Interview

Khesrau Behroz: ‚Der Drachenlord ist ein Präzedenz-Fall‘

von

«Cui Bono: Wer hat Angst vorm Drachenlord?» ist eine audiovisuelle Aufarbeitung des Drachengames. Der Macher hinter dem Ken Jebsen-Podcast sprach mit Quotenmeter.

Hallo Herr Behroz. Vielen Dank für Ihre dreistündige respektive sechsteilige Dokumentation über Ken Jebsen. Jebsen ging von Fritz zu YouTube, jetzt recherchierten Sie über den sogenannten Drachenlord. Wie lange haben Sie sich in die Materie eingearbeitet?
Studio Bummens hat «Cui Bono: Wer hat Angst vorm Drachenlord?» im November 2021 bekannt gegeben. Diesmal als Koproduktion mit meiner Produktionsfirma Undone. Nach dem Erfolg von «Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?» war klar, dass wir wieder zusammen für die zweite Staffel von Cui Bono arbeiten würden. Fast ein Jahr hat die Arbeit an diesem neuen Podcast gedauert.

Inzwischen ist die Produktion nicht mehr Teil des Rundfunk Berlin-Brandenburg, sondern RTL zählt zu Ihren Auftraggebern. War dies ein Zufall, dass das Thema dementsprechend auch Rainer Winkler wurde?
Ja, das ist ein Zufall. Wir haben mit der Recherche und der Produktion tatsächlich begonnen, bevor RTL+ Musik mit an Bord gekommen ist.

Die Adresse Altschauerberg war bei vielen Menschen bekannt, obwohl sie nur kurz im
Originalvideo erwähnt wurde. War Herrn Winkler eigentlich klar, was er da für einen Shitstorm auslösen würde?

Das ist wohl eher eine impulsive und weniger eine zu Ende gedachte Aktion gewesen. Ich glaube nicht, dass Herr Winkler zu dem Zeitpunkt ahnen konnte, welche Ausmaße das alles nehmen würde.

Jeden Tag tingelten Fans oder Gegner (sogenannte Haider) in den kleinen beschaulichen Ort bei Neustadt an der Aisch. Wieso waren die Behörden eigentlich so unfähig, dass Ruhe in den Ort einkehrt?
Es gab Strafanzeigen und Allgemeinverfügungen – geholfen hat das wenig. Wir haben es hier mit einem systematischen Problem von Rechtsdurchsetzung zu tun – ein Thema, worauf wir in unserer fünften Episode noch zu sprechen kommen werden.

Wie kann es eigentlich sein, dass bei einem solchen Mobbing-Skandal die halbe Republik wegschaut?
Ich glaube, es ist einfach, wegzuschauen, wenn solche Fälle als “Extremfälle” dargestellt werden. Es ist einfacher, hinzuschauen, wenn wir diese Extremfälle gewissermaßen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und uns fragen: Was sagen diese Extremfälle darüber aus, was wir als Gesellschaft bereit sind, auszuhalten und auch bereit sind, zu dulden?

In erster Instanz wurde Herr Winkler zum Gefängnis verurteilt, an einem höheren Gericht wurde die gesamte bisherige Anklage in Frage gestellt. Jetzt muss man kritisch Fragen: Waren selbst die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in Neustadt an der Aisch überfordert?
Dieser ganze Fall hat keine Präzedenz. Das macht es schwierig, sich auf Erfahrungswerte zu beziehen. Ich glaube aber, “überfordert” ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Der Legislative fehlt bei diesem Fall das Vokabular, um auf die gesamte Dynamik und die schiere Größe des Angriffs angemessen zu reagieren. Hier muss die Politik nach Antworten suchen – und liefern.

Wenige Journalisten konnten bislang ein ausführliches Interview mit Rainer Winkler führen. Konnten Sie mit ihm Zeit verbringen?
Ich habe mehrfach mit Herrn Winkler gesprochen. Bislang wollte er sich aber nicht auf Band äußern. Auf wiederholte Interviewanfragen hat er nicht reagiert. Wir arbeiten noch an der fünften Episode.

Kann man sagen, dass der Hassmob an einer Umkehr der Täter-Opfer-Kultur arbeitete?
Ja. Denn nur durch eine Umkehr kann man die eigenen Taten rechtfertigen. Und Winkler als eine Person darstellen, die kein Mitgefühl verdient, keinen Schutz. Das verfängt sich dann so sehr, dass auch Leute außerhalb des Drachengames diese Begründungen übernehmen. Ja, das sei alles schlimm, was ihm widerfahre, aber… Das alles auch noch vor dem Hintergrund, dass es in keinem Fall ‚okay‘ ist, jemanden über zehn Jahre lang zu mobben – selbst diese Person Dinge tut und sagt, mit denen wir nicht einverstanden sind.

Rainer Winkler zog mit seiner Art auch Menschen an, die ihn für ihr Geld metaphorisch tanzen ließen? Ist das nicht absurd, dass da auch lange YouTube und Co. zuschauten?
Ich glaube, die Frage nach der Verantwortung der Plattformen ist auch hier eine wichtige. Denn auf YouTube hat sich geradezu eine Hate-Ökosystem gebildet. Es gibt viele Kanäle, die nichts anderes tun, als sich mit Winkler auseinanderzusetzen, auf seine Videos zu reagieren und sein Privatleben zu kommentieren. Diese haben damit auch Geld verdient – durch Werbeeinnahmen. Und an ihnen hat natürlich auch YouTube mitverdient.

Herr Behroz, wie ist eigentlich Ihr Fazit von rund elf Jahren Drachenlord?
Da müssen Sie schon auf die letzte Episode warten… Nur so viel: Wir sind hier auf eine ganz besondere Art und Weise herausgefordert als Gesellschaft und Politik. Denn die Geschichte um den Drachenlord zeigt einen Abgrund, in den wir lieber nicht schauen wollen – aber müssen. Denn er geht uns alle viel mehr an, als wir vielleicht glauben.

Danke für Ihre Zeit! Ich höre mir die Sendung gerne an!

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