Hingeschaut

Lieblose Eigenproduktion: Sat.1 im Mittelalterfieber

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Ganz im Mittelalterfieber, versucht Sat.1, mit der vierteiligen Realitydoku «Das Mittelalter: Ritter auf Probe - Das Experiment» zu glänzen.

«Wir haben begonnen», tönt Tom Builder salbungsvoll am Ende des ersten Teils der Romanverfilmung «Die Säulen der Erde» von Ken Follet auf Sat.1, bevor sich dem Zuschauer das ganze Ausmaß des Neubeginns eröffnet: Ein riesiger, von unwirklich sakralem Sonnenschein erhellter Platz in Kingsbridge erscheint im Bild, auf dem der Baumeister in den kommenden drei Teilen der Mittelaltersaga eine Kathedrale erbauen wird. Der vom Pathos der Szenerie geblendete Zuschauer kann dieses Bild noch gar nicht ganz greifen, geschweige denn erfassen, da ist der Spielfilm schon zu Ende - und wenige Sekunden später läuft im Sat.1-Abendprogramm schon wieder etwas mit Burgen und Mittelalter - oder zumindest so etwas Ähnliches.

Es ist seit jeher ein ungeschriebenes Gesetz, dass Fernsehsender im Anschluss quotenstarker Eventprogrammierungen mit thematisch ähnlichen Spezialsendungen an den vorhergehenden Erfolg anzuknüpfen versuchen, um das starke Lead-In guter Spielfilme für oftmals lieblose Eigenproduktionen zu nutzen. So überprüft Aiman Abdallah in einem «Galileo Spezial» nach einem «James Bond»-Thriller gerne einmal die im Film verwendeten Waffen auf ihre Alltagstauglichkeit und RTL verwurstet nach einer Folge «Bauer sucht Frau» oder «Rach, der Restauranttester» regelmäßig die spektakulärsten Szenen im hauseigenen Magazin «extra». Auch Sat.1 steht diesem Gehabe in nichts nach: Im Anschluss an den überaus quotenstarken ersten Teil des Historienfilms «Die Säulen der Erde» kokettierte der Sender mit der Realitydokumentation «Das Mittelalter: Ritter auf Probe - Das Experiment».

So sperrig wie der Titel der Sendung ist das Format nicht einmal annähernd, denn Sat.1 hat an allem gespart, was aus der Seifenoper auch nur annähernd eine spannende oder lehrreiche Ergänzung zum Spielfilm hätte machen können. Anstatt auf eine seriöse Dokumentation oder eine ansatzweise witzige Reality-Show zu setzen, hat man versucht, beide Genres zu verbinden: Auf Burg Querfurt in Sachsen-Anhalt muss sich der sportlich-agile Jungspund Peter im Schwertkampf, Reiten, Lanzenstechen und Minnesang üben, um am Ende ein Prüfung zu bestehen. Während einer einwöchigen Ausbildung wird er von einer hemdsärmeligen Dame, die sich als Mittelalterexpertin zu erkennen gibt, in wahnwitziger Manier über Hindernisse gescheucht - Schreiattacken und der Versuch bootcampartiger Degradierung des Untergebenen eingeschlossen. Dazu schläft er in der Burg, trinkt Wein zum Frühstück und muss sich bei jeder Frage anhören, dass «das im Mittelalter nun einmal so war».

Zwischen den einzelnen Abschnitten körperlicher Ertüchtigung und geistiger Bereicherung mit unnützem Wissen werden für wenige Sekunden immer wieder historische Malereien eingeblendet und mit der monotonen Stimme einer n-tv-Weltkriegsdokumentation scheinbare mittelalterliche Fakten erläutert. Dass ein Großteil dieser Behauptungen falsch ist, erschließt sich dem unkundigen Zuschauer vielleicht nicht sofort, dennoch begibt sich Sat.1 mit der Verbreitung von Halbwissen auf dünnes Eis - immerhin gibt man vor, eine ernsthafte Dokumentation im spielerischen Gewand zu senden. Diesem Anspruch wird «Das Mittelalter: Ritter auf Probe - Das Experiment» allerdings zu keinem Zeitpunkt gerecht, denn das Format ist genauso langweilig und inhaltsleer wie es auf die Schnelle produziert wurde. Nach zwanzig Minuten sind dann nicht nur Peter und die Zuschauer zurecht geschafft, auch die Sendung ist glücklicherweise zu Ende - doch die nächsten drei Montage geht es weiter, denn im Anschluss an die Teile zwei bis vier von «Die Säulen der Erde» braucht Sat.1 wieder etwas mit Burgen und Mittelalter, um dank thematischer Analogie die Quote zu heben. Für den Zuschauer bleibt allerdings nur der Beigeschmack einer lieblos eigenproduzierten Anschlussprogrammierung.

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