Die Kino-Kritiker

«Interstellar»

von

Christopher Nolans monumentaler Weltalltrip «Interstellar» ist ebenso nachdenklich wie emotional.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Christopher Nolan
  • Produktion: Emma Thomas, Christopher Nolan und Lynda Obst
  • Drehbuch: Jonathan Nolan und Christopher Nolan
  • Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, Michael Caine, Ellen Burstyn, David Gyasi, Wes Bentley und viele mehr
  • Musik: Hans Zimmer
  • Kamera: Hoyte van Hoytema
  • Schnitt: Lee Smith
Christopher Nolan steht, wohl mehr als jeder andere derzeit aktive Filmemacher, synonym für ambitioniertes Unterhaltungskino, dem ein hoher Intellekt innewohnt. Der Regisseur, Produzent und Autor führte sein Publikum unter anderem in eine grimme Vision der Comic-Metropole Gotham, in der Batman alias «The Dark Knight» vorführt, welche Konsequenzen Vigilantismus nach sich zieht. Außerdem erzählte er mit «Prestige» eine verschachtelt-mysteriöse Geschichte über viktorianische Illusionisten, die nicht nur künstlerische Passion sowie Opferungsbereitschaft hinterfragt, sondern obendrein auch dem Betrachter auf den Zahn fühlt: Wie gewillt ist er, wegzuschauen, um sich verzaubern zu lassen? Mit dem 2010 gestarteten Blockbuster «Inception» wiederum unternahm Nolan eine introspektive Reise „in die Architektur des Verstandes“. Der mehrfach prämierte Big-Budget-Streifen macht Trauer, Verzweiflung und Zielstrebigkeit durch opulente Bilder und energetische Actionszenen spürbar und lässt den Zuschauer dank seiner trickreichen Narrative zudem grübelnd zurück.

Der 165 Millionen Dollar schwere Science-Fiction-Film «Interstellar» eröffnet dem Briten einen neuen, umfangreicheren Schauplatz: Die überwältigenden Weiten des Weltraums. Mit diesem Setting kommt in dieser von Christopher Nolan und seinem Bruder Jonathan geschriebenen Geschichte über menschlichen Pioniersgeist und Überlebenswillen noch größerer Ehrgeiz einher – keine Regiearbeit des «Memento»-Schöpfers sah spektakulärer aus und setzte sich höhere thematische Ziele. Gestützt wird der Wetteifer, der dieser Zukunftserzählung zugrunde liegt, durch die wissenschaftlichen Theorien des angesehenen Astrophysikers Kip Thorne. Der enge Freund Stephen Hawkings und frühere Professor am ehrwürdigen California Institute of Technology diente mit seinen Abhandlungen über Wurmlöcher, schwarze Löcher und die Relativität der Zeit nicht nur als Ideengeber dieses Projekts, sondern wirkte zudem als wissenschaftlicher Berater und ausführender Produzent mit.

Entstanden ist dabei ein beachtenswertes Unterfangen von einem Film: «Interstellar» ist cineastisches Essay sowie audiovisuelles Spektakel, gleichermaßen emotionell wie kopflastig.

Tatendrang


In der nahen Zukunft sorgen veränderte klimatische Bedingungen und ein immens erhöhtes Aufkommen an Pflanzenkrankheiten für eine weltumspannende Lebensmittelknappheit – und dies, obwohl bereits die Mehrheit der Bevölkerung als Landwirte arbeitet. Die Konsumgesellschaft befindet sich ebenso auf dem Rückzug wie die Wissenschaft: Da nahezu jeder Cent in die Ernährung der allmählich dahinsterbenden Menschheit gesteckt wird, bleiben kaum Ressourcen für Forschung und Fortschrittsdenken übrig. Daher verschließt der Staat auch den gesellschaftlichen Weg nach oben, sehr zum Frust des Witwers und zweifachen Vaters Cooper (Matthew McConaughey), der einst NASA-Pilot war und sich für seinen Sohn eine Zukunft als Ingenieur ersehnt. Als Coopers aufgeweckte Tochter Murph von rätselhaften Vorfällen berichtet, macht sich das stoische Raubein, dessen Weltsicht zwischen Idealismus und Pragmatismus pendelt, auf die Suche nach dem Ursprung dieser Geschehnisse. Dabei stolpert er über ein ganz anderes Geheimnis: Die NASA existiert weiterhin und arbeitet an einer streng geheimen Mission, um die menschliche Art davor zu retten, mit ihrem Heimatplaneten unterzugehen …

