Die Kritiker

«Braunschlag»

von

Nachdem die österreichische Comedy-Serie im Free-TV keinen Platz fand, strahlt RTL Crime nun das Format aus, das mit bitterbösem Humor und tollen Ideen bissige Gesellschaftskritik übt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Robert Palfrader; Maria Hofstätter; Nicholas Ofczarek; Nina Proll; Manuel Rubey; Adina Vetter; Sabrina Reiter; Christopher Schärf; Simon Schwarz u.v.m.

Hinter der Kamera:
Regie & Drehbuch: David Schalko
Produzenten: John Lüftner, David Schalko & Klaus Lintschinger
Kamera: Marcus Kanter
Musik: Kyrre Kvam
Schnitt: Alarich Lenz
Casting: Rita Waszilovics
Tiefste Provinz, ländliche Ödnis. Wenn Außenstehende etwas von der Marktgemeinde Braunschlag zu sehen kriegen, dann entweder weil sie sich verirrt haben oder weil sie auf der Durchreise sind. Oder wie es der eigene Bürgermeister ausdrückt: „Nach Braunschlag kommt man nur, wenn man im Jenseits eine Wette verloren hat.“ Selbstredend, dass das verschlafene Dörfchen nicht im Geld schwimmt, denn «Braunschlag» eignet sich wohl nicht einmal für einen Urlaub auf dem Bauernhof. Insbesondere Bürgermeister Gerhard Tschach kann man viel vorwerfen: Faulheit, Miesepetrigkeit, Unfreundlichkeit. Seine eigene Mutter wirft ihm sogar vor: "Mein Sohn hat Braunschlag zu einem zweiten Griechenland gemacht. Nix schön – Krise!“ Er und sein Kumpane, der Discobesitzer Richard Pfeisinger, sind jeden Abend in der örtlichen Kneipe anzutreffen, anstatt der Marktgemeinde etwas Gutes zu tun. Bis zu dem Tag, als dem Bürgermeister fast schicksalhaft Tipps gegeben werden, wie er «Braunschlag» zu Glanz verhelfen kann. Sei es durch seine Mutter, die wissend anmerkt: „Jetzt kann nur ein Wunder helfen“. Oder durch einen Radiobericht im Auto von Tschach, der den Politiker über den Wohlstand eines osteuropäischen Dorfes erzählt, in dem scheinbar einmal ein Wunder stattfand und dass nun von Pilgerern und deren Geld überschwemmt wird.

Und wenn sich Gott nicht selbst für ein Wunder in «Braunschlag» entscheidet, dann muss eben eines erzwungen werden. So inszenieren die Freunde Tschach und Pfeisinger eine Marienerscheinung, die der örtliche Verschwörungstheoretiker miterlebt und umgehend an die Presse herantragen soll. Rasch ist in «Braunschlag» das vermeintliche Wunder Thema Nummer eins und die Dorfbewohner wähnen sich an vielen Stellen schon durch das Wunder von ihren körperlichen Beschwerden befreit. Vatikankommissar Banyardi sind Betrüger, die Wunder inszenieren durchaus bekannt und so befasst sich der Geistliche auch schnell mit den Ereignissen in der österreichischen Provinz. Von Anfang an steht für ihn fest, dass es sich nicht um ein Wunder handeln kann, bis schließlich auch ein vermeintlich im Sterben liegender Mann behauptet, Meerschweinchen haben die Krankheit aus ihm herausgesogen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sind etliche Pilgerer überzeugt vom Wunder und die Dorfbewohner schmieden Pläne, wie sie daraus Profit schlagen können. Die Aufregung, die private Probleme eskalieren lässt und einen gewaltigen Druck auf ganz «Braunschlag» aufbaut, lässt das Wunder für viele Bewohner jedoch schnell zum Alptraum werden.

Kreiert Schriftsteller und Regisseur David Schalko in Österreich ein neues Projekt, ist der Erfolg meist garantiert. Kommt dabei noch die Risikofreudigkeit des ORF hinzu, auch ein eher unkonventionelles Format auf die Mattscheiben zu entlassen, steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit noch einmal rapide an. Schalkos schwarzhumorige Miniserie von 2012 bescherte dem ORF Reichweiten von bis zu 975.000 Zuschauern (fast ein Achtel der Gesamtbevölkerung), somit mit 36 Prozent die beste Dienstagsquote seit 1992 sowie die Anerkennung zahlreicher Kritiker und Preisverleihungen, die «Braunschlag» mehrfach auszeichneten. Schon vor der Premiere verkaufte die Produktion des Mannes, der bereits den vielbesprochenen TV-Mehrteiler «Die Aufschneider» mit Josef Hader inszenierte oder für ORF-«Tatorte» verantwortlich zeichnete, 15.000 DVD-Boxen. Die Kunde drang sogar bis in die USA, wo FOX gerade an einer US-Adaption des österreichischen Hits bastelt.

