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ProSieben im Jahr nach Raab: Wie verlief die Mission Schadensbegrenzung?

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Mit vielen neuen Shows, Dokus und Serien versuchten die Unterföhringer, den Verlust ihres Superstars zu kompensieren - einige dieser Versuche sind längst wieder Geschichte, andere dagegen wecken Hoffnung. Wir blicken Zurück auf die Erfolge und Enttäuschungen des wohl bewegtesten ProSieben-Jahres seit langer Zeit.

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Der Spätabend von ProSieben: Große Montagsambitionen und große Enttäuschungen


Frischer Stoff am späten Montag

  • «Studio Amani» (8 Folgen)
  • «Duell um die Geld» (6)*
  • «Applaus und raus!» (5)
  • «In the Box», «10 Fakten» & «Mission Wahnsinn» (je 4)
  • «Follow us!» (3)
  • «HalliGalli»-Bestofs (2)*
*: Zwei «Duell um die Geld»-Folgen und beide «HalliGalli»-Bestofs starteten bereits deutlich vor 23 Uhr, umfassten allerdings die gesamte Sendezeit bis hin zur Nacht.
Die zweite vakante Zone neben dem Samstagabend war das Spätabendprogramm nach 23 Uhr von Montag bis Donnerstag. Je nach Sichtweise mag man sogar sagen: Hier lag die eigentliche Problemzone. Warum je nach Sichtweise? Nunja, einerseits kann man dahingehend argumentieren, dass zu dieser Zeit auch andere Privatsender seit Jahren überwiegend den Sparmodus fahren, andererseits aber setzte sich ProSieben mit dem rasch geäußerten Versprechen, auch nach Raab eben nicht in diese Lethargie zu verfallen, gewissermaßen selbst unter Druck. Am ehesten Wort gehalten hat man am Montag: An 36 Abenden liefen Shows und Dokus in Erstausstrahlungen, zwölf Mal griff man auf sein standardisiertes Füllprogramm «The Big Bang Theory» zurück, einige wenige Male liefen darüber hinaus Spielfilme.

Das Gesamtergebnis dieses umfassenden Engagements fällt derweil durchwachsen aus. Respektabel schlug sich vor allem das im Sommerprogramm als informativer Nachschlag an das wirklich schöne Reportage-Format «Uncovered» programmierte «10 Fakten», das an zwei Abenden herausragende 15,1 und 14,0 Prozent der werberelevanten Zielgruppe verzeichnete, sich bei seinen anderen beiden Einsätzen mit nur knapp zehn Prozent jedoch weitaus schwerer tat. Das anschließende «Follow us!» war dagegen ein Totalausfall und kam nie über lausige 7,8 Prozent hinaus. Ganz ansehnlich waren auch die Performances von «Das Duell um die Geld» mit durchschnittlich gut elf Prozent und von Ingmar Stadelmanns ProSieben-Debüt mit «Mission Wahnsinn», das in drei von vier Fällen mit 10,6 bis 11,6 Prozent ordentlich abschnitt - und lediglich einmal mit nur 7,4 Prozent beim Publikum durchfiel.

Die größte Enttäuschung war dagegen das groß promotete «Studio Amani», das im Frühjahr gleich acht Folgen spendiert bekam und mit über einer Million Zuschauer sowie 16,8 Prozent Zielgruppen-Marktanteil auch furios startete. Die Anfangseuphorie war jedoch schnell verflogen, sodass bereits in Woche zwei nur noch 12,6 Prozent zu Buche standen - bevor die restlichen sechs Ausgaben mit 8,5 bis 9,7 Prozent ausnahmslos unterhalb der Norm rangierten. Mäßig mit leichtem Hang zur Enttäuschung lief im Februar bereits das dokumentarische Format «In the Box», während im letzten Quartal des Jahres Oliver Polaks ProSieben-Premiere mit «Applaus und raus!» in die Hose ging: Einzig die erste und die letzte Ausgabe liefen mit 8,0 und 8,9 Prozent zumindest einigermaßen hinnehmbar, die mittleren drei versagten mit nur rund sechs Prozent auf ganzer Linie. Sorgenfalten dürfte es aber mittlerweile auch und gerade im Bezug auf das um 22:10 Uhr gezeigte «Circus HalliGalli» geben, das seit September kein einziges Mal mehr den Senderschnitt erreichte und das Kalenderjahr sogar mit Allzeit-Tiefstreichweiten von 0,65 und 0,55 Millionen abschloss. Hier müssen Joko und Klaas in Bälde dringend liefern, denn die Formkurve zeigt derzeit klar nach unten.