Der Tatendrang des von McConaughey mit ruppiger Einfachheit verkörperten Protagonisten spiegelt sich auf der Produktionsseite wider. Kameramann Hoyte van Hoytemas prachtvolle Landschaftsaufnahmen – zu großen Teilen im IMAX-Format gedreht und entgegen des gewohnten Nolan-Stils weitestgehend lichtdurchflutet – und immense Kulissen erschaffen hier einen real wirkenden Ausblick auf eine mögliche Zukunft. So real, dass «Interstellar» optisch auch als äußerst kostspielige Dokumentation durch ginge. Wären da nicht die fernen Welten, die mit ihrer eindrücklichen Gestaltung und dank makelloser Verquickung praktischer und digitaler Effekte sowie Trickfotografie zu erstaunen und verwundern wissen. In diese mühevoll erschaffenen Filmwelt fügen sich sogar die vielleicht unterhaltsamsten Roboter nahtlos ein, die es im ernsten Sci-Fi-Kino je zu sehen gab: Die minimalistischen, schwarzen Quader verleihen «Interstellar» nicht nur eine gute Dosis Humor, ohne die Stimmung des Films zu unterwandern, sondern dienen zudem als Element seiner steten Weltenerschaffung.

Zukunftsgedanken


Die 169-minütige Laufzeit dieser aufwändigen Produktion liegt zwar zum Teil darin begründet, dass Nolan viel Spannung aus behutsamer Beobachtung und detailliert ausgebreiteten Szenen generiert. Jedoch spielt diesbezüglich die Fülle an angerissenen Themen eine genauso große Rolle: So schneiden die Nolan-Brüder in ihrem Drehbuch eine Debatte über den Wert der Weltraumforschung an – und dies mit einer Versiertheit, die das übersteigt, was in einer solchen Geschichte nötig wäre. Dies ist wohl kaum ein Zufall, bedenkt man, dass sich Christopher Nolan vor allem für das 2006 noch als Steven-Spielberg-Regiearbeit gedachte Projekt interessierte, weil es ihm die Möglichkeit gab, ein Plädoyer für die bemannte Raumfahrt zu halten.

Zu diesem Zweck vermengen die Autoren wissenschaftliche Fakten, plausible Spekulationen und künstlerisch-dramaturgische Freiheiten. Manche Details könnten es «Interstellar» also schwer machen, frei von ergänzenden Kommentaren in einer Astrophysik-Vorlesung vorgeführt zu werden – als durchdachtes, geistreiches Science-Fiction-Kino erschafft Nolans bislang längster Film dennoch ein in sich kohärentes sowie konstantes Regelwerk. Dessen wichtigste Stütze, Kip Thornes Abhandlung darüber, welche astrophysischen Phänomene Reisen in andere Galaxien ermöglichen könnten, führt zudem nicht nur weitere Gedankenansätze ein, sondern den zentralen Spannungskniff dieser Story: Die Relativität der Zeit. Während für die Astronauten nur Tage vergehen, verstreichen auf der Erde Jahrzehnte, in denen sich die Verfassung des Planeten kontinuierlich verschlechtert. Daher gilt es für die Weltraumreisenden nicht nur über das zentrale Ziel ihrer Mission zu streiten – und dies, typisch für Nolan, in Monologen und Dialogen die weniger von schnöder Alltagssprache haben, sondern von geschliffenen, einprägsamen Ansprachen. Insbesondere gilt es für sie, jeden einzelnen Schritt abzuwägen, um keine Zeit zu vergeuden, denn diese Ressource rennt zwar nicht ihnen davon, sehr wohl aber jenen auf der Erde.

Durch die von Anne Hathaway gespielte Amelia Brand findet außerdem ein weiterer Gedankenanstoß Eingang in den Film: In der aufreibendsten Szene der in «Interstellar» sonst eher weniger auffälligen Aktrice debattiert ihre Figur über den sozialen und wissenschaftlichen Wert der Liebe. Ob Gefühle eine höhere Auswirkung auf das menschliche Schicksal und Handeln haben, als die Wissenschaft derzeit in Worte fassen kann, ist schlussendlich gar eines der zentralen Motive dieser Handlung. Selbst wenn sich dies größtenteils in Form von achtsam vorbereiteten Handlungswenden und narrativen Klammern äußert.