Die Charakterzeichnungen und Darstellungen des urigen Dorfes besitzen auch deshalb so viel Authentizität, weil Schalko selbst in seiner Kindheit im Sommer oft seine Oma auf dem Land besuchte, woraus beim angehenden Autor und Regisseur ein natürliches Gefühl für das Milieu entstand, in dem «Braunschlag» angesiedelt ist und dass gleichermaßen absurd wie echt wirkt. So konstruierte Schalko im ORF-Format eine Kultur aus Eigenbrötlern, die alle ihre ganz eigenen Geschichten erzählen. Es geht um Drogenabhängigkeit, um die Sehnsucht nach Nähe und Nachwuchs und verbotene Liebe, stets unterfüttert mit liebenswerten Eigenarten und einem großartigen Gefühl für Dialoge, die «Braunschlag» so sehenswert machen. «Braunschlag» traut sich das, wovor die öffentlich-rechtlichen Sender hierzulande zurückschrecken und legt an vielen Stellen einen tiefschwarzen Humor an den Tag, der auch nicht davor zurückschreckt, sich Missbrauchsfälle wie den um Josef Fritzl vorzuknöpfen.

Während die meisten Deutschen sich köstlich amüsieren können, werden viele Österreicher dem Format jedoch ablehnend gegenüberstehen, hält es dem Land doch schonungslos den Spiegel vor, ohne sich vor Kritik an Politik oder Religion zu scheuen. So kann man die Figurenzeichnung an vielen Stellen durchaus berechtigt als zu klischeehaft kritisieren und Schalko auch eine politische Motivation unterstellen, der die Sozialdemokratie in der Serie subtil ins rechte Licht rückt. Dennoch bedeutete «Braunschlag» den endgültigen Durchbruch Schalkos im Fernsehfach. Die acht Episoden umfassende Serie ist auch ein Format der Widersprüche: Kann an vielen Stellen herzhaft über die Absurdität der Ereignisse gelacht werden, die mit fortlaufender Episodenzahl zu immer bizarreren Geschehnissen ausufern, wirken andere Szenen melancholisch bis depressiv, etwa wenn die Frau des griesgrämigen und oft kalten Bürgermeisters, die obendrein ihre erwachsene Tochter vermisst, eine Art bizarren Kuschel-Club besucht, in dem erwachsene Menschen in Tierkostüme schlüpfen, nur um einmal wieder menschliche Nähe zu spüren.

Das Erste wies das Format von sich. Zwar passt die Produktion aufgrund seiner Skurrilität ohnehin nicht ins deutsche Fernsehen, der Sender begründet den Verzicht aber vor allem mit der ‚authentischen Dialektfassung‘ der Serie, die Verständnisschwierigkeiten verursachen könne. Nun nahm RTL Crime mit «Braunschlag» Vorlieb und trotz dem Dialekt der Figuren dürften die meisten Deutschen wenig Probleme haben, deren Gespräche zu verstehen. Der besondere Reiz für den deutschen Markt liegt auch in der Besetzung, die in Deutschland wohl vergleichsweise wenige Fans hat, während die Castmitglieder in Österreich gefeierte Stars sind und ihre Sache auch in «Braunschlag» wieder bestens erledigen. Robert Palfrader («Wir sind Kaiser») spielt den glücklosen und gestressten Bürgermeister, Maria Hofstätter («Sophie Scholl») seine chronisch sorgsame Gattin mit Zärtlichkeitsentzug. Nicholas Ofczarek, der durch das Wiener Burgtheater fast dem ganzen Land bekannt sein sollte, tritt als versoffener Discobesitzer fast durchgängig im Rausch auf, weniger einfallsreich war man beim obligatorischen Typecasting von Nina Proll («Keinohrhasen») als durchgeknallte Dorf-Schönheit. Unterdessen agiert Manuel Rubey als „ganz ‘gscheiter“ und raffinierter Vatikankommissar, der in Versuchung gerät.

Mit «Braunschlag» schuf David Schalko eine launische, ins höchst Bizarre ausufernde österreichische Gesellschaftskritik, die durch seine Eigenheiten sicherlich nicht jedermanns Sache ist und durch die vielen Referenzen auf die österreichische Gesellschaft auch den Zugang zur Serie aus Sicht deutscher Fernsehender erschwert. In diesem Fall sollte man sich in der Vielseitigkeit der Serie auf die Aspekte konzentrieren, die immer Kennzeichen guten Fernsehens sind: Grandiose Dialoge, stark aufspielende Schauspieler, pointierte Situationskomik und bitterböse Geschichten über Partnerschaft und Alltagssorgen.

RTLCrime zeigt «Braunschlag» ab dem 21. Mai jeweils donnerstags um 21 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/78288
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