Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Trash-Nachmittag

von
ProSieben überschwemmt den Nachmittag nun mit Scripted Realitys. Ist der Zuschauer jetzt verloren?

Ab der nächsten Woche bläst ProSieben zum Angriff gegen die neuerliche RTL-Übermacht am Nachmittag: Seit die Kölner gestellte Reality-Formate wie «Familien im Brennpunkt» und «Verdachtsfälle» ausstrahlen, sind sie nun auch am Nachmittag der eindeutige Marktanteils-Sieger. Sat.1 muss derweil mit Quotenrückgängen bei den Courtshows «Richterin Barbara Salesch» und «Richter Alexander Hold» kämpfen, will aber an den Sendungen vorerst festhalten. ProSieben geht den umgekehrten Weg: In den kommenden Wochen testet der Sender mehrere gescriptete Formate mit ungewöhnlichen Ansätzen.

Den Anfang macht «Love Diary», das laut Pressemitteilung Menschen begleitet, die um ihre große Liebe kämpfen. Eine Woche später testet der Sender «Die Salonretter – waschen, schneiden, fönen», in dem Starfrisör Andreas Wendt angeschlagene Frisörsalons retten will. Dieses Format dürfte das einzige sein, das nicht gestellt ist. Es ist interessanterweise auch der Ersatz für «50 pro Semester», die gestellte Reality, die wegen ihrer pikanten Story schon vor Ausstrahlung aus dem Programm genommen wurde. Sieben Tage später können die Zuschauer sich an «The Secret – jetzt kommt alles raus» erfreuen, das aufzeigt, was in Familien passiert, wenn lange gehütete Geheimnisse aufgedeckt werden. Anfang Februar schließlich geht es in «4 kämpfen für dich!» um Streetworker, die Jugendlichen eine Perspektive geben.

Welche dieser Formate nun gescriptet sind, wird sich erst zeigen. Vermutlich wird es sich bei allen außer dem Frisör-Format um gestellte Shows handeln. Schließlich ist dies der Trend der Zeit: RTL war jahrelang vergeblich auf der Suche nach erfolgreichen Nachmittagsprogrammen und hatte plötzlich Quotenhits, als die Geschichten gestellt waren. Auch RTL versuchte sich zuvor an „echten“ Realitysendungen wie «Die Streetworker», die jedoch allesamt floppten. Das normale Leben ist dem anspruchslosen Nachmittags-Zuschauer nicht mehr unterhaltsam genug. Nun also lässt er sich von gefakten Geschichten berieseln, die dem Hirn gescheiterter TV-Autoren entsprungen sind. Dass aber auch ProSieben mit diesem Konzept großen Erfolg hat, ist fraglich.

Nicht ohne Grund versucht sich die rote Sieben an gleich vier verschiedenen neuen Nachmittagsformaten, die jeweils eine Woche lang zu sehen sind. Möglicherweise werden sogar noch weitere angekündigt. ProSieben weiß genau, dass schon allein der Angriff gegen die neue RTL-Übermacht größtenteils von Misserfolgen geprägt sein muss. Sollte allerdings wider Erwarten ein einziges Format doch gute Quoten erzielen, dann hätte sich diese Aktion gelohnt.

Die relativ neue Praxis ist ebenfalls von RTL abgeschaut: Dort testete man beispielsweise auch die erfolgreichen Formate wie «Die Schulermittler» um 17.00 Uhr erst testweise, bevor sie regulär auf Sendung gingen. Immer öfter werden die Zuschauer zu Testkaninchen, immer öfter vertrauen die Sender nicht in ihre Neuentwicklungen und lassen sie nur vorläufig auf Sendung. Indirektes Fazit dieser Entwicklung ist, dass erst gar keine aufwändigen, großen, durchdachten oder vor allem teuren Formate entwickelt werden. Denn nur was wirklich sehr günstig von den Produktionsfirmen hergestellt wird, kann als Probesendung auf den TV-Bildschirm gelangen. Bei teuren Produktionen wäre der Aufwand, nur Testsendungen herzustellen, viel zu groß. Die Richtershows in Sat.1 oder die früheren Talkshows hätten nie Testformate sein können.

Die neue Formatpolitik am Nachmittag ist eine gefährliche Entwicklung. Denn nicht nur leidet die Qualität der Sendungen, die ohnehin nur noch schwerlich erkennbar ist, sondern auch das Vertrauen der TV-Stationen in ihre eigenen Formate und in den Zuschauer, der diese annehmen soll. Damit ist die Risikobereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, im Privatfernsehen weiter gesunken. Außerdem sind Kontinuität genauso wie Realität zukünftig noch weniger gefragt im Nachmittagsfernsehen. Die einzige Lösung: Um- oder bestenfalls Abschalten.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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