Misere in Serie: Fiktionale Kost mundete fast nie


Am Dienstag und Mittwoch gab es dann viel Raum, um ganz neue oder altbekannte Serien mit neuen Folgen zu zeigen. Ersteren Abend nutzte man nach einem mäßig erfolgreichen Versuch, die Sitcom «Odd Couple» in Doppelfolgen an den Mann zu bringen, vornehmlich dafür, seinen lahmenden Superhelden neues Leben einzuhauchen. Im Falle von «The Flash», das fast ein halbes Jahr lang nach 23 Uhr auf Zuschauerjagd ging, klappte dies zumindest punktuell: Nach einem tollen Start mit 15,2 Prozent gelang es immer wieder mal, ordentliche Zahlen zwischen zehn und zwölf Prozent zu erreichen, in gut der Hälfte der Fälle tat man sich dagegen angesichts von nur rund acht bis neun Prozent auch ganz schön schwer. Das ab Mitte September schließlich eingesetzte «Gotham» verschärfte die Situation noch und verharrte ausnahmslos in der Einstelligkeit - an guten Tagen mit 9,4 und 9,9 Prozent nur knapp, doch mit sieben von 13 Folgen war die Zahl jener Episoden, die nicht einmal mehr sieben Prozent erreichten, klar dominant.

Ein Problemfall ist ohne jeden Zweifel auch und gerade der späte Mittwochabend, der schon zu «TV total»-Zeiten oftmals ziemlich in der Luft hing. Im Februar und März versuchte man sich nach einem eher belanglosen Jahresauftakt mit Spielfilmen und «TBBT» am Spätabend temporär mit Doppelfolgen von «Code Black», das jedoch schnell auf nur eine mies laufende Folge pro Abend um 22:10 Uhr reduziert und nach einem kurzen «Crisis»-Intermezzo durch alten Stoff von «Two and a Half Men» ersetzt wurde. Weil damit ebenfalls kein Blumentopf zu gewinnen war, versuchte man es im Sommer dann mit Spielfilmen und im August und September mit Doppelrationen der neuen «The 100»-Staffel - und kam schließlich doch wieder auf die allgegenwärtige Comedyserie zurück, weil mit nichts davon ein Blumentopf zu gewinnen war.

Ähnlich umtriebig verlief auch die Suche nach der rechten Spätabend-Rezeptur am Donnerstag, wobei man hier am Anfang und Ende des Jahres das Glück hatte, mit «Germany's Next Topmodel» und «The Voice» zwei echte Kassenschlager als Anlaufhilfe im Aufgebot zu haben. Dementsprechend ordentlich lesen sich auch die Zahlen des reichlich chaotisch bestückten Abends, der von verspäteten «red!»-Einsätzen, weiterem Füllmaterial von Sheldon Cooper, Walden Schmidt und diversen älteren Spielfilmen bis hin zu mäßig substanz- und erfolgreichen Tattoo- und Dokusoap-Formaten wie «Cover Up» und «Die Yottas!» viel zu bieten hatte - nur halt wenig Zugkräftiges. So wirklich sollte sich dies erst ab Ende Oktober im Schlepptau der Hit-Castingshow ändern, wo unter anderem auch Joko und Klaas mit ihrem «My Idiot Friend» sowie Enissa Amani mit «nissa - Geschichten aus dem Leben» moderate Erfolge feiern durften.


Spätabend-Fazit: Das selbstbewusste Bewerbungsschreiben fehlt


Wie lief eigentlich «TV total»?

Wer Stefan Raabs Urgestein als großen Quotenhit in Erinnerung hat, täuscht sich: Mit durchschnittlich 5,6 Prozent Gesamt- sowie 11,1 Prozent Zielgruppen-Marktanteil bei im Schnitt 0,72 Millionen Zuschauern war die Sendung zuletzt zwar für solide, aber keineswegs überragende Marktanteile gut - das jedoch verlässlich über viele Jahre hinweg.
Mehr dazu in unserem Quotencheck aus dem Dezember 2015.
Fasst man das Treiben über das gesamte Jahr hinweg zusammen, fällt in allererster Linie auf, dass es ProSieben mit keiner einzigen Ausstrahlung geglückt ist, einen neuen Superhit zu installieren. Selbst erfolgreichere Projekte wie das «Uncovered»- und «10 Fakten»-Double, «Mission Wahnsinn» oder «My Idiot Friend» liefen entweder nur solide oder erstaunten mit temporären Quoten-Erosionen, sodass es für das kommende Jahr kaum einen festen Anker gibt, an dem man sich festklammern kann, sobald ein neues Projekt einmal floppt. Um 22:10 Uhr glaubte man in «Circus HalliGalli» einen solchen Anker gefunden zu haben, doch dieser schwächelte zuletzt massiv. Und im Serienbereich? Da sieht es erst recht düster aus, zumal ProSieben sich hier weiter quasi ausschließlich auf eingekaufte Ware verlässt, die senderübergreifend bei weitem nicht mehr die Resonanz vergangener Zeiten erfährt.

Ein weiterer offensichtlicher Verlierer des Raabschieds kam hier bislang noch gar nicht zur Sprache: Die Produktionsfirma Brainpool, die einst neben den Raab-Formaten auch mit Megahits wie der «Wochenshow», «Ladykracher», «Pastewka» oder «Stromberg» werben konnte, in diesem Jahr aber gerade einmal noch zwei Formate («Schlag den Star» und «Luke!») in den Top 100 der reichweitenstärksten TV-Shows in der werberelevanten Zielgruppe zu platzieren wusste. Der Druck auf dieses einstige Branchenunikat ist so massiv angewachsen, dass es sein Produktionsteam deutlich verkleinerte und inzwischen sogar verstärkt mit Adaptionen ausländischer TV-Shows aufwarten muss. Ein erstes Ergebnis kann man derzeit in Form der bislang nicht wirklich erfolgreichen ARD-Quizshow «Rate mal, wie alt ich bin» bewundern, weitere Projekte dieser Couleur sind mit der Sat.1-Gameshow «All Against 1» sowie dem für RTL II angedachten Nackt-Dating «Undressed» angedacht.

Eure Einschätzung: Wie hat ProSieben den Abgang von Stefan Raab kompensiert?
Sehr gut, das Programm ist heute mindestens so gut wie vor einem Jahr.
3,1%
Ganz ordentlich. Das Niveau wurde weitgehend gehalten.
12,4%
Naja, das Programm hat schon ein wenig an Attraktivität verloren.
55,1%
Überhaupt nicht, der Sender ist steil auf dem Weg nach unten.
29,3%


Das ProSieben-Jahr 2016: Jahr des Umbruchs, Jahr der Entbehrungen


Das ProSieben-Team hat im Jahr eins nach Raab gezeigt, dass es großes Entertainment kann - und außerdem großartiges Factual: Mit seinen neuen Wissensprogrammen hat der Sender besonders intensive Akzente gesetzt. Gleichzeitig haben wir viele etablierte Programmmarken gut erneuert: allen voran «Germany's next Topmodel - by Heidi Klum», das einen regelrechten Quotensprung hingelegt hat.
Wolfgang Link, Vorsitzender der ProSiebenSat.1 TV Deutschland-Geschäftsführung
Blicken wir noch einmal auf die Performance des Unterföhringer Privatsenders, lässt sich unterm Strich davon sprechen, dass er die durch Stefan Raabs Karriereende entstandene Lücke in Anbetracht ihrer Größe zumindest an manchen Stellen hat stopfen können - andererseits aber von einer 1:1-Kompensation weder zur Samstags-Primetime noch am Spätabend von Montag bis Donnerstag die Rede sein kann. Das schlägt sich auch in den durchschnittlichen Marktanteilen der Jahre 2015 und 2016 nieder: Nachdem ProSieben zuletzt über mehrere Lenzen hinweg um die elf Prozent der Zielgruppe hielt, folge diesmal ein doch signifikanter Absturz von 10,9 auf 10,4 Prozent. Ähnlich sah es beim Gesamtpublikum aus, wo man letztlich mit 5,0 statt 5,3 Prozent aufwartete. Hätte sicherlich schlimmer kommen können, zumal sich der Sender in den Vorjahren als weitaus fragmentierungsresistenter präsentierte als RTL und Sat.1, die ihre großen Abstürze bereits hinter sich haben - und trotz der Schwäche ProSiebens auch derzeit keine Kehrtwende einleiten.

Dass es ein Jahr der leichten Entbehrungen war, lässt sich aber auch am Vergleich der monatlichen Marktanteile ablesen: In sieben Fällen lief es bei den 14- bis 49-Jährigen 2016 schlechter als im Vorjahresmonat, nur ein einziges Mal - im April - besser. Noch etwas deutlicher fallen die roten Zahlen bei Betrachtung des Gesamtpublikums aus, wo im Januar ein leicht höherer Wert und im Oktober der identische Wert wie im Vorjahr verzeichnet wurden, während es in den restlichen zehn Monaten bergab ging. Das alles sollte keinen Anlass zur Panik geben, wohl aber zur erhöhten Vorsicht: Das Gebilde ProSieben ist nach dem Abgang des Jahrhundert-Entertainers deutlich fragiler geworden, der Bedarf an kompetenten Kräften, die zumindest einen Teil des Raab'schen Genies in sich tragen, ungleich höher. Und ein neuer Stern am Senderhimmel ist derzeit nicht wirklich in Sicht.

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