Weitreichende Emotionen


Obwohl «Interstellar» gedankenschwer ist, ist diese Geschichte mehr an menschlichen Emotionen interessiert als bisherige Nolan-Werke. Selbst wenn die Figuren für sich genommen nur so viel Profil aufweisen wie nötig, und so den zahlreichen wissenschaftlichen und moralischen Inhalten Raum geben, legt der Regisseur großes Augenmerk auf die Dynamik zwischen den handelnden Personen. So sehr, dass ihre Gefühle zueinander das Grundgerüst dieses Films darstellen. Dies wird etwa deutlich, wann immer die auf der Erde gebliebenen Wissenschaftler (darunter ein routinierter Michael Caine) rapide alternd Botschaften an die mit der Rettung der Menschheit beauftragten Astronauten senden. Wenn sich McConaughey alias Cooper die Videonachrichten seiner Familie anschaut, bleibt dank der präzise geschriebenen Dialoge, des effektiven Schnitts und der minutiösen Darbietungen der Atem des Zuschauers stocken. Und während Murph in jungen Jahren von Mackenzie Foy vielleicht eine Spur zu ungeduldig angelegt wird, erweist sie sich später durch Jessica Chastains Leistung als stets zwischen Rationalität und Bauchgefühl kämpfende, ebenbürtige Hauptfigur direkt neben McConaugheys Cooper. Ein später Subplot, getragen von einem in jeglichen PR-Materialien geheim gehaltenen Hollywoodstar, mischt wiederum alle zuvor aufgebauten Konstellationen auf und dreht dabei etwas überdeutlich an der Spannungsschraube. Allerdings führt er darüber hinaus griffig vor, wie der Überlebenswillen und Wut menschliches Handeln steuern.

Die Emotionalität dieses dramatischen Science-Fiction-Abenteuers äußert sich allerdings am gewaltigsten in der Gänsehaut erzeugenden Originalmusik. Hans Zimmer lässt die tiefen Bässe, die rasanten Streicher-Ostinati und wuchtigen Percussion-Einsätze seiner vergangenen Nolan-Zusammenarbeiten hinter sich, um in «Interstellar» völlig andere Wege zu beschreiten. Und diese führen den Oscar-Preisträger zu esoterisch angehauchten Orgelstücken, lang nachhallenden Noten und einer insgesamt sehr komplexen, hellen Klangästhetik. Die Melodien in «Interstellar» sind hochemotional, vermitteln Gefühle wie Einsamkeit, Sehnsucht nach Familie und Heimat oder auch schieres Erstaunen. Gleichwohl sind diese potentiell fragilen, zarten Kompositionen mit einer derartigen Kraft arrangiert, dass sie sich zu einem den Film energisch dominierenden Kraftakt formen.

Und diese Klangkraft hat Methode: Die Toningenieure Gregg Landaker und Gary Rizzo geben Zimmers Musik streckenweise eine höhere Priorität als den Dialogen und der restlichen Klangpalette. Nicht zuletzt durch diese akustische Opulenz positioniert sich Nolans Weltallepos trotz seiner thematischen Schwerpunkte vornehmlich als bildliches und klangliches Erlebnis – und weniger als wissenschaftliche Abhandlung im fiktionalen Kleid. Dies lässt «Interstellar» auch abseits seiner gelegentlichen, prägnanten Referenzen in die Nähe von «2001: Odyssee im Weltraum» rücken. Der hohe Stellenwert, den das Skript der Cooper-Familiengeschichte einräumt, der niedrige Grad an Stilisierung der irdischen Filmsequenzen und die emotionale Aufladung der Filmmusik Zimmers hingegen distanzieren diesen Trip von Stanley Kubricks Meilenstein. Ist dieser primär als allegorisch-vieldeutig angelegt, legt Nolans Raumfahrtmär größere Akzente auf den Affekt und charaktergetragene Dramatik.

Fazit: Überwältigend! Christopher Nolan gelang mit diesem aufwändigen wie komplexen Science-Fiction-Abenteuer ein weiterer Geniestreich.

«Interstellar» ist ab dem 6. November 2014 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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