Die Kritiker

Poesie, Penetration, Perversion: Lars von Triers «Nymphomaniac»

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Beim ZDF wird es auch diesen Sommer feuchtwarm und erotisch. Höhepunkt der spätabendlich-lüsternen Programmschiene: Das ebenso monumentale wie kontroverse und unverhohlen humorvolle Sex-Drama «Nymphomaniac».

Filmfacts «Nymph()maniac»

  • Regie und Drehbuch: Lars von Trier
  • Produktion: Marie Cecilie Gade, Louise Vesth
  • Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stacy Martin, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf
  • Christian Slater, Jamie Bell, Uma Thurman, Willem Dafoe, Mia Goth, Sophie Kennedy Clark, Connie Nielsen, Michaël Pas, Jean-Marc Barr, Udo Kier
  • Kamera: Manuel Alberto Claro
  • Schnitt: Morten Højbjerg, Molly Marlene Stensgaard
  • FSK: ab 16 Jahren (Kinofassung) / ab 18 Jahren (Director's Cut)
Was Quentin Tarantino mit «Kill Bill» für den Rachefilm erschaffen hat, schenkte Lars von Trier mit «Nymphomaniac» dem anspruchsvollen Sexualdrama. Beides sind jeweils zweiteilig in die Kinos entlassene Monumentalwerke, deren Figuren wie gedruckt sprechen. Filme, die ausschweifend-expliziter Exzesse schuldig sind. Und die darüber hinaus streckenweise in filmische Poesie ausarten. Was dem ehemaligen Videothekenangestellten die blutigen Gewaltspitzen, die malerisch eingefangene Ruhe vor dem mörderischen Sturm und das popkulturell aufgeladene Zwiegespräch, ist dem wahnsinnigen Dänen der Koitus in jeglicher Form und Ausgestaltung, das deprimierend unbeseelte Vorspiel und das augenzwinkernd-verkopfte Aneinandervorbeimonologisieren.

Und so, wie Tarantinos Fest der Vergeltung in seiner gespaltenen Form zwei zusammengehörige, aber individuelle Teile darstellt, ist auch von Triers Sexualgeschichte eine filmische Orgie, die sich aus zwei Akten zusammensetzt. Wo «Kill Bill – Vol. 1» farbenfroh asiatische Martial Arts hochleben lässt und «Kill Bill – Vol. 2» kernig-grob die westliche Rache illustriert, stöhnt es sich bei «Nymphomaniac» mal freudig-jauchzend, mal pervertiert-leidend. Nicht ohne Grund bevorzugt der «Antichrist»-Regisseur die stilisierte Schreibweise seines Filmtitels: «Nymph()maniac». Denn es ist mehr als eine juvenile Schriftsetzungszote, durch welche das „o“ den Titel entzwei scheidet. Die Worttrennung lässt noch stärker ins Auge springen, worum es hier geht und wie diese Handlung rüberkommt.

Erzählt wird das Leben der Sexsüchtigen Joe (Charlotte Gainsbourg und Stacy Martin), die aufgrund ihres unstillbaren sexuellen Hungers eine ungewöhnliche, eigensinnige Biografie verfolgt – und mehrmals von ihrem Umfeld böse gefi… äh, niedergerungen wird. Der erste «Nymph()maniac»-Part treibt sein Spielchen dabei hauptsächlich unter dem Banner „derbe Späße mit der jungen Nymphe“. Die Rahmengeschichte zeigt Gainsbourg, wie sie als kürzlich verprügelte Joe einem alten Jungesellen namens Seligmann (Stellan Skarsgård) ihre Jugendjahre nacherzählt – und dabei von ihm absurde Interpretationsansätze ihrer Lebensbeichte reingedrückt bekommt.

Die Parallelen, die Seligmann zwischen Joes mal sinnlichen, mal stürmischen, manchmal garstigen Eskapaden und klassischer Musik, Fliegenfischen, Religion und Literatur zu erkennen glaubt, sind in Part eins schwarzhumorig, pointiert und eine köstlich-trockene Persiflage auf hochtrabende Feuilletonkritiken, die mit von Triers gesamter Filmografie Doktor spielen und dabei selbst das kleinste Detail untersuchen. Die Episoden, in denen die von Stacy Martin gespielte Joe mit zumeist süffisantem Grinsen ihre Sexualität entdeckt, anderen aufdrängt und letztlich überreizt, haben zwar einige malerische Bilder zu bieten. Und doppelbödige Dialogzeilen. Vor allem aber sind sie von lüsterner Vergnügtheit beseelt, die sich hinter einem Schleier des vorgetäuschten Selbsthasses versteckt – aber wenn eine Teenie-Sexwette mit „Born to be wild“ untermalt wird, dann tropft sie eben doch erkennbar heraus, die Komik. Oder wenn Joe ausgerechnet mittels einer Fibonacci-Sequenz entjungfert wird – also der in der Popkultur am häufigsten rauf und runter gerittenen mathematischen Formel überhaupt.

Der zweite Teil gehört dann mehrheitlich der manischen Seite Joes. Ihre Interpretationsdebatten mit Seligman verlieren an Esprit, werden kritischer und nachdenklicher. Und die kesse Martin weicht auch in den nacherzählten Episoden der weltverdrossenen Gainsbourg, die wie eine Drogensüchtige, die neue Highs sucht, nach dem nächsten sexuellen Kick geifert und vergisst, ihre Situation zu hinterfragen. Auch die Inszenierung wandelt sich, dämmt das Spielerische ein, das Teil eins etwa eine erstaunlich schöne Montage dreier Arten Liebhaber bescherte, macht derweil Raum für durchgebrannte Visionen und weitwinkelige, kühle Sequenzen der Verzweiflung und Vereinsamung.

Die im Vorfeld des Kinostarts viel debattierten Sexszenen nehmen in der Kinofassung nie selbstgefällig-prahlerische Ausmaße an, und auch wenn es diverse Brüste und schlaffe und halbsteife Glieder zu sehen gibt, hakt von Trier die Aufnahmen nüchtern, unzeremoniell ab. Provokation um der Provokation willen sieht anders aus, im Fokus der Aufmerksamkeit stehen klar die rauen Performances und nicht die grafischen Nacktaufnahmen. Selbst die deutlich derbere Langfassung verkommt nie zu Arthouse-Masturbation, sondern blickt nur näher, länger, härter in Joes pulsierende Seele. Was mehr Nacktheit und Körperflüssigkeiten mit sich bringt – schließlich besteht Joes Seele fast ausschließlich aus Sexualität. So etwas fordert das Ensemble dieses Films. Neben den beiden Joe-Darstellerinnen begeistern der spröde-humorvolle Stellan Skarsgård, der für diesen Film fast schon unangebracht zärtliche Christian Slater, eine hysterische Uma Thurman, die emotional schwer lesbare Mia Goth und ein Shia LaBeouf, der geerdet und trotzdem total im entrückten von-Trier-Modus ist.

Mit bildhübscher und abartig direkter Fotografie von Manuel Alberto Claro (der seine gute, aber unstete «Melancholia»-Arbeit weit hinter sich lässt) und Zitaten, die lange nachhallen (sei es aus Dreistigkeit, Witz oder Dramatik) gibt es daher kaum eine Produktion, die länger, härter variantenreicher auf das Genre des expliziten narrativen Films geil macht. Und auch das ist eine Parallele zu «Kill Bill», denn statt das Publikum mit seiner mächtigen Laufzeit niederzuschmettern schürt auch das Tarantino-Gewaltepos Gelüste auf Mehr von dieser Art.

«Nymphomaniac» ist in der Kinofassung am 5. Juli ab 0.35 Uhr (Teil I) und am 8. Juli ab 23.55 Uhr (Teil II) im ZDF zu sehen. Der Director’s Cut ist bei Amazon, Maxdome und Google Play verfügbar. Beide «Nymphomaniac»-Schnittfassungen sind zudem als DVD und Blu-ray erhältlich.

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