzauberte und deren Coming-of-Age-Drama «An Education» zum Karrieresprungbrett für die hübsche Aktrice Carey Mulligan («Der große Gatsby») avancierte, widmet dem Phänomen mit «The Riot Club» einen ganzen Film und wirft ein ebenso faszinierendes wie verstörendes Bild auf die unterschiedlichen Riten, denen nicht umsonst diverse Vorurteile anhaften. Trotz anklingender Vorschlaghammermoral und punktueller Überspitzung gelingt der Filmemacherin ein atemberaubendes Stück Nischenkino, das in seiner Durchschlagkraft und Aktualität noch lange nachhallt.

Wer in Oxford in den elitären Riot Club aufgenommen werden will, braucht das gewisse Etwas: den Charme, das Elternhaus und das nötige Kleingeld. Hier trifft sich die künftige Elite der Gesellschaft. Als die exklusive Runde neue Mitglieder sucht, fällt die Wahl auf die Studienanfänger Miles (Max Irons) und Alistair (Sam Claflin). Für Alistair ist das keine Überraschung, war doch schon sein großer Bruder Präsident des legendären Zirkels. Auch der eher bodenständige Miles zögert nicht lange, obwohl seine Freundin Lauren (Holliday Grainger) seine arroganten neuen Freunde nicht ausstehen kann. Höhepunkt des Jahres ist das traditionelle Dinner in einem abgelegenen Pub, ein Exzess, der für gewöhnlich schlimm endet. Doch wozu seine neuen Freunde wirklich in der Lage sind, ahnt Miles erst, als die Situation völlig außer Kontrolle gerät und er vor einer furchtbaren Entscheidung steht…

Rollt erst einmal der Abspann von «The Riot Club» über die Leinwand, wird dem Publikum schnell klar, welchen Zweck Lone Scherfig mit ihrem achten Langfilmprojekt verfolgt. Die Regisseurin, die in ihren Werken immer wieder unbequeme Themen aufgreift, scheint dem Thema der Studentenverbindung generell wenig wohlgesonnen. Obgleich ihrem aus Genresicht schwer einzuordnenden Streifen von Beginn an eine unbequeme Atmosphäre nicht abzusprechen ist, geht sie mit fortschreitender Spieldauer immer konsequenter vor und lässt «The Riot Club» in ein Finale gipfeln, das mit einer differenzierten Betrachtungsweise nichts mehr zu tun hat. Damit gelingt es Scherfig kaum, Vorurteile abzubauen. Im Gegenteil: Ihr Film wird all jenen ein gefundenes Fressen sein, die der Thematik ohnehin äußerst skeptisch gegenüber stehen. Andererseits erweist sich ihre Betrachtungsweise als derart drastisch, dass sich ihr Film alsbald aus der Coming-of-Age-Drama-Schiene heraus bewegt und zu einem waschechten Psychothriller mutiert. Dass dabei immer wieder satirische Züge mitklingen, lässt «The Riot Club» zuweilen zwar etwas unentschlossen erscheinen, die nuanciert aufspielenden Schauspieler und das penible Formen der Charaktere lässt wiederum einen differenzierten Blick auf das zu, was Gruppenzwang und der gesellschaftliche Druck der heutigen Gesellschaft mit jungen Erwachsenen machen.

Im Mittelpunkt der Erzählung stehen auf den ersten Blick zwei grundverschiedene Seiten. Zum einen beleuchtet Scherfig die Mechanismen innerhalb des Riot Clubs und die Gedankengänge all derer, die sich bewusst und mit Herzblut einer Studentenverbindung verschreiben. Damit kreiert die Regisseurin, ob gewollt oder nicht, einen Antagonisten, der sich nicht auf eine einzelne Figur beschränken lässt, sondern eine ganze Gesinnung umfasst. Auf der anderen Seite lernen wir Miles und Alistair näher kennen, die sich als Erstsemestler noch nicht allzu detailliert mit besagter Verbindung auseinandergesetzt haben, diese jedoch vom Hörensagen kennen und sich der Faszination nicht vollständig verschließen. Im Gegenteil: Es dauert nicht lange und die beiden Studenten werden selbst zu Mitgliedern des Riot Clubs. Von nun an wird das Publikum Zeuge, wie die Regisseurin Pro- und Antagonist miteinander verschmelzen lässt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sind Miles und Alistair erst einmal Riot-Club-Mitglieder, ändert sich nicht nur deren Gesinnung, sondern damit einhergehend jedwede Empfindungen für Moral und Anstand. Hieraus entwickelt sich sukzessive auch die Spannung. Zwar ist die von Lone Scherfig eingeschlagene Richtung recht schnell ersichtlich, doch vermag das Publikum nie zu erkennen, wie weit die Filmemacherin mit ihrem Stück Aufklärungskino denn nun tatsächlich gehen wird. Die Antwort darauf lautet: Sehr weit!

Auch in Ausstattung und Besetzung erkämpft sich «The Riot Club» Authentizitätspunkte. Mit seinen altehrwürdigen Universitätsgebäuden erinnert die Kulisse immer wieder stark an die pompösen Schulbauten aus «Harry Potter» und kokettiert einmal auch direkt damit. Die Darsteller brillieren allesamt in ihrem zerrissenen Spiel, das von einer steten Anspannung lebt und zwar forciert aber nicht verkrampft daherkommt. Allen voran Jeremy Irons‘ Sohn Max, der in «Seelen» zuletzt weniger positiv auffiel, verschafft seiner Figur ein ausgeprägtes Profil, das zwischen Gewissensbissen und Gruppenzwang hin- und her-wankt und dadurch mehr als bloß einen Kratzer an der bildschönen Fassade erhält. Selbiges gilt für «Die Tribute von Panem»-Star Sam Claflin, der international ntderzeit auch in der süß-romantischen Erzählung «Love, Rosie» zu sehen ist, und in «The Riot Club» hervorragend als kühler Verführer funktioniert. Erinnerungen an das künstlerische Film-Kleinod «Kill Your Darlings – Junge Wilde» werden wach. Dennoch ist «The Riot Club» ohne Frage ein Ensemble-Film. Wenn sich der Streifen in der zweiten Hälfte nur noch auf ein edles Restaurant als einzigen Spielort beschränkt, beweisen die darin bis zum Exzess feiernden Studenten eine körperliche und auch rednerische Kraft, dass die Regisseurin ihre Darsteller eigentlich auch hätte improvisieren lassen können. So stehen lediglich die teils etwas hochgestochenen Dialoge der vollen Entfaltung ihres Filmes im Wege, da diese das Bemühen zu sehr in den Vordergrund stellen, dem Publikum die Moral der Ereignisse mitzuteilen.

Fazit: «The Riot Club» wird gewiss für Aufsehen sorgen; so sehr sticht die Regisseurin Lone Scherfig in ein immer noch bewohntes Wespennest. Dass sie ihre Thematik allerdings elegant verpackt, eine ganze Riege künftiger Hollywoodstars besetzt und sich in ihrer forcierten Erzählung bis an den Exzess begibt, macht ihr Werk zu einem provokanten Stück Kunstkino, dessen moralische Exkurse derart aufrütteln, dass man ihrem Film eine unterhaltsame Dynamik niemals absprechen kann.

«The Riot Club» ist ab sofort in ausgewählten, deutschen Kinos zu sehen.

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