
Der Einstieg in das Buch ist rasant, fast filmisch. Tapper und Thompson nehmen den Leser mit hinter die Kulissen von Machtzentralen, in private Gespräche, vertrauliche Memos und geheime Strategiepapiere. Dabei geht es immer um eine zentrale Frage: Warum entschied sich Joe Biden, trotz seines fortschreitenden körperlichen und kognitiven Verfalls, zur Wiederwahl anzutreten – und warum ließ ihn dabei so gut wie niemand in seinem Umfeld stoppen?
Die Autoren sind dabei keine polemischen Angreifer aus dem rechten Lager. Sie kommen aus dem innersten Kern des US-Journalismus, haben jahrelang aus Washington berichtet und enge Kontakte zu führenden Köpfen in Politik und Medien. Ihre Erzählweise ist daher fundiert, faktenreich und gleichzeitig bemerkenswert zugänglich. Selbst Leserinnen und Leser ohne tiefes Vorwissen in amerikanischer Innenpolitik finden sich dank des klaren Stils und der gelungenen deutschen Übersetzung mühelos zurecht. Das Buch ist verständlich, präzise – und erschreckend.
Im Zentrum steht die These, dass Eigeninteresse und Angst das Handeln der demokratischen Führung bestimmte: Angst vor Donald Trump, Angst vor einem chaotischen Vorwahlkampf, Angst vor Machtverlust. Dieses politische Kalkül führte letztlich dazu, dass ein Präsident, dessen kognitiver Zustand intern längst Thema war, der Öffentlichkeit weiter als geeigneter Kandidat präsentiert wurde. Tapper und Thompson rekonstruieren minutiös, wie Berater, Familienmitglieder, Parteistrategen und Medien eine Art stillschweigender Allianz eingingen, um die Wahrheit über Bidens Gesundheitszustand zu verschleiern.
Das Buch erhebt dabei schwere Vorwürfe – nicht nur gegen Biden, sondern gegen ein ganzes politisches Establishment, das aus Loyalität, Opportunismus oder schlicht aus Verzweiflung mitspielte. Besonders stark ist das Buch dort, wo es zeigt, wie diese Strategie zur Rückkehr Donald Trumps an die Macht beigetragen haben könnte. Denn: Indem die Demokraten versuchten, eine instabile Kandidatur durchzudrücken, eröffneten sie dem politischen Gegner eine Angriffsfläche, die dieser gnadenlos auszunutzen wusste.
„Hybris“ ist damit auch eine Analyse darüber, wie Demokratien scheitern – nicht unbedingt durch einen Putsch, sondern durch systemische Selbsttäuschung. Der Titel des Buchs ist dabei treffend gewählt: Hybris – also die Selbstüberschätzung – zieht sich wie ein roter Faden durch die 350 Seiten. Die Autoren zeigen, wie schwer es ist, in politischen Machtstrukturen noch echte Verantwortung zu übernehmen, wie Gruppendruck und Karrieredenken ehrliche Diskussionen verhindern können – und wie schwerwiegend die Folgen sein können, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit verspielt wird.
Am Ende bleibt beim Lesen ein Gefühl zwischen Faszination und Fassungslosigkeit. Denn so scharf, so klar und zugleich so bedrückend wurde über die politische Gegenwart der USA selten geschrieben. Der „Tote“, um den sich alles dreht, ist in diesem Thriller nicht eine konkrete Person, sondern ein demokratisches Ideal: die Wahrheit, die Verantwortung, das Gemeinwohl.
„Hybris“ ist ein aufrüttelndes Buch zur richtigen Zeit. Wer verstehen will, wie politische Systeme ins Wanken geraten – und welche Rolle Loyalität, Schweigen und Angst dabei spielen – kommt an diesem Buch nicht vorbei. Für politisch Interessierte, für Medienmenschen und für alle, die sich fragen, wie viel Wahrheit unsere Demokratien überhaupt noch vertragen, ist Tapper und Thompsons Werk Pflichtlektüre.
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