Die Kino-Kritiker

«Captain Marvel» - Auf dem Weg zum Endgame

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Es ist der erste Film innerhalb des Marvel Cinematic Universe, in dem eine Frau die alleinige Hauptrolle spielt – und das wurde «Captain Marvel» in Teilen der PR bereits zum Verhängnis. Doch darum soll es nicht gehen. Wie ist der dazugehörige Film geworden?

Filmfacts: «Captain Marvel»

  • Start: 7. März 2019
  • Genre: Fantasy/Action
  • Laufzeit: 124 Min.
  • FSK: 12
  • Kamera: Ben Davis
  • Musik: Pinar Toprak
  • Buch: Anna Boden, Ryan Fleck, Geneva Robertson-Dworet
  • Regie: Anna Boden, Ryan Fleck
  • Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rebecca Root, Rutger Hauer, Carol Kane, Zac Abbott
  • OT: Captain Marvel (USA 2019)
Die Veröffentlichung des ersten Superheldenfilms aus dem Marvel Cinemativ Universe, in dem ganz allein eine Frau im Mittelpunkt steht, sorgte schon vor seinem weltweiten Kinostart für Kontroverse. Nachdem sich die oscargekrönte Hauptdarstellerin Brie Larson (2016 für „Raum“) öffentlich für mehr Diversität innerhalb der berichterstattenden Presse aussprach – was so viel bedeutete wie: sie würde es gern sehen, wenn die Journaille in Zukunft nicht mehr hauptsächlich aus weißen Männern besteht (ohne ebenjene damit direkt anzugreifen!) – wurde «Captain Marvel» auf großen Bewertungsportalen regelrecht downgevotet und Kommentarspalten von Videoplattformen mit Hass überhäuft, sodass zumindest Rotten Tomatoes ein Stückweit die Reißleine zog und eine von Beginn an frei zugängliche Bewertungsmöglichkeit vom Netz nahm: Ab sofort ist es Usern dort nicht mehr möglich, Filme vor ihrem offiziellen Kinostart zu bewerten. Für die Verantwortlichen hinter Rotten Tomatoes ist das ein großer Schritt. Doch wie das gerade bei von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Filmen gern so ist, wird das was hinter der Kamera passiert gern mit dem in Verbindung gebracht, was man letztlich auf der großen Leinwand sieht. Wie schon bei «Ghostbusters» und «Wonder Woman» scheint sich alle Welt nun vor allem darauf zu stürzen, «Captain Marvel» als weiteren emanzipatorischen Befreiungsschlag im Blockbusterkino wahrzunehmen.

Das kann man machen – und dann feststellen, dass dieser zweifelsohne vorhandene Bestandteil des nunmehr 21. Films innerhalb des MCU alles andere als gelungen ist. Man kann ihn aber auch hintenanstellen und «Captain Marvel» wie jeden anderen modernen Popcornfilm bewerten. Viel mehr als Durchschnitt bietet der allerdings auch nicht.

Carol Denvers alias Vers alias Captain Marvel


Nach einem gefährlichen Kampf auf einem fremden Planeten, gemeinsam mit ihrer Elite-Einheit Starforce unter dem Kommando von Yan-Rogg (Jude Law), stürzt die Supersoldaten Carol Denvers alias Vers (Brie Larson) ausgerechnet auf die Erde. Hier trifft sich auf den jungen Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson), der für eine Initiative zum Schutz der Welt gerade dabei ist, Helden wie sie zu rekrutieren. Während er Kree mit den Merkwürdigkeiten der Erde vertraut macht, hat die scheinbar unverwundbare Frau mit Flashbacks und Visionen zu kämpfen, die Aufschluss darüber geben könnten, woher sie stammt. Denn Kree war nicht immer eine Weltraumkriegerin. Nebenbei muss es das ungleiche Duo auch noch mit einigen außerirdischen Gestaltwandlern aufnehmen, die an Krees Erinnerungen genauso interessiert sind, wie sie selbst.

Bevor bereits Ende April der ein wichtiges Kapitel innerhalb des MCU schließende «Avengers: Endgame» in den Kinos startet, bringt Marvel nun also noch den Solofilm einer Figur in die Kinos, die bereits in der Finalszene von «Avengers: Infinity War» als ein nicht unwichtiger Bestandteil dieses wortwörtlichen Endspiels eingeführt wurde. Insofern ist es schon eine Herausforderung, innerhalb von gerade einmal 124 Minuten eine Figur so intensiv einzuführen, dass sich ihr notwendiger Solo-Film nicht wie Pflichtprogramm anfühlt, sondern inhaltlich eben absolut gerechtfertigt. Tatsächlich funktioniert «Captain Marvel» für sich stehend überraschend gut. Selbst wer bislang absolut nichts vom MCU kennt, kann der Geschichte mühelos folgen, was allein schon damit zu tun hat, dass der Film gerade in der Anfangsphase immer wieder so rasch zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt und damit für Desorientierung sorgt, dass das Publikum bald genauso wenig Ahnung um Vers' Background hat, wie Vers selbst.

Nach den ersten 30 Minuten also einfach nur mit Unverständnis gen Leinwand zu starren, scheint daher durchaus einkalkuliert. Gleichwohl bedeutet das noch lange nicht, dass man sich dadurch ganz besonders in die Gefühlswelt der Heldin hineinversetzen kann. Die ist ohne das Wissen um ihre Herkunft und aufgrund ihres einzigen klar erkennbaren Charakterzugs „unverwundbar“ nämlich bis zuletzt absolut unnahbar. Zwar zündet ein Großteil ihrer One-Liner; Brie Larson besitzt einfach ein großes Timingverständnis und agiert gerade in den Szenen zwischen ihr und Samuel L. Jackson («The Hateful 8») mit ansteckender Kaltschnäuzigkeit. Aber wer genau diese Kree eigentlich ist, bleibt einem auch dann noch verborgen, wenn sie als Carol Denvers durch die Welt geht.

Wenig glaubhaftes Nineties-Setting


Diese Welt auf der Leinwand soll über zwanzig Jahre alt sein. «Captain Marvel» spielt in den Neunzigern und damit vor sämtlichen Ereignissen innerhalb des MCU. Das beantwortet zwar auf recht amüsante Weise einige bislang ungeklärte Fragen wie etwa die nach Nick Furys verlorenem Auge, doch darüber hinaus funktioniert das World Building eines glaubhaften Nineties-Settings hier kaum. Die Regisseure Anna Boden und Ryan Fleck («It’s a Kind of Funny Story»), die gemeinsam mit Geneva Robertson-Dworet («Tomb Raider») auch das Drehbuch schrieben, begnügen sich mit der Verwendung einiger Neunzigerjahre-Radiopopsongs als Sounduntermalung oder platzieren hin und wieder prägnante Gerätschaften wie Flipperautomaten oder Gameboys im Bild (oder lassen Vers eben direkt auf eine Videothek herabfallen und dort ein wenig durch gerade angesagte Blockbuster stöbern), um zu verdeutlichen: Unsere Geschichte spielt in den Neunzigern! Gleichzeitig zeugen aber weder die allgemeine Bildsprache, noch Details wie die Kleidung der Protagonisten oder sprachliche Angewohnheiten davon, dass «Captain Marvel» keine Geschichte der Gegenwart ist. Nicht einmal an dem sich zumindest äußerlich stark veränderten Nick Fury scheinen die seither an ihm vorübergegangenen zwanzig Jahre auch nur irgendwelche emotionale Spuren hinterlassen zu haben. Zumindest auf die Story selbst haben solche Schönheitsfehler wenig Auswirkungen.

Die ist aufgrund des austauschbaren Bösewichts sowie der vor allem an «Wonder Woman» erinnernden Dramaturgie mit einem kämpferischen Auftakt über einen gelungenen „Fish out of Water“-Mittelteil bis hin zum erneut viel zu überdrehten (und nicht ansatzweise zeitgemäß getricksten) Krawallfinale solide, dient aber letztlich nur dazu, Captain Marvel als unkaputtbare Heldin zu etablieren.

Das Prädikat „unkaputtbar“ ist tatsächlich ein Problem: Wann immer Vers in den mit Pointen und coolen Sprüchen gespickten Dialogen mit ihrem Umfeld auch ein wenig „Mensch sein“ darf, schaut man immerhin nicht völlig gelangweilt zu, wie sich die junge Frau an ihr neues Umfeld gewöhnt. Doch selten waren die innerhalb des Films sehr dominanten (und von dominantem CGI geformten) Actionszenen uninteressanter als hier. Mit starken Anleihen an die Effekteorgien eines Zack Snyder wird Kree im letzten Drittel einfach nur noch stärker und stärker, eh sie sich schließlich zu Gwen Stefanies „I’m Just a Girl“ einen vermeintlich launigen Schlusskampf mit all jenen liefert, die bis hierhin immer noch nicht verstanden haben, dass man ihr nichts anhaben kann. Die Verwendung dieses Songs spiegelt übrigens im Alleingang den gut gemeinten, aber leider alles andere als gut gemachten Kommentar in Sachen „Weibliches Empowerment“ wider.

Nicht nur wirken Zitate wie „Jetzt zeigen wir den Jungs mal, wie es richtig geht!“ hier einfach nur plump und wie ein weiterer Teil einer inoffiziellen Agenda moderner Blockbusterinszenierung. Wenn hier schließlich auch noch Männer als allgemein „schwächlich“ bezeichnet werden oder es sich die Verantwortlichen nicht verkneifen können, einen ins Leere laufenden Penisgag zu machen, windet man sich schon ein wenig vor Scham im Kinosessel. Es hätte doch einfach ausgereicht, mit Captain Marvel genauso umzugehen, wie mit jedem anderen Helden auch…

Fazit


«Captain Marvel» funktioniert überraschend gut als alleinstehender Actionblockbuster und erweist sich obendrein als einer der lustigsten Filme aus dem MCU. Auch Brie Larson gefällt als kaltschnäuzige Heldin, doch durch ihre keine Grenzen kennende Stärke macht sie das gleichzeitig auch absolut uninteressant. Die Effekte passen sich dem überhaupt nicht funktionierenden Neunzigerjahresetting an, während die anvisierte feministische Botschaft aufgrund ihrer Plumpheit leider im Nichts verpufft. Alles in allem vor allem ein Bindeglied zwischen «Ant-Man and the Wasp» und «Avengers: Endgame».

«Captain Marvel» ist ab dem 7. März bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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