Die Kino-Kritiker

«Alles Geld der Welt»: Ridley Scotts lahmer Entführungsthriller

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Der auf wahren Begebenheiten basierende Thriller «Alles Geld der Welt» würde wohl schon bald in Vergessenheit geraten, wäre da nicht die viel besprochene Umbesetzung Kevin Spaceys ...

Filmfacts: «Alles Geld der Welt»

  • Regie: Ridley Scott
  • Produktion: Chris Clark, Quentin Curtis, Dan Friedkin, Mark Huffam, Ridley Scott, Bradley Thomas, Kevin J. Walsh
  • Drehbuch: David Scarpa; basierend auf "Painfully Rich: The Outrageous Fortunes and Misfortunes of the Heirs of J. Paul Getty" von John Pearson
  • Darsteller: Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg, Romain Duris
  • Musik: Daniel Pemberton
  • Kamera: Dariusz Wolski
  • Schnitt: Claire Simpson
  • Laufzeit: 133 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Es ist bitter und zynisch – aber das größte Glück, das «Alles Geld der Welt» passieren konnte, waren die im Herbst 2017 aufgekommenen Vorwürfe gegen Kevin Spacey. Der Oscar-Preisträger wurde ursprünglich in der Rolle des Multimilliardärs J. Paul Getty besetzt, doch als sich der Entführungsthriller in den letzten Zügen der Postproduktion befand, wurden zahlreiche Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Spacey laut. Daraufhin beschloss Regisseur Ridley Scott, Spacey aus dem Film zu schneiden und seine ursprünglich erste Wahl, Christopher Plummer, für Nachdrehs anzuheuern.

Innerhalb kürzester Zeit wurden sämtliche Szenen (mit Ausnahme einer einzigen Totalaufnahme) mit J. Paul Getty neu gefilmt – und eben diese erstaunlich rasche Überarbeitung gibt «Alles Geld der Welt» im Filmdiskurs Relevanz. Ebenso wie die Kontroverse darüber, dass Mark Wahlberg für den Nachdreh eine Gage von 1,5 Millionen Dollar forderte, weil er anderweitig drohte, von seiner Vertragsklausel Gebrauch zu machen, und Plummer als etwaigen Co-Star vom Film fernzuhalten – all dies, während Michelle Williams nur eine winzige Aufwandsentschädigung erhalten hat.

Weshalb das alles das größte Glück für «Alles Geld der Welt» ist? Ganz einfach: Dieser gesamte Hinter-den-Kulissen-Trubel, von den sensationell schnell organisierten und nahtlos in den Film integrierten Nachdrehs hin zur erschreckenden Ungleichvergütung Williams' und Wahlbergs, ist wesentlich interessanter und denkwürdiger als der Thriller selbst. Dieser ist solch eine zähflüssige, dröge erzählte Genreübung, dass er höchstwahrscheinlich im Handumdrehen in Vergessenheit geraten würde – wäre da halt nicht besagter externer Ballast.

Die Probleme von «Alles Geld der Welt» beginnen damit, dass das Drehbuch aus der Feder des «Der Tag, an dem die Erde stillstand»-Remakeautoren David Scarpa auf einen mit Wiederholungen vollgestopften Einstieg setzt: Der Film eröffnet mit einem Erzählerkommentar von John Paul Getty III (Charlie Plummer), der erläutert, dass er als Enkel des reichsten Mannes der Welt zum Entführungsopfer wurde. Es folgt eine kurze Szene, die diese Entführung zeigt, anschließend wird in einer ausführlichen Rückblende wiederholt erklärt, wie reich J. Paul Getty (Christopher Plummer) ist, und dass daher seine Familie in ständiger Gefahr vor Entführungen leben müsse. Dann setzt die Geschichte wieder kurz nach der Entführung ein, woraufhin in mehreren Dialogwechseln noch einmal unterstrichen wird, dass Getty reich ist und daher so etwas wohl einfach irgendwann passieren musste – damit es auch einfach jeder im Publikum versteht!

Ein anderer Blick auf «Alles Geld der Welt»:

So sehr ich die Meinung meines Kollegen Sidney Schering schätze, so sehr gehen unsere Empfindungen gegenüber Ridley Scotts neuestem Film auseinander. Ja, «Alles Geld der Welt» gehört zu den Filmen der eher ruhigen, unaufgeregten Sorte. Doch anders als Sidney sehe ich darin ein sehr präzises Erzählen; die Geschichte rund um die Entführung des Paul Getty Jr. steckt so voller absurder Verwicklungen, denen sich Scott in seinem typischen «Der Marsianer»-Tempo widmet, um so gezielt die komplexen Figurenzeichnungen auszuloten und ein möglichst mannigfaltiges Abbild des Geschehens zu zeichnen. «Alles Geld der Welt» ist wahrlich kein flott erzählter Film, aber gerade durch die gediegene Inszenierung und das reduzierte Tempo entwickelt er eine ungemeine Spannung.
Sobald die Ausgangslage in die Köpfe der Zuschauerinnen und Zuschauer gehämmert wurde, schleppen sich Scott und Scarpa durch eine wenig motivierte Abfolge an Szenen: Michelle Williams zankt in der Rolle der besorgten Mutter des Entführten mit dessen zahlungsunwilligen Großvater oder diskutiert mit J. Paul Gettys Sicherheitsbeauftragten Fletcher Chase (Wahlberg). Milliardär Getty, der andauernd beteuert, kein Vermögen für die Lösegeldsumme über zu haben, genießt das Leben eines Superreichen. Und Johns Entführer begehen mehrmals grobschlächtige Fehler.

Die Szenenreihenfolge ist für eine längere Strecke der Filmlaufzeit nahezu beliebig, so wenig entwickeln sich die Figuren. Scarpas Dialoge sind vollkommen austauschbar und vermitteln kein über die reine Oberfläche hinausgehendes Gefühl für die emotionale Lage der Figuren oder die Angespanntheit der Situation. Erschwerend kommt Scotts nahezu mechanische Inszenierung hinzu, die weitestgehend aus sehr ermüdend werdenden Schuss/Gegenschuss-Abfolgen besteht – die gelegentlichen Abweichungen von diesem Schema sind unterdessen so überbetont stylisch und symbolisch aufgeladen, dass es fast unfreiwillig komisch erscheint.

Erst im letzten Drittel, wenn sich «Alles Geld der Welt» von seinen unerreichten Ambitionen befreit, dem Entführungsthrillerplot ein Familienclandrama hinzuzufügen, und zu einem konventionellen Stück Suspensekino wird, findet die Erzählhaltung ihren Rhythmus: Das Hin und Her zwischen Pauls Versuchen, zu entkommen, einem empathischen Entführer, der Pauls Mutter antreibt, und Pauls Mutter, die verzweifelt versucht, die Forderungen zu erfüllen, erzeugt in rascher Abfolge ein solides Spannungsgefühl. Die atmosphärische Musik des Komponisten Daniel Pemberton reicht zwar bei weitem nicht an dessen originellen Stücke aus Filmen wie «Steve Jobs» oder «King Arthur: Legend of the Sword» heran, dennoch entwickelt sie im letzten Drittel einen zügigen Drive und die Parallelmontagen der Cutterin Claire Simpson geben dem Geschehen eine ausreichende Dringlichkeit.

Dennoch halten Scotts leblose Inszenierung und die ungewohnt unbeseelten, blaustichigen Bilder von Kameramann Dariusz Wolski «Alles Geld der Welt» auch im letzten Drittel zurück. Der einzige Lichtblick ist, die gesamte Filmdauer über, eine engagierte Michelle Williams, die als Pauls Mutter Gail Harris mit Inbrunst agiert. Mark Wahlberg lässt Fletcher Chase hingegen fast durchweg desinteressiert aus der Wäsche blicken, selbst wenn zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entsteht, dass seine Figur die Situation tatsächlich unbeteiligt absitzt. Einzig und allein in einem Streitgespräch mit Plummers Getty wärmt Wahlberg auf. Dass Plummer für seine Darbietung eine Oscar-Nominierung erhielt, ist derweil ein Kuriosum, ist sein Spiel doch lediglich solide und nicht weiter denkwürdig. Vielleicht spukte den Stimmberechtigten da wieder die Produktionsgeschichte des Films durch den Kopf. Es wäre ihnen nicht zu verdenken.

«Alles Geld der Welt» